Unterirdische Riesenkristalle enthalten seltsame Lebensformen

Die Mikroben aus Flüssigkeitseinschlüssen sind der Wissenschaft bisher vermutlich unbekannt und könnten laut NASA-Forschern bis zu 50.000 Jahre alt sein.

Von Victoria Jaggard
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:35 MEZ
Höhle der Kristalle in Naica
Menschen in speziellen Schutzanzügen erkunden die gewaltigen Selenit-Formationen in der Höhle der Kristalle in Naica.
Foto von Carsten Peter, National Geographic Creative

BOSTON, MASSACHUSETTS – Tief in einer mexikanischen Höhle hat man Lebewesen gefunden, die sich von Eisen, Schwefel und anderen chemischen Elementen ernähren, gefangen in riesigen Kristallen. Die mikrobischen Lebensformen sind der Wissenschaft bisher vermutlich unbekannt. Wenn die Forscher, die sie entdeckten, recht haben, dann sind die Organismen sogar noch aktiv, obwohl sie seit Zehntausenden Jahren schlafen.

Sollte sich diese Vermutung bestätigen, liefert sie einen weiteren Beweis dafür, dass Mikroben auf der Erde an isolierten Orten unter deutlich härteren Bedingungen überleben können, als Wissenschaftler es für möglich hielten.

„Diese Organismen waren für geologisch bedeutende Zeiträume inaktiv, aber lebensfähig. Sie können durch andere geologische Prozesse freigesetzt werden“, sagt die Leiterin des NASA-Instituts für Astrobiologie Penelope Boston. Sie verkündete den Fund im Februar auf einem Treffen der American Association for the Advancement of Science. „Das hat einen tiefgreifenden Effekt auf unser Verständnis der Evolutionsgeschichte des mikrobischen Lebens auf diesem Planeten.“

Gleichzeitig lösen die Mikroben aber auch ernsthafte Bedenken aus, was die Erkundung anderer Welten unseres Sonnensystems und die Jagd nach außerirdischem Leben angeht, so Boston. Die NASA hat strikte Prozeduren für die Sterilisation ihrer Raumfahrzeuge. Aber es besteht immer das Risiko, dass bei Missionen, die in andere Welten vordringen, invasive – und extrem widerstandsfähige – Lebewesen von der Erde mitkommen.

„Wie können wir sichergehen, dass Missionen, die nach Leben suchen sollen, auch wirklich echtes Leben vom Mars oder von Eiswelten finden und nicht unser eigenes?“, fragt Boston.  „Teile meiner Arbeit veranschaulichen die extreme Widerstandsfähigkeit des Lebens auf der Erde und die Beschränkungen, die uns das auferlegt.“

LEBEN AUS DER BLASE

Die Mikroben sind an das Überleben in der extremen Umgebung in der Höhle der Kristalle angepasst, die Teil der Naica-Mine im nördlichen Bundesstaat Chihuahua ist. Um Blei und Silber aus der Mine zu befördern, musste Grundwasser aus den weitläufigen unterirdischen Höhlen abgepumpt werden. Dadurch kam ein Labyrinth aus gewaltigen, milchig-weißen Kristallen zum Vorschein, von denen einige mehr als neun Meter lang sind.

Über einen Minenschacht steigen Arbeiter zu den Höhlen der Naica-Mine herab.
Foto von Carsten Peter, National Geographic Creative

Boston nahm 2008 und 2009 unter der Schirmherrschaft der New Mexico Tech Proben aus Flüssigkeitseinschlüssen der Kristalle. Ihr Team war in der Lage, die inaktiven Mikroben in dieser Flüssigkeit „aufzuwecken“ und daraus Kulturen zu züchten, wie sie auf dem Treffen im Februar bekanntgab. Laut der Analyse ihres Teams unterscheiden sich die Organismen genetisch von allem anderen bekannten Leben auf der Erde. Sie ähneln allerdings am meisten anderen Mikroben, die man in Höhlen und Vulkanlandschaften findet.

Vorige Untersuchungen datierten die ältesten Kristalle in der Höhle auf ein Alter von einer halben Million Jahre. Basierend auf den Berechnungen für die Wachstumsrate der Kristalle glaubt ihr Team, dass die Organismen in ihrem Labor zwischen 10.000 und 50.000 Jahren in ihren glitzernden Kokons eingeschlossen waren.

Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe wurde die Studie noch für die Veröffentlichung ausformuliert und konnte daher noch nicht von Kollegen kontrolliert werden. Diese Peer-Review ist standardmäßig der erste Schritt auf dem Weg zur Bestätigung einer wissenschaftlichen Erkenntnis. Das machte es für andere Experten schwer, sich eine Meinung zu bilden.

„Aber Mikroben mit einem Alter von 10.000 bis 50.000 Jahren wiederzubeleben, ist nicht allzu absonderlich“, erzählt Brent Christner, ein Mikrobiologe an der Universität von Florida in Gainesville. „Es gibt wissenschaftliche Berichte zu mikrobischen Wiederbelebungen in geologischen Materialien, die Hunderttausende bis hin zu Millionen Jahre alt waren.“

Andere Wissenschaftler haben beispielsweise von Funden alten mikrobischen Lebens in Gletschereis, Bernsteineinschlüssen und Salzkristallen berichtet. „Der Grad der Skepsis gegenüber diesen Studien korreliert aber üblicherweise direkt mit dem angeblichen Alter“, warnt Christner.

BELIEBT

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    Ein blätteriger Gypsspath, auch Fraueneis genannt, wirkt in der Mine fast außerirdisch.
    Foto von Carsten Peter, Speleoresearch & Films, National Geographic Creative

    Ein Teil des Problems liegt darin, dass niemand wirklich weiß, wie lange Leben jeglicher Art überhaupt im inaktiven Zustand überdauern kann. Selbst schlafende Organismen benötigen Nahrung. Früher oder später werden ihre Zellen zu degenerieren beginnen. Wissenschaftler wissen noch nicht, ob diese robusten Mikroben ihren Metabolismus stark genug verlangsamen können, um Jahrtausende zu überdauern.

    Es ist möglich, dass die Organismen aus der Naica-Mine überleben, indem sie die begrenzten Energievorräte aus den Flüssigkeiten nutzen, in denen sie gefunden wurden, so Christner. „Vielleicht überleben sie, indem sie andere Mikroben fressen, die weniger Glück hatten.“

    JUNGE EINDRINGLINGE?

    Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Naica-Mikroben gar nicht aus dem Inneren der Kristalle stammen, sondern aus den umliegenden Wasserpfützen.

    2013 berichteten Forscher aus Frankreich und Spanien, dass sie Mikroben in den heißen, salzhaltigen Quellen tief im Naica-System entdeckt hätten. Diese modernen Mikroben ziehen ihre Energie ebenfalls aus chemischen Elementen im Untergrund und unterscheiden sich ebenfalls genetisch von anderen bekannten Mikrobenarten.

    „Ich denke, dass die Anwesenheit von Mikroben, die in Flüssigkeitseinschlüssen in den Naica-Kristallen gefangen waren, prinzipiell möglich ist. Dass sie aber nach 10.000 bis 50.000 Jahren noch lebensfähig sind, ist da schon fragwürdiger“, sagt die Mikrobiologin Purificación López-García des französischen Nationalen Zentrums für Wissenschaftliche Forschung. Sie ist eine der Co-Autoren der Studie von 2013.

    „Die Kontamination während des Bohrens durch Mikroorganismen, die auf der Oberfläche oder in kleinsten Rissen der Kristalle leben, ist ein ernsthaftes Risiko“, sagt López-García. „Ich bin sehr skeptisch, was die Richtigkeit der Befunde angeht, bis ich die Belege dafür sehen kann.“

    Die Naica-Mine ist mittlerweile wieder mit Grundwasser geflutet und die riesigen Kristalle können ungestört weiterwachsen.
    Foto von Carsten Peter, National Geographic Creative

    Boston sagt, dass das Team einige Vorkehrungen getroffen hat, um Kontamination zu vermeiden. Sie haben unter anderem Schutzanzüge getragen, die Bohrer sterilisiert und auch die Oberfläche der Kristalle mit Wasserstoffperoxid und in manchen Fällen auch mit Feuer sterilisiert.

    „Wir haben auch an den lebenden und freiliegenden Organismen in der Höhle genetische Untersuchungen durchgeführt und sie kultiviert. Wir sehen da, dass einige dieser Mikroben mit denen aus den Flüssigkeitseinschlüssen Ähnlichkeit haben, aber nicht identisch sind“, so Boston. Das festigt die Überzeugung des Teams, dass es sich bei ihren Proben um Organismen aus den Kristallen handelt.

    Leider könnte es sich als schwierig erweisen, zurückzugehen und noch mehr Proben zu nehmen. Da die Mine nicht mehr profitabel war und der Betrieb in Naica eingestellt wurde, ist die Kristallhöhle nun wieder mit Grundwasser geflutet. Aber Boston merkt an, dass die Kulturen, die ihr Team angelegt hat, noch immer wachsen. Sie hofft, dass andere Wissenschaftler die Lebensformen weiterhin untersuchen werden.

    „Da ich für die NASA jetzt in einer Management-Position arbeite, habe ich nur noch begrenzt Zeit für wissenschaftliche Forschung“, sagt Boston. Die Mikroben, die ihr Team gesammelt hat, fügt sie hinzu, „sind eine wertvolle Ressource, und die möchten wir anderen Leuten zur Verfügung stellen. Es ist noch eine Menge Arbeit nötig, um Rückschlüsse auf ihre Geschichte, ihre Bewegung und genetische Verwandtschaftsverhältnisse zu ziehen.“

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