Archaeopteryx konnte vermutlich fliegen – aber anders als heutige Vögel

Die Flügelknochen des Tieres entsprechen am ehesten denen von Wachteln und Fasanen, aber er konnte seine Flügel nicht wie heutige Vögel schlagen.

Von Michael Greshko
bilder von Pascal Goetgheluck, ESRF
Veröffentlicht am 14. März 2018, 14:05 MEZ
Münchener Exemplar des Archäopteryx
Das Münchener Exemplar des gefiederten Dinosauriers Archäopteryx.
Foto von Pascal Goetgheluck, ESRF

Der gefiederte Dinosaurier Archaeopteryx wird manchmal auch als Urvogel bezeichnet, da das geflügelte Tier das erste war, welches ein evolutionäres Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln darstellte. Aber konnte er auch fliegen?

Über diese Frage streiten Paläontologen seit Jahren. Trotz der Flügel war nicht klar, ob das Tier sich aus eigener Kraft in die Lüfte schwingen konnte. Glitt der Archaeopteryx vielleicht hauptsächlich von Baumwipfel zu Baumwipfel? Schlug er mit den Flügeln, um Räubern am Boden zu entkommen? Oder tat er etwas völlig anderes?

Eine Analyse der Knochen in den Vordergliedmaßen hat nun ergeben, dass ihre Struktur jener der Flügelknochen heutiger Wachteln und Fasanen ähnelt, die beide über kurze Distanzen fliegen können.

Die Entdeckung, die in „Nature Communications“ veröffentlicht wurde, stützt die Theorie, dass der Archaeopteryx sich tatsächlich in die Lüfte schwingen konnte. Experten loben die Studie besonders für die nicht-invasive Untersuchungsmethode.

„Das ist eine großartige Studie, die von einigen der modernsten Technologien der Welt Gebrauch macht“, sagt Steve Brusatte. Der Paläontologe der Universität von Edinburgh war an der Studie nicht beteiligt.

EIN BISSCHEN VERDREHT

Vor etwa 150 Millionen Jahren lebte der Archaeopteryx auf dem Gebiet des heutigen Deutschland auf Inseln mit vereinzelten Bäumen. Sein Federkleid war nachtschwarz und erinnerte vermutlich an das der heutigen Raben.

Als in den 1860ern das erste Archaeopteryx-Fossil gefunden wurde, war das eine regelrechte Sensation – nicht zuletzt, weil im Jahr zuvor der Biologe Charles Darwin seine Evolutionstheorie mit dem Konzept der natürlichen Auslese veröffentlicht hatte. Darwin hatte geschlussfolgert, dass es evolutionäre Zwischenformen gab (und geben würde). Mit dem Fossil hatte man ein evolutionäres Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln entdeckt. Das Fossil wurde zum Urvogel gekrönt – zum allerersten Vogel.

Seither wurde der Archaeopteryx eingehend studiert und debattiert, auch hinsichtlich seiner möglichen Flugfähigkeit.

Das akademische Hin und Her drehte sich hauptsächlich darum, was das Fossil nicht hatte. Man „verglich den Archaeopteryx mit einem lebenden Vogel und kommentierte das, was ihm fehlte“, sagt Julia Clarke. Die Paläontologin der Universität von Texas in Austin war an der neuen Studie nicht beteiligt.

BELIEBT

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    Künstlerische Darstellung eines Archaeopteryx im Flug.
    Foto von Illustration by Jana Růžičková

    Heute lebende flugfähige Vögel haben beispielsweise ein Brustbein, an dem die kräftige Flugmuskulatur ansetzt, die für den Flügelschlag der Vögel wichtig ist. Bei Archaeopteryx-Fossilien wurden keine Brustbeinknochen gefunden, aber Clarke weist darauf hin, dass diese Skelettstruktur womöglich aus Knorpelgewebe bestand und daher nicht versteinerte.

    Um die Debatte voranzutreiben, landete der Archaeopteryx immer wieder unter dem Mikroskop. Nur wenige Einrichtungen sind für diese Art der Untersuchungen so gut ausgestattet wie die European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble, die einen der leistungsstärksten Röntgenscanner der Welt betreibt.

    „Ein großer Teil der Forschung hatte indirekte Beweise für die Flugfähigkeit gefunden, aber das war nie wirklich fundiert“, sagt der Paläontologe Dennis Voeten vom ESRF, der Hauptautor der neuen Studie. „Wir haben beschlossen, es von der anderen Seite her anzugehen: Wir haben aktiv versucht, am Skelett Hinweise für die Flugfähigkeit zu finden, anstatt einfach nur Voraussetzungen zu identifizieren, die den Flug vielleicht oder vielleicht auch nicht ermöglicht haben könnten.“

    Voeten und seine Kollegen haben drei der elf weltweit bekannten Archaeopteryx-Skelette mit Röntgenstrahlen untersucht. Ihr Ziel war es, Bilder des schmalsten Mittelteils der Flügelknochen zu erzeugen.

    Das Münchner Archaeopteryx-Exemplar wird in der European Synchrotron Radiation Facility gescannt.
    Foto von Pascal Goetgheluck, ESRF

    Die Forscher maßen die Dicke der Außenwände der Knochen und berechneten dann die sogenannte Torsionsfestigkeit – also ihre Festigkeit gegen eine verdrehende Kraft. Einer solchen Belastung sind die Flügelknochen des Vogels beim Schlagen der Flügel ausgesetzt. Verallgemeinert lässt sich sagen, dass ein Vogel umso länger fliegen kann, je höher die Torsionsfestigkeit seiner Flügelknochen ist.

    Das Team verglich dann die Daten des Archaeopteryx mit denen von 55 heute lebenden Vögeln, zwei Krokodilen und zwei Flugsaurierarten. Die Maße des Archaeopteryx passten am besten zu denen jener heutigen Vögel, die kurze Strecken fliegen können, beispielsweise Wachteln und Fasanen.

    Darüber hinaus entdeckte Voeten, dass das Skelett des Archaeopteryx genau wie das heutiger Vögel eine Vielzahl an Blutgefäßen hatte. Das lässt darauf schließen, dass Wachstum und Stoffwechsel des ausgestorbenen Tieres denen moderner Vögel mehr glichen, als man bisher dachte.

    SCHLAG AUF SCHLAG

    Voeten ist sich des akademischen Feuers, in das er sich begibt, durchaus bewusst und verweist darauf, dass seine Studie sicher nicht die letzte zu dem Thema sein wird.

    „Ich will auf keinen Fall sagen, dass ich den Code ein für alle Mal entschlüsselt habe“, sagt er. Die Forscher weisen auch darauf hin, dass der Archaeopteryx ihren Daten zufolge nicht in der Lage war, den Flügelschlag moderner Vögel durchzuführen. Wie genau das Tier seine Flügel einsetzte, wird noch immer untersucht.

    Tiere wie der Archaeopteryx „brauchten keine ausgeprägte Brustmuskulatur oder große Brustknochen, sondern fanden andere Wege, um sich in die Lüfte zu schwingen“, sagt Brusatte. „Und das bedeutet wahrscheinlich, dass sogar einige Dinosaurier, welche die Grenze zum Vogel noch nicht ganz überschritten hatten, vielleicht ein bisschen mit ihren Flügeln schlagen konnten.“

    Clarke zufolge entsprechen solche Variationen den Erwartungen. Im späten Jura war die Evolution quasi noch in der Entwurfsphase, als eine ganze Menagerie an gefiederten Sauriern zögerlich die Lüfte eroberte. Erst dann konnte die Evolution die Flugfähigkeit wirklich verfeinern, bis sie ihre heutige Form annahm.

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