Fliegender Riese machte einst Transsylvanien unsicher

Mach Platz, Dracula: Das Fossil eines fliegenden Reptils gehörte einem der seltsamen großen Flugsaurier, die einst in Rumänien lebten.

Von John Pickrell
Veröffentlicht am 10. Mai 2018, 06:00 MESZ
Eine Skelettrekonstruktion eines Flugreptils namens “Dracula”. Der riesige Pterosaurier aus der Familie der Azhdarchoidea wurde in ...
Eine Skelettrekonstruktion eines Flugreptils namens “Dracula”. Der riesige Pterosaurier aus der Familie der Azhdarchoidea wurde in derselben Region gefunden wie das neu zugeordnete Fossil.
Foto von Aart Walen, Creatures & Features

Ein Kieferknochenfossil aus Rumänien ist nun der größte je entdeckte Flugsaurierknochen dieser Art. Seine Größe lässt auf ein riesiges Tier mit circa 8,8 Metern Flügelspannweite schließen, das einst seinen Schatten auf das heutige Transsylvanien warf.

Gegen Ende der Kreidezeit, als der Meeresspiegel höher war, lebte das Raubtier auf einem Archipel aus diversen Inseln. Dort fristete es sein Dasein kurz vor dem Massensterben vor 66 Millionen Jahren, welches alle Flugsaurier und nicht flugfähigen Saurier ausrottete.

Vermutlich handelte es sich um einen relativ großen, gedrungenen Pterosaurier mit einem kurzen Hals und großen Kopf. Womöglich war er ein Allesfresser, der auch Dinosauriereier, kleine Krokodile, Schildkröten und große Fische verschlang.

„Es ist nicht der größte Flugsaurier, der je gefunden wurde, aber es ist der größte Unterkiefer, der bisher geborgen wurde. Die rekonstruierte Länge beträgt 110 bis 130 Zentimeter“, sagt der Paläontologe Mátyás Vremir von der Transylvanian Museum Society. Er leitete eine neue Studie, die im Fachmagazin „Lethaia“ erschien und den Fund beschreibt.

„Das könnte auf einen sehr großen Pterosaurier hindeuten – möglicherweise mit acht bis neun Metern Flügelspannweite.”

Es handelt sich um die dritte riesige Flugsaurierart, die bisher in der Region gefunden wurde. Damit kann sich Transsylvanien nun mit der weltweit größten bekannten Dichte riesiger Flugreptilien brüsten. Unter ihnen befindet sich auch ein 2009 entdeckter Riese, dem Forscher den Spitznamen „Dracula“ verpassten und der womöglich der größte Flugsaurier war, der je gelebt hat.

Dank dieser und anderer Flugsaurierfunde, die in Rumänen gemacht wurden, gewinnen Paläontologen ein besseres Verständnis dafür, wie sich die geflügelten Riesen in ihr prähistorisches Ökosystem einfügten.

„Bis auf ein paar Krümel war nach mehr als einem Jahrhundert von Fossilfunden in Transsylvanien nichts über Pterosaurier bekannt – bis vor 16 Jahren”, sagt Vremir. „In den letzten zehn Jahren hat sich das Bild dann grundlegend gewandelt und man hat mehr als 50 Fossilien an diversen Fundorten entdeckt.“

Ungewöhnliche Proportionen

Der gewaltige Kieferknochen – bisher der einzige Knochen der neuen Art, den man gefunden hat – wurde ursprünglich 1978 in der Region um Hațeg ausgegraben. Damals erkannte man jedoch nicht, dass es sich um einen Flugsaurierknochen handelte. Vremir und sein Co-Autor Gareth Dyke, ein Paläontologe der ungarischen Universität Debrecen, besuchten 2011 die Bukarester Fossilsammlung und bemerkten das Versäumnis.

Auch einer der größten benannten Flugsaurier, der Hatzegopteryx, wurde bei Hațeg entdeckt. Er war so groß wie eine Giraffe und hatte womöglich eine Flügelspannweite von bis zu elf Metern. Aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen dem neu zugeordneten Fossil und dem Kiefer eines verwandten ungarischen Flugsauriers namens Bakonydraco glauben Vremir und seine Kollegen, dass die noch unbenannte Art einen größeren, kräftigeren Kopf als Hatzegopteryx hatte, obwohl sie insgesamt ein wenig kleiner war.

BELIEBT

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    Ein Handgelenksknochen des riesigen Flugsauriers “Dracula” wurde ebenfalls in Rumänien entdeckt.
    Foto von Vremir Matyas

    All diese Pterosaurier gehören einer Familie namens Azhdarchidae an, deren Mitglieder recht groß waren und sich durch seltsame Proportionen auszeichneten. Sie bewegten sich auf allen Vieren fort und jagten ihre Beute am Boden.

    Jedes der Tiere war gewissermaßen „ein riesiger Kopf samt Hals mit angetackerten Flügeln”, sagt Michael Habib, ein Experte für Pterosaurier an der University of Southern California. Ein typischer Azhdarchid wie der nordamerikanische Quetzalcoatlus hatte einen Kopf, der etwa dreieinhalb Mal so groß wie der Torso des Tieres war.

    „Einige waren länger und schlaksiger, während andere eher gedrungene Kraftpakete waren, die es vermutlich mit größerer Beute aufnahmen“, so Habib. „Wir extrapolieren hier viel, weil es nicht besonders viele Fossilien gibt. Aber wenn wir annehmen, dass die neue Art eher zur robusten Sorte gehörte, fraß sie vielleicht etwas größere Beute als die pinzettenschnabeligen Azhdarchidae.

    Inselparadies

    Das jüngste Fossil ist Teil eines größeren Projekts, für das alle Flugsaurier untersucht werden, die in jüngerer Zeit in den Gesteinsschichten aus der späten Kreidezeit gefunden wurden. Laut Vermur ist das Ziel unter anderem, mehr darüber zu erfahren, was sie über ihr prähistorisches Inselparadies erzählen können.

    „Es schien in der späten Kreidezeit eine Konzentration dieser Riesen gegeben zu haben. Vermutlich überschnitten sich einige Pterosaurier-Arten zeitlich, und allesamt wurden sehr groß“, sagt Habib. „Womöglich waren die Bedingungen mitunter einfach sehr günstig für sie.“

    Wenn einer dieser Jäger auf einer Insel des Archipels gelandet wäre, wäre er dort das größte Raubtier gewesen. Damit hätte er ein relativ sicheres Leben führen und genügend Beute sowie gute Nistplätze finden können.

    Womöglich hat der Pterosaurier „Dracula” auf diese Weise seine gigantische Größe erreicht, die an die Grenze dessen stößt, was für fliegende Reptilien möglich sein dürfte.

    Ein fossiler Knochen eines riesigen Pterosauriers namens “Dracula” lugt aus einem felsigen Aufschluss in Sebeș hervor.
    Foto von Vremir Matyas

    Die lebensgroße Rekonstruktion, die derzeit im Dinosaurier-Museum Altmühltal ausgestellt wird, lässt vermuten, dass das Tier am Boden eine Höhe von dreieinhalb Metern und eine Flügelspannweite von fast zwölf Metern erreichte. Zudem lässt die Form einiger Knochen (beispielsweise von Schulter und Flügel) darauf schließen, dass es eventuell flugunfähig war.

    Das bedeutet aber nicht, dass die Tiere ihr ganzes Leben lang nicht fliegen konnten, sagt Habib. Womöglich schlüpften sie flugfähig und verloren die Fähigkeit dann irgendwann, wenn sie groß und schwer genug wurden, um nicht mehr Gefahr zu laufen, als Beute zu enden.

    „Ich bin ziemlich sicher, dass der Sebeș-Riese flugunfähig war“, sagt Vremir. „Die Elefantenvögel von Madagaskar wären dafür eine gute Analogie, da Transsylvanien während [der späten Kreidezeit] auch eine Insel war.“

    Die riesigen Flugsaurier Rumäniens „scheinen etwas vielfältiger und seltsamer zu sein als jene, die wir sonst noch kennen”, stimmt Dave Hone zu, ein Paläontologe der at Queen Mary University in London. „Inseln sind berüchtigt dafür, Seltsamkeiten hervorzubringen. Wir haben ein Haufen komischer Dinosaurier aus Hațeg und einen Mangel an wirklich großen Fleischfressern. Die Pterosaurier waren also im Grunde ein Ersatz für den Tyrannosaurus.“

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