Mehr Spenderorgane durch neue Medikamente

Bis vor Kurzem wurden Spenderorgane von Drogentoten mit Hepatitis C in den USA noch entsorgt.

Von Julie Appleby, Kaiser Health News
Veröffentlicht am 13. Aug. 2018, 16:30 MESZ
Chirurgen in Madrid nehmen eine Nierentransplantation vor.
Foto von PIERRE-PHILIPPE MARCOU, AFP, Getty Images

Als ihre Nieren aufgrund derselben Krankheit versagten, die schon ihrer Mutter und ihrem Bruder das Leben gekostet hatte, begann Anne Rupp im Mai 2016 ihre Dialysebehandlung. Dreimal die Woche verbrachte sie jeweils drei Stunden damit, ihr Blut reinigen zu lassen. Sie hasste es.

Rupp, die an Zystennieren litt, ließ sich auf die Liste für eine Nierentransplantation setzen, auf der mehr als 95.000 US-Amerikaner stehen. Sie wusste, dass sie womöglich jahrelang auf eine Organspende warten musste.

Aber eine experimentelle und kontroverse Quelle von Spenderorganen lieferte eine deutlich schnellere Lösung. Kostspielige Arzneien zur Behandlung von Hepatitis C ermöglichen es, Spenderorgane von Opioid-Opfern zu benutzen, die mit dem einst tödlichen Virus infiziert waren.

Rupp hatte an einer Studie teilgenommen, bei der Patienten sich dazu bereiterklärten, infizierte Spendernieren anzunehmen. Sechs Monate später erhielt sie um 7:30 Uhr morgens einen Anruf in ihrem Zuhause in York, Pennsylvania: „Wir haben eine Niere für Sie!“

Die Zahl der Organspender, die an einer Überdosis Drogen gestorben sind, ist seit 2012 um mehr als 200 Prozent gestiegen, wie aus Daten des United Network for Organ Sharing (UNOS) hervorgeht. Insgesamt machen sie mehr als 13 Prozent aller Organspender aus. Etwa 30 Prozent der 1.382 Menschen, die 2017 an einer Überdosis gestorben sind, wurden positiv auf Hepatitis C getestet.

Früher wurden Organe, die dem Virus ausgesetzt waren, für gewöhnlich entsorgt oder an Patienten gegeben, die bereits von der Krankheit betroffen waren. Wenn man diese Organe aber auch für Patienten nutzt, die den Virus nicht haben, könnte das jedes Jahr die Wartezeit für hunderte Patienten verkürzen.

„Das ist sehr aufregend, weil noch vor fünf Jahren 100 Prozent der gespendeten Hepatitis-C-Herzen vergraben wurden, und jetzt werden manche davon genutzt“, sagt Peter Reese, ein Medizinprofessor der University of Pennsylvania. „Die Welt hat sich verändert.“

Aber Patienten, die ein solches Organ erhielten, brauchten fast immer eine gleichzeitige Behandlung gegen Hepatitis C. Diese beinhaltete eine sechs- bis zwölfwöchige Einnahme von Medikamenten, die zehntausende Dollar kosten. Zudem ist noch nicht bekannt, ob die langfristige Einnahme dieser Medikamente sicher und effektiv ist.

„Wir haben das noch nie zuvor gemacht“, hatte Rupps Arzt am Johns Hopkins Hospital in Baltimore in Maryland gesagt, als er ihr von der Möglichkeit erzählte, wie sie sich erinnert. Allerdings würden die neuen Medikamente Hepatitis C fast immer heilen, wie er erklärte.

Manche Hepatitis-C-Patienten haben zwar keine Symptome, aber wenn der Virus unbehandelt bleibt, kann er zu chronischen Leberschäden und Leberversagen führen.

Die Hopkins-Studie sowie andere national durchgeführte Studien eröffneten zwar neue medizinische Möglichkeiten, stellten die Patienten aber vor ein potentielles Finanzierungsproblem.

Da die Prozedur als experimentell gilt, wird sie von vielen Krankenversicherungen nicht abgedeckt, ebenso wenig wie die Hepatitis-C-Medikamente, die Teil der Behandlung sind.

Versicherungen, die auf Anfrage für diesen Artikel geantwortet haben, sagten für gewöhnlich, dass sie jeden Fall individuell betrachten und die Kosten für die Medikamente übernehmen, die sie als notwendig einstufen.

Forschern und Ethikern zufolge müsse die Kostenfrage geklärt werden, bevor die neue Prozedur großflächig verfügbar wird.

„Wie kann man jemanden ganz bewusst infizieren, wenn man nicht zu 100 Prozent sicher ist, dass sein Versicherer [die Behandlung] bezahlen wird?“, sagt Christine Durand, eine Medizinprofessorin der Johns Hopkins University School of Medicine.

An der Hopkins University bekommen die Patienten die Medikamente bereits vor der Operation. Bei anderen Programmen wird gewartet, bis der Patient positiv auf Hepatitis C getestet wurde, was für gewöhnlich in den ersten paar Tagen nach einer Transplantation geschieht. Im Rahmen einer Studie werden die Medikamente für gewöhnlich vom Hersteller oder der Institution bezahlt, die die Forschung durchführt.

Als die Medikamente Ende 2013 auf den Markt kamen, kostete eine Behandlung 100.000 Dollar. Als mehr antivirale Mittel verfügbar wurden, sanken die Preise. Außerdem lockerten Versicherungen die Deckungsgrenzen für Menschen, die chronisch an Hepatitis C litten. Der durchschnittliche Nettopreis für eine Behandlungseinheit einer Hepatitis-C-Therapie beträgt nun 25.167 Dollar, wie SSR Health berichtet, die Teil des Anlageforschungsunternehmens SSR LLC ist.

Außerhalb dieser Studien haben viele Chirurgen die Übernahme der Kosten für die Medikamente von der Versicherung erbeten und oft auch erhalten. Durand zufolge ist der Vorgang kosteneffektiv, da die Medikamente weniger kosten als eine fortwährende Dialyse oder künstliche Herzen.

Forscher sind sich noch uneins darüber, ob es ausreichend Belege gibt, die eine Anwendung der Prozedur außerhalb wissenschaftlicher Studien rechtfertigen.

„Das entspricht nicht dem heutigen Pflegestandard, aber es geht in diese Richtung“, sagte Durand.

Andere mahnen zur Vorsicht, bis sich Langzeitergebnisse abzeichnen.

Bei den ersten 20 Patienten der Hopkins University und der University of Pennsylvania, die im Rahmen einer veröffentlichten Studie Spendernieren erhielten, konnte Hepatitis C erfolgreich geheilt werden. „Wenn wir 100 oder 200 Patienten hätten, könnten wir besser beurteilen, ob die Heilungsrate bei 100 Prozent liegt“, sagte Reese von der University of Pennsylvania.

Im Rahmen des Herztransplantationsprogramms des Vanderbilt University Medical Center in Nashville erhielten bisher 42 nicht infizierte Patienten Herzen, die dem Hepatitis-C-Virus ausgesetzt waren. Ihr Gesundheitszustand wird weiterhin überwacht. Der Programmdirektor Ashish Shah merkte an, dass einige Menschen mit unbehandelter oder langwieriger Hepatitis C eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken.

„Das müssen wir im Auge behalten“, sagte er, verwies aber auch darauf, dass Patienten mit schweren Herzfehlern sterben würden, wenn sie zu lange auf ein Spenderorgan warten müssen.

„Es ist vernünftig anzunehmen, dass das Risiko [eines Spenderorgans von einem infizierten Spender] deutlich geringer ist“, sagte er.

Jay Fuentes, ein 45 Jahre alter Krankenpfleger in Quakertown, Pennsylvania, nahmen an der Studie der University of Pennsylvania teil, weil er hoffte, nach seinem Nierenversagen im Jahr 2017 so schneller ein Spenderorgan zu erhalten.

„Da musste ich gar nicht drüber nachdenken“, sagte Fuentes. „Wenn ich in der ersten Gruppe gewesen wäre und das noch nie zuvor getestet worden wäre, hätte ich vielleicht gezögert.“

Er wurde kurz nach der OP positiv auf Hepatitis C getestet und erhielt 90 Tage lang antivirale Mittel. Ihm zufolge fallen seine Tests jetzt nicht mehr positiv aus und er tritt im örtlichen Theater wieder mit seinen Kindern auf.

„Ich konnte wieder richtig aufleben“, sagte Fuentes.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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