Trauma und Demenz: Schnecken helfen bei Erforschung menschlicher Erinnerungen

Die Untersuchung der Erinnerungsbildung bei Schnecken könnte bei der Entwicklung neuer Medikamente für menschliche Leiden helfen.

Von Elaina Zachos
bilder von Oautlook, Alamy
Veröffentlicht am 15. März 2018, 15:28 MEZ
Spitzschlammschnecke
Die Mechanismen, die bei Spitzschlammschnecken (Lymnaea stagnalis) für die Erinnerungsbildung verantwortlich sind, könnten eines Tages bei der Entwicklung von Medikamenten für Demenz und posttraumatische Belastungsstörungen helfen.
Foto von Oautlook, Alamy

Wenn man sich eine Schnecke und einen Menschen ansieht, fallen einem durchaus ein paar offensichtliche Unterschiede auf. Jahrzehnte der Forschung resultierten aber in der Schlussfolgerung, dass zumindest unsere Erinnerungen ähnlicher sein könnten als gedacht.

Erinnerungen und ihre Entstehung werden im Bereich der Neurowissenschaft schon seit einer ganzen Weile untersucht, und trotzdem gab es in diesem ausgesprochen komplexen Forschungsfeld bisher nur winzige Fortschritte.

Ein solcher Fortschritt ist die Erkenntnis, dass das Gedächtnis wahrscheinlich über zahlreiche Organismen hinweg recht ähnlich funktioniert, zumindest auf einer molekularen Ebene. Eric Kandel, ein Neurowissenschaftler an der Columbia Universität, hat jahrelang das Gedächtnis von Mäusen und Schnecken untersucht und für seine Arbeit im Jahr 2000 sogar einen Nobelpreis gewonnen. 

„Diverse Leute haben auf dieser Forschung aufgebaut, die sich als äußerst relevant erwiesen hat“, sagt David Glanzman, ein Professor für Neurobiologie am Hirnforschungsinstitut der UCLA und der Abteilung für integrative Biologie und Physiologie. „Das Ziel dieser Forschungsrichtung ist es, das Gedächtnis auf seine einfachste Form zu reduzieren. Die Neuronen dieser Schnecken sind sehr groß und eignen sich großartig für elektrophysiologische Messungen.“

Die Elektrophysiologie befasst sich mit den elektrochemischen Eigenschaften von Zellen und Gewebe. Sie kann Ärzten nicht nur dabei helfen, abnormalen Herzrhythmen auf den Grund zu gehen, sondern spielt auch bei der Erforschung von Erinnerungen und ihrer Entstehung eine Rolle.

Neue Forschungsergebnisse aus Studien mit Spitzschlammschnecken (Lymnaea stagnalis) von der Universität von Sussex könnten nun Einblicke in das menschliche Gedächtnis liefern. Die Studie wurde in „Scientific Reports“ veröffentlicht und enthält einige Hinweise darauf, wie Erinnerungen an Traumata funktionieren und wie Erinnerungen kontrolliert und manipuliert werden können.

SCHNECKENHIRNE

Sogenannte Blitzlichterinnerungen sind lebhafte und detailgenaue Erinnerungen an emotional bewegende und schockierende Erfahrungen. Sie treten vor allem bei Traumapatienten auf, beispielsweise bei Kriegsveteranen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden.  

Das neurale Netzwerk des Menschen lässt sich nicht besonders gut untersuchen, da Wissenschaftler nicht einfach die Gehirne lebender Menschen sezieren können. Derartige Studien wären nicht nur äußerst unmoralisch, sondern auch illegal. Bei Schnecken sieht das allerdings anders aus. 

„Bis zu einem gewissen Grad kann man [Schnecken] nutzen, um die Mechanismen zu untersuchen, die bei solchen lebhaften Erinnerungen [von Menschen] eine Rolle spielen“, sagt Sergei Korneev, einer der Autoren der neuen Studie.

Für diese Studie haben Korneev und andere Forscher Schnecken darauf trainiert, bestimmte Aktivitäten durchzuführen, und entnahmen dann während unterschiedlicher Stadien der Erinnerungsbildung ihre Gehirne. Dann identifizierten sie bestimmte Moleküle und sequenzierten und verglichen sie. Dabei legten sie ein besonderes Augenmerk auf die MikroRNAs, die für die Bildung von Langzeiterinnerungen eine entscheidende Rolle spielen.

Im Anschluss sahen sie sich die Proteine CREB1 und CREB2 an, die kontrollieren, wie Erinnerungen entstehen. Sie regulierten abwechselnd die Konzentration der Proteine, die an der Erinnerungsbildung beteiligt waren, und identifizierten ein Molekül namens MikroRNA-137.

„Wenn wir die Aktivität von 137 blockieren, wird die Bildung von Langzeiterinnerungen erheblich beeinträchtigt“, sagt Korneev.

Der nächste Schritt besteht ihm zufolge darin, andere Moleküle auszumachen, die direkt an der Bildung von Langzeiterinnerungen beteiligt sind. Im menschlichen Gehirn gibt es Hunderte verschiedener Arten von MikroRNA, und die aktuelle Studie hat nur eine davon untersucht.

MENSCHLICHER NUTZEN

Die Studie ist die erste, die zeigt, dass spezifische MikroRNAs schon nach einer Lernepisode für die Bildung von Langzeiterinnerungen wichtig sind. Sie ermöglicht ein neues Verständnis dafür, wie selbst einfache Organismen wie Schnecken sich an Aufgaben erinnern können.

BELIEBT

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    Wenn die Forscher lernen, die Konzentration von Proteinen zu regulieren, könnten sie vielleicht Medikamente entwickeln, um Menschen mit diversen Gedächtnisprobleme zu helfen. Bei Demenzkranken könnte man beispielsweise die Blockade für die Bildung neuer Erinnerungen entfernen, während man bei Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung schmerzhafte Erinnerungen unterdrücken könnte.  

    „Für mich gibt es gar keine Frage, dass diese Art der Forschung für die Alzheimer-Krankheit relevant sein wird“, sagt Glanzman, der an der Studie nicht beteiligt war. „Wenn mit dem Gedächtnis etwas nicht stimmt, kann man auf einfache Organismen zurückgreifen, um Hinweise darauf zu erhalten, was beim Menschen schieflaufen könnte.“

    Je mehr wir darüber lernen, wie Schnecken Erinnerungen bilden, desto mehr Hoffnung gibt es für die letztendliche Entwicklung von Medikamenten für menschliche Erkrankungen.

    „Auch, wenn es seltsam wirkt, das Gedächtnis von Schnecken zu erforschen, wird so etwas schon sehr lange gemacht und liefert uns jetzt entscheidende Einblicke in das Gedächtnis von Säugetieren und Menschen“, sagt Glanzman und verweist darauf, dass man für die Erforschung des menschlichen Gedächtnisses auch schon Fruchtfliegen benutzt hat. „Das scheint vielleicht obskur, ist es aber nicht.“

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