Kosmischer Knall: Sieht so die Geburt eines Schwarzen Lochs aus?

Astrophysiker überschlagen sich geradezu mit Theorien über ein äußerst ungewöhnliches Aufleuchten, das sie beobachtet haben.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 11. Jan. 2019, 16:51 MEZ
Ein dichter Neutronenstern – das Endstadium eines massereichen Sterns – befindet sich inmitten des Objekts E0102, ...
Ein dichter Neutronenstern – das Endstadium eines massereichen Sterns – befindet sich inmitten des Objekts E0102, ein Supernova-Überrest in 200.000 Lichtjahren Entfernung zur Erde. Astronomen, die nach solchen Sternenexplosionen Ausschau halten, haben in der Galaxie CGCG 137-068 womöglich gerade die Geburt eines Neutronensterns – oder gar eines Schwarzen Lochs – gesehen.
Foto von (NASA/CXC/ESO/F.Vogt et al); Optical (ESO/VLT/MUSE & NASA/STScI)

Als vor über 200 Millionen Jahren die Dinosaurier über die Erde stampften, begann ein gewaltiger Stern seinen Todeskampf. Die kosmische Explosion, die sich daraus ergab, war so ungewöhnlich, dass sie die Astronomen ratlos zurückließ, als ihre Wellen unseren Planeten im vergangenen Juni endlich erreichten.

Nun könnte der Ursprung des mysteriösen Aufleuchtens geklärt sein. Auf Basis der jüngsten Observationen dieser seltsamen Supernova mit dem Spitznamen Cow (dt.: Kuh) will ein Team aus 45 Astronomen das Rätsel gelöst haben: Es soll das erste Mal gewesen sein, dass Menschen den exakten Moment eingefangen haben, in dem aus einem sterbenden Stern ein Schwarzes Loch entsteht.

„Das ist genau das, auf was wir jahrelang gewartet haben“, sagt die Teamleiterin Raffaella Margutti, eine Astrophysikerin an der Northwestern University. Sie und ihre Kollegen präsentierten ihre Ergebnisse auf dem Jahrestreffen der Astronomical Society in Seattle und werden sie bald im „Astrophysical Journal“ veröffentlichen.

Die Daten des Teams, die es in mehreren Bereichen des elektromagnetischen Spektrums sammelte, könnten aber auch bedeuten, dass ein gewaltiger Stern zu einem Neutronenstern kollabierte. Andere Teams, die Cow untersucht haben, haben weitere alternative Erklärungen für sein ungewöhnliches Verhalten gefunden.

Was genau wissen wir derzeit über Cow und wieso sind sich die Astronomen so uneins bei der Auswertung?

Wo befindet sich Cow und woher kommt eigentlich dieser Spitzname?

Cow explodierte am Rande von CGCG 137-068, einer Zwergspiralgalaxie in etwa 200 Millionen Lichtjahren Entfernung zur Erde. Sein Spitzname ist eine Kurzform seiner automatisch generierten, formellen Bezeichnung: AT2018cow. Am 16 Juni 2018 entdeckte ein Team aus Astronomen die Explosion mit Hilfe des ATLAS-Teleskops auf Hawaii und informierte am Folgetag andere Astronomen. Somit richtete sich gleich eine ganze Schar von Teleskopen auf das Ereignis am Himmel.

BELIEBT

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    Am 17. August 2018 machte das DEIMOS-Instrument am W.M. Keck Observatory dieses Bild von AT2018cow in seiner Galaxie.
    Foto von R. Margutti, W. M. Keck Observatory

    Was macht Cow so besonders?

    Cow ist zwar nicht der erste Lichtblitz dieser Art, den wir am Nachthimmel entdeckten, aber kein anderer war uns bislang so nah. Damit haben Wissenschaftler eine bisher einmalige Chance, ihn im Detail zu betrachten. Außerdem wurde er sehr schnell sehr hell. Auf seinem Höhepunkt leuchtete Cow im Röntgenbereich um ein Vielfaches heller als gewöhnliche Supernovae. Während diese aber oft Wochen brauchen, um ihren Höhepunkt zu erreichen, erreichte Cow sein Leuchtmaximum schon nach ein paar Tagen.

    Zudem war seine Energiequelle nicht direkt erkennbar. Für gewöhnlich beziehen Supernovae die Energie für ihre gewaltige Explosion aus dem radioaktiven Isotop Nickel-56. Als Astronomen aber errechneten, wie viel Materie Cow ausgeschleudert hatte, kamen sie auf eine überraschend geringe Menge – etwa ein Zehntel der Masse unserer Sonne. Im Normalfall stoßen Supernovae allerdings Materie von der Masse mehrerer Sonnen aus.

    Selbst, wenn es sich bei der von Cow ausgestoßenen Materie vollständig um Nickel-56 handeln würde, wäre das nicht genug, um genug Energie für die beobachtete Explosion zu liefern. Zudem enthielt die Materie Wasserstoff und Helium, womit die Forscher überhaupt nicht gerechnet hätten: Jene Sterne, die zu einer Supernova werden, haben diese Elemente im Normalfall längst verbraucht, da sie ihnen als Treibstoff für ihre Kernfusion dienen.

    Darüber hinaus fiel Cow auch durch seine ungewöhnliche Strahlung auf. Marguttis Team ließ das Röntgenteleskop NuSTAR der NASA auf das Objekt richten. Eine Woche nach seinem Auftreten zeigten die Daten, dass Cow im Bereich der hochenergetischen Röntgenstrahlung deutlich heller wurde. „Als wir die Daten sahen, dachten wir erst, dass uns vielleicht ein Fehler unterlaufen sei“, sagt Margutti.

    Wodurch wurde Cow verursacht?

    Laut dem derzeitigen Konsens der Wissenschaftler befindet sich im Kern des Objekts vermutlich eine Art „zentraler Motor“, der diese hochenergetischen Röntgenstrahlen erzeugt. Dieser Motor wird von einer deutlich asymmetrischen Ansammlung von Materie umgeben, die bei einer Explosion weggeschleudert wurde.

    „Es gibt so einen Witz, dass wir [Physiker] alles immer als sphärische Kühe modellieren. Das da war eindeutig eine asphärische Kuh“, sagte der Co-Autor Brian Metzger, ein Physiker der Columbia University. „Es wäre wirklich schwer, das als sphärisches Ereignis zu erklären, denn wenn die optische Strahlung von der Röntgenquelle ausgeht, wie kommen die Röntgenstrahlen dann zu uns?“

    Im Modell von Marguttis Team bewegt sich die Materie, die an den Polen des Objekts ausgeschleudert wird, schneller – und wird eher transparent – als die Wolken rund um den Äquator des Objekts. Diese äquatorialen Wolken absorbieren die hochenergetischen Röntgenstrahlen des Motors, wodurch sich die Wolken aufheizen und das sichtbare Licht von Cow erzeugen. Einige dieser Röntgenstrahlen könnten an den Polen trotzdem entkommen.

    Die Radiosignale von Cow verdeutlichen derweil seine zerstörerische Kraft. Als Cow explodierte, wurde ein Teil der Materie mit mehr als 29.000 km/s weggeschleudert – also mit bis zu einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit. Das schnellste Material scheint in einen dichten Partikelschleier rund um Cow geschossen zu sein und hat so die Radiostrahlung des Objekts erzeugt.

    Was ist der „zentrale Motor“ von Cow?

    Marguttis Team hat dazu zwei Theorien. Cow könnte ein hochmagnetischer Neutronenstern sein, der sich pro Sekunde etwa tausendmal um sich selbst dreht. Die andere Möglichkeit ist, dass das Objekt entstand, als die Explosion eines gewaltigen und sehr heißen Sterns – ein Blauer Überriese – quasi fehlzündete und ein Schwarzes Loch entstand.

    In diesem Szenario kollabierte ein Großteil des inneren Sterns zu einem Schwarzen Loch, was sich in seinen äußeren Schichten jedoch nicht sofort bemerkbar machte. Als das Schwarze Loch dann aber an Kraft gewann, entkam ihm ein kleiner Schwarm Neutrinos. Durch den Flug dieser Teilchen aus dem Zentrum des Sterns wurde auch ein Teil der äußeren Materie herausgeschleudert, bevor das Schwarze Loch alles verschlingen konnte. Die Überreste bildeten bald eine Akkretionsscheibe um das neu entstandene Schwarze Loch.

    Gibt es andere Theorien darüber, was Cow sein könnte?

    Nicht nur Margutti und ihr Team vermuten, dass Cow irgendeinen zentralen Motor hat. In einer anderen Studie, die im „Astrophysical Journal“ erschien, kam ein Team unter der Leitung der Caltech-Astronomin Anna Y. Q. Ho zum gleichen Schluss.

    Aber Daniel Perley, ein Astrophysiker der Liverpool John Moores University, stellt in seiner eigenen Studie die These auf, dass Cow entstanden sein könnte, als ein bereits bestehendes, massereiches Schwarzes Loch einen Stern von ähnlicher Größe wie unsere Sonne fraß. Ein solches Ereignis wird als Tidal Disruption Event bezeichnet. Als die gewaltige Anziehungskraft des Schwarzen Lochs den Stern auseinanderriss, könnten dessen Gase sich in einer Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch gesammelt und so Cows Leuchten erzeugt haben.

    Die Frage ist nur, wie viel Sinn es macht, dass ein Schwarzes Loch von dieser Größe am Rande einer Galaxie existiert, also in einem Bereich, der Cows Signalen zufolge eine große Gasdichte hat. Aktuellen Theorien zufolge sollten Schwarze Löcher von diesem Kaliber sich in Sternclustern bilden, in denen es kaum freie Gase gibt.

    Margutti argumentiert, dass Cows Umgebung besser erklärt werden kann, wenn die umgebende Gaswolke Materie ist, die von einem großen Stern ausgeschleudert wurde, der später zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch kollabiert ist. Perley weist aber darauf hin, dass bislang noch kein Schwarzes Loch mit einer solchen Masse gefunden und untersucht wurde. Daher könne man nicht mit Sicherheit sagen, ob die Theorie der Realität standhalten könnte.

    „In [Marguttis] Team sind einige der führenden Supernova-Experten, aber ich hätte gerne noch die Meinungen der Experten für Tidal Disruption Events, um zu sehen, ob das auch funktionieren würde“, sagt Perley.

    Wie geht es weiter?

    Langfristige Observationen könnten dabei helfen festzustellen, um was es sich bei dem zentralen Motor in Cows Inneren handelt. Wenn sich im Herzen des Objekts ein magnetisierter Neutronenstern befindet, könnte er Metzger zufolge noch in vielen Jahren Röntgenflares ausstoßen. Ein Schwarzes Loch hingegen würde kein solches Flackern aufweisen.

    Am besten lässt sich allerdings mehr über Cow herausfinden, wenn man noch weitere solche Objekte findet. Erst seit Kurzem können Astronomen derartige Flares entdecken und in Echtzeit beobachten, da es immer mehr selbstgesteuerte Teleskope und umfangreiche Beobachtungen und Katalogisierungsprojekte gibt.

     „Diese Himmelsdurchmusterungen sind fast wie Filme“, sagt Metzger. „Wir betrachten das Universum nicht mehr als statisch, sondern als etwas, das sehr aktiv sein kann, sogar über einen Zeitraum von nur wenigen Tagen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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