Leben wir in einem Schwarzen Loch?

Möglicherweise liegt unser Universum innerhalb eines riesigen Schwarzen Lochs.

Von Michael Finkel
Eine überraschende Spiralform in der oben dargestellten aktiven Nachbargalaxie NGC 1433 zeigt Materie, die als Brennstoff in ein schwarzes Loch fällt. Beobachtet wurde aber auch ein Materiestrom, der sich vom schwarzen Loch weg bewegt.
Foto von ALMA ESO, NAOJ, Nrao, NASA, Esa, f. Combes

Wagen wir eine Reise in die Vergangenheit! In einer Zeit, lange bevor Menschen existierten, bevor sich die Erde formte, bevor sich die Sonne entzündete, bevor sich Galaxien bildeten, noch bevor Licht entstand, fand der Urknall statt. Zum Urknall kam es vor 13,8 Milliarden Jahren.

Aber was geschah vorher? Viele Physiker sagen, dass es ein „Vorher“ nicht gibt. Sie bestehen darauf, dass die Zeit im Moment des Urknalls zu laufen begann, und dass Gedanken an irgendetwas, das davor gelegen haben könnte, nichts mit Wissenschaft zu tun haben. Wir werden niemals verstehen, welche Realität vor dem Urknall existierte und aus welchen Teilen sie bestand und weshalb die große Explosion stattfand, bei der unser Universum geschaffen wurde. Diese Fragen liegen jenseits der menschlichen Erkenntnisfähigkeit.

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Im Zentrum unserer Galaxie lauert ein Supermassereiches Schwarzes Loch. Erfahrt mehr über die verschiedenen Arten von Schwarzen Löchern, ihre Entstehung und ihre Geschichte in der Wissenschaft.

Wie entstand unser Universum?

Allerdings geben sich einige unkonventionelle Wissenschaftler mit dieser Aussage nicht zufrieden. Diese Physiker stellen theoretische Überlegungen an, denen zufolge in dem Augenblick vor dem Urknall die gesamte Masse und Energie des entstehenden Universums an einem unvorstellbar dichten – aber endlichen – Fleck vereint war. Diesen könnte man als Samen eines neuen Universums bezeichnen.

Ihren Überlegungen zufolge war dieser Samen möglicherweise Milliarden mal kleiner als jeder Partikel, den Menschen jemals beobachten konnten. Dennoch war es ein Partikel, der alle anderen Partikel hervorbringen konnte: alle Galaxien, Sonnensysteme, Planeten und Lebewesen.

Wenn man irgendetwas als Gottesteilchen bezeichnen könnte, dann wäre es dieser Samen, der diesen Namen am ehesten verdient hätte.

Wie entsteht ein solcher Samen? Eine der Ideen, über die seit Jahren debattiert wird – insbesondere von Nikodem Poplawski von der University of New Haven –, besagt, dass dieser Samen unseres Universums im Brennofen aller Brennöfen geschmiedet wurde, in der vielleicht extremsten Umgebung der Natur: im Inneren eines Schwarzen Lochs.

BELIEBT

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    Multiversen vervielfältigen sich

    Bevor wir an dieser Stelle weiterdenken, ist es wichtig zu wissen, dass in den letzten Jahrzehnten viele theoretische Physiker zu der Ansicht gelangt sind, dass unser Universum nicht das einzige Universum ist. Stattdessen gehören wir möglicherweise zu einem Multiversum, zu einer riesigen Ansammlung vieler Universen, von denen jedes ein eigenes leuchtendes Gestirn am wahren Nachthimmel ist.

    Wie und ob die Universen untereinander in Verbindung stehen, wird heftig debattiert. Bei allen Hypothesen handelt es sich um Spekulationen, weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Nachweise geführt werden können. Eine besonders überzeugende Idee besagt jedoch, dass der Samen eines Universums dem Samen einer Pflanze ähnelt: Er ist eine Ansammlung essenzieller Substanzen, hoch komprimiert und verpackt in einer schützenden Hülle.

    Diese Beschreibung trifft präzise auf das Innere eines Schwarzen Lochs zu. Schwarze Löcher sind die Überreste massereicher Sterne. Wenn solchen Sternen der Brennstoff ausgeht, fällt ihr Kern in sich zusammen. Die Gravitationskraft zieht das gesamte Gebilde immer fester zusammen. Die Temperaturen erreichen 100 Milliarden Grad. Atome werden zerquetscht. Elektronen werden zerfetzt. Die Überreste werden noch weiter komprimiert.

    In dieser Phase des Prozesses ist aus dem Stern ein Schwarzes Loch geworden. Das bedeutet, dass die Gravitationskräfte nun so stark sind, dass nicht einmal ein Lichtstrahl ihrer Anziehung entkommen kann. Die Grenze zwischen dem Inneren und der Außenwelt eines schwarzen Lochs wird als Ereignishorizont bezeichnet. Gigantische Schwarze Löcher, von denen einige Millionen mal schwerer sind als die Sonne, wurden in den Zentren nahezu sämtlicher Galaxien beobachtet, auch in unserer eigenen Milchstraße.

    Einstein und Schwarze Löcher

    Versucht man, mithilfe der Theorien von Einstein festzustellen, was am Boden eines Schwarzen Lochs geschieht, lässt sich ein Punkt berechnen, der unendlich dicht und unendlich klein ist: ein hypothetisches Konzept, das als „Singularität“ bezeichnet wird. Aber Unendlichkeiten kommen in der Natur normalerweise nicht vor. Der Widerspruch ist in den Theorien von Einstein begründet. Sie ermöglichen ausgezeichnete Berechnungen für den größten Teil des Kosmos, versagen jedoch bei enormen Kräften wie zum Beispiel im Inneren eines Schwarzen Lochs – oder zum Zeitpunkt der Geburt unseres Universums.

    Physiker wie Dr. Poplawski sagen, dass die Materie innerhalb eines Schwarzen Lochs einen Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr weiter komprimiert werden kann. Der „Samen“ mag dann unvorstellbar winzig sein und mehrere Milliarden Sonnenmassen schwer, aber im Unterschied zu einer „Singularität“ ist er real.

    Nach Ansicht von Dr. Poplawski kommt der Verdichtungsprozess zum Stillstand, weil die Schwarzen Löcher rotieren. Sie rotieren extrem schnell, nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Wegen der Rotation ist der kompakte Samen extremen Torsionskräften ausgesetzt. Er ist nicht nur klein und schwer, sondern auch verdrillt und komprimiert, ähnlich einer Scherzartikel-Springschlange in einer Erdnuss- oder Chipsdose.

    Galerie: Das womöglich erste Bild eines Schwarzen Lochs

    Ein derartiges Gebilde kann plötzlich aufspringen – mit einem Knall. Und einen solchen Knall könnte man auch als Urknall bezeichnen oder wie Dr. Poplawski als „Big Bounce“ („Großer Rückprall“).

    Mit anderen Worten wäre es also möglich, dass ein Schwarzes Loch ein Übergangszustand zwischen zwei Universen ist – oder mit den Worten von Dr. Poplawski eine „Einwegtür“. Wenn eine Person also in das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße stolpern würde, wäre es vorstellbar, dass sie (wenn auch nur in Form ihrer zerfetzten Überreste) in einem anderen Universum wieder herauskommt. Dieses andere Universum befindet sich nicht innerhalb unseres Universums, ergänzt Dr. Poplawski. Das Loch ist lediglich die Verbindung, vergleichbar mit einer gemeinsamen Wurzel, die zwei Zitterpappeln verbindet.

    Aber was sagt das alles über uns Menschen, hier in unserem Universum? Wir könnten das Produkt eines anderen, älteren Universums sein. Dieses ließe sich als Mutteruniversum bezeichnen. Der Samen dieses Mutteruniversums, der im Inneren eines Schwarzen Lochs geschmiedet wurde, hatte vor 13,8 Milliarden Jahren seinen „Großen Rückprall“, und obwohl sich unser Universum seitdem rasant ausdehnt, könnte es sein, dass wir uns noch immer hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs befinden.

    Artikel in englischer Sprache veröffentlicht am 19. Februar 2014

    Weltraum

    Tausende Schwarze Löcher könnten im Zentrum der Milchstraße lauern

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