Fleisch aus dem Labor: Ist das unsere Zukunft?

Echtes Fleisch, für das kein Tier sterben muss: Weltweit stellen Unternehmen bereits Fleisch im Labor her. Könnte diese Fleischproduktion auch bald in Deutschland Alltag werden? Das sagt eine Food-Trendforscherin.

Von Viktoria Schütze
Veröffentlicht am 4. Nov. 2021, 14:02 MEZ
Eine Hand im Plastikhandschuh zeigt rohes Fleisch in einer Petrischale

Weltweit stellen Unternehmen bereits Fleisch im Labor her. 

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Immer mehr Menschen möchten auf herkömmliches Fleisch verzichten, zeigt der Fleischatlas 2021 der Henrich-Böll-Stiftung: Im Jahr 2012 kauften die Deutschen noch etwa 11.000 Tonnen Fleischersatz-Produkte. Nur sieben Jahre später waren es bereits 26.600 Tonnen. Vor allem junge Menschen verweigern den Fleischkonsum: Fast 13 Prozent der 15- bis 29-Jährigen in Deutschland leben vegetarisch oder vegan. Der häufigste Grund für eine vegetarische Ernährung laut einer Umfrage von POSpulse: das Tierwohl.

Fleisch und Tierleid werden unmittelbar in Verbindung gebracht. Dabei könnte es mit Cultured Meat durchaus eine Alternative geben: Statt vom toten Tier stammt Cultured Meat aus der Petrischale.

Fleisch aus dem Labor: Wie geht das?

Cultured Meat, In-vitro-Fleisch, Clean Meat, Labor- oder Kunstfleisch: Das Fleisch aus dem Labor hat viele Namen. Es wird aus tierischen Stammzellen gezüchtet. Diese Zellen stammen aus dem Muskelgewebe, welches einem lebenden Tier entnommen wurde. Danach werden die Stammzellen von anderen Zellen getrennt und in einem Biorektor mithilfe eines Nährmediums kultiviert.

Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und Food-Trendforscherin. Sie beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Wandel der Esskultur. Bereits 2013 durfte sie selbst bei einer Fernseh-Live-Übertragung in London In-vitro Fleisch verkosten. „Ich war neugierig darauf, wie es schmeckt“, sagt Rützler. Das damals absolut innovative Produkt überzeugte sie: „Von der Konsistenz her war es besser als erwartet. Das Fleisch wird ja nicht durch Blut ernährt, die Farbe kam vom roten Rübensaft. Ich habe mich gefragt, ob man das schmeckt. Das war aber nicht der Fall“, erklärt sie. „Also mit Majo, Zwiebeln und Ketchup hätte man mir das als normales Fleisch-Patty unterjubeln können.“

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    Ist Laborfleisch zu „hightech“ für Europa?

    „In Asien und den USA ist Cultured Meat schon am Markt, wobei es sich in beiden Fällen Huhn-Produkte handelt“, erklärt Food-Trendforscherin Hanni Rützler. Weltweit debattieren Experten über dieses Thema, wie im internationalen Wissenschaftsmagazin Trends in Biotechnology. Auch die Forschung setzt sich immer mehr mit Laborfleisch auseinander, so beispielsweise auch die Studie zur Laborfleischproduktion des neuseeländischen Forschers Zuhaib Bhat und seinem Team.

    Während auf anderen Kontinenten In-vitro-Fleisch immer bekannter wird, diskutiert man in Europa kaum darüber. „Es gibt noch keinen Antrag für die Zulassung. Und da das ein Novel-Food der Sonderklasse ist, wird das auch noch sehr lange dauern“, ist sich Rützler sicher. Aktuell liegen in Europa die Niederlande weit vorn: Firmen wie Mosa Meat und Meatable forschen an der Herstellung von Cultured Meat. Hanni Rützler vermutet, dass in Deutschland eher junge Leute, Menschen aus dem urbanen Milieu und diejenigen, die ohnehin an Nachhaltigkeit interessiert sind, die neue Technologie annehmen werden. „Diese Zielgruppen sind offener für Alternativen. Auch für Lebensmittel aus Insekten oder Algen. Das wird bei uns auch gerne als Gruselthema abgetan, ist aber aus der Perspektive der Nachhaltigkeit durchaus sinnvoll“, so die Expertin.

    Dass Cultured Meat im deutschsprachigen Raum wenig beachtet wird, liegt laut Hanni Rützler vor allem an zwei Faktoren. Zum einen wissen noch zu wenig Menschen überhaupt, dass es existiert. „Laut einer Studie, die im veganen Wirtschaftsmagazin ‚Veconomist‘ veröffentlicht wurde, wussten nur 60 Prozent der Befragten, was In-vitro-Fleisch ist“, sagt Hanni Rützler. Zum anderen seien die Medien dem Thema von Anfang an zu kritisch gegenübergestanden. „Die haben gesagt, das ist Kunst, das ist Gift, das ist böse Technik. Das Thema so einfach abzuhandeln, wird der Komplexität der Esskulturen der Zukunft nicht gerecht“, so Rützler.

    Andere Teile der Welt sind Europa in der Etablierung von Cultured Meat voraus.

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    Cultured Meat birgt viele Hürden

    Laut dem Onlinemagazin f3 farm. food. future. bringt die Produktion von In-vitro-Fleisch einen sehr hohen Energieaufwand mit sich, was sich wiederum negativ auf die Klimabilanz von Cultured Meat niederschlagen kann. Der Strom wird benötigt, um die Muskelzellen dazu zu animieren, die Nährlösung aufzunehmen. Eine weitere Herausforderung: Die Nährlösung ist sehr schwer herzustellen. Hierfür wird ein bestimmtes Wachstumshormon benötigt. In den Anfängen wurde es der Nabelschnur von Kälbern entnommen. „Das schürte immer die Horroridee, dass Kälber für jedes In-vitro-Steak sterben müssen. Das stimmt aber nicht“, sagt die Expertin Hanni Rützler. Mittlerweile werde das Wachstumshormon allein mittels Gentechnik gewonnen.

    Damit gilt das Endprodukt laut Gesetz zwar nicht als gentechnisch verändert. Aber es befeuert die Kritik, dass Gentechnik im Laufe des Herstellungsprozesses verwendet wird. Auch Wissenschaftler wie der niederländische Pharmakologe Prof. Dr. Mark Post, der selbst an der Herstellung von Cultured Meat arbeitet, gehört zu den Kritikern. „Mark Post möchte auf anderem Wege die Hormone herstellen. Das ist kompliziert, sehr aufwendig und ein kostenaufwendiges Teilstück der Produktion“, erklärt Rützler.

    Die herausfordernde Produktion hat hohe Kosten zur Folge. Das Onlinemagazin f3 farm. food. future. hat die Herstellung eines Kilogramms In-vitro-Fleisch mit mindestens 15 US-Dollar berechnet. In Deutschland fallen demnach bei der Herstellung derselben Menge an herkömmliches Fleisch umgerechnet nur 1,83 US-Dollar an.

    Einen umfassenden Überblick darüber, wie rasant die Entwicklung von Cultured Meat vorangeht, scheint es derzeit nicht zu geben. Das liegt laut der Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler daran, dass die damit einhergehende Forschung und Förderung vorwiegend von Privatgeldern finanziert wird. „Damit ist niemand verpflichtet, den Stand der Dinge nach außen zu kommunizieren“, erklärt die Expertin.

    Wird Laborfleisch herkömmliches Fleisch ablösen?

    „Es gibt von mehreren Seiten zurecht extrem große Kritik an der aktuellen Fleischproduktion“, meint Food-Trendforscherin Hanni Rützler. Die Kritikpunkte sind nicht abzustreiten: Etwa 1.200 Liter Wasser, 130 Gramm Soja und 6,4 Quadratmeter Anbaufläche werden für die Produktion eines einzigen Schweineschnitzels von 200 Gramm benötigt. Dabei werden 650,4 Gramm CO2 freigesetzt. Zum Vergleich: Dasselbe Gewicht an Kartoffeln verursacht nur 40 Gramm CO2. Das berichtet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Dennoch halten es Experten für unwahrscheinlich, dass auf Fleisch gänzlich verzichtet wird. „Wir glauben, dass die Leute weiter Fleisch essen wollen“, ist etwa Krijn de Nood überzeugt. De Nood ist Gründer und CEO von Meatable, ein niederländisches Unternehmen, das an der Herstellung von In-vitro-Fleisch arbeitet. Hanni Rützler stützt diese Behauptung: „Ich kann mir den deutschsprachigen Raum nicht ohne Fleisch, aber mit deutlich weniger Fleisch vorstellen.“

    Die Expertin: Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und Food-Trendforscherin. Seit 2012 veröffentlicht sie jährlich ihren eigenen Food Report, der vom Zukunftsinstitut herausgegeben wird. Darin beschreibt sie den Wandel der Esskultur, mit dem sie sich seit über 20 Jahren bereits beschäftigt.

    Foto von Andreas Jakwerth

    Für Rützler ist In-vitro-Fleisch nur eine von vielen möglichen Lösungen für die Zukunft. „Wir müssen Vielfalt fördern“, sagt die Expertin. In Kombination mit einer tiergerechteren Fleischproduktion, alternativen Proteinquellen wie Insekten und Algen sowie der Förderungen der pflanzlichen Vielfalt könnte ihrer Meinung nach Cultured Meat ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in unserer Ernährung sein. Allerdings sei weder die Technik noch unsere Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt dazu bereit, In-vitro-Fleisch zum Alltag werden zu lassen. „Es sind noch viele Fragen in Bezug auf Nachhaltigkeit, regionale Produktion und die Rolle der Landwirtschaft in der Zukunft offen“, meint Rützler. All diese Fragen müssen geklärt werden, bevor das Fleisch aus dem Labor wirklich marktfähig sein kann.

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