Autonomes Fahren – eine Frage der Kontrolle

Fahrerlose LKW und bald vielleicht sogar fahrerlose PKW. Wer hat Schuld, wenn es zu einem Unfall kommt? Nicht nur die ewige Haftungsfrage hält autonome Fahrzeuge derzeit noch von deutschen Straßen fern.

Von Alexandra Lindner
Veröffentlicht am 6. Jan. 2022, 12:51 MEZ
Autos ohne Fahrer - bald schon Standard?

Der „Traum“ beim automatisierten Fahren – oder, wie Professor Borth es nennt, „der Heilige Gral“ sind Level-5-Fahrzeuge, die vollständig ohne Fahrer unterwegs sind und die Insassen zu bloßen Passagieren werden.

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Nürnberg ist die erste Stadt Deutschlands, in der seit 2008 U-Bahnen autonom und ohne Fahrer Personen von A nach B transportieren. Was auf der Schiene funktioniert, soll jedoch auch irgendwann auf der Straße möglich sein. Die Automobilindustrie arbeitet seit Jahren daran, PKW, LKW und Co. völlig autonom auf die Strecke zu schicken. Das bezeugen nicht zuletzt die zahlreichen Patentanmeldungen weltweit. 2019 wurden insgesamt 18.260 Patente mit Bezug zum autonomen Fahren angemeldet (vgl.: 2018: 14.487). Während die Euphorie der Hersteller ungebrochen scheint, kommt bei so manchem Bürger beim Thema automatisiertes Fahren eher ein mulmiges Gefühl auf.

2018 ereignete sich in den USA ein aufsehenerregender Unfall bei einer Testfahrt mit einem autonomen Fahrzeug von Uber. Dabei wurde eine Fußgängerin im Dunkeln vom Test-Fahrzeug erfasst und kam ums Leben. Die hinter dem Steuer befindliche „Fahrerin“ war laut offiziellem Polizeibericht während der Fahrt mit ihrem Smartphone beschäftigt und konnte nicht schnell genug eingreifen. Vor diesem Hintergrund sind wohl auch die Ergebnisse einer Umfrage zu bewerten, die zwischen Dezember 2018 und 2019 stattfand. Demnach gaben 48 der befragten Personen an, mit dem Thema autonomes Fahren Angst zu assoziieren.

Zumindest jedoch an Assistenzsysteme werden sich die deutschen Autofahrer gewöhnen müssen. Bereits heute sind Techniken wie das ABS (Anti-Blockier-System) Pflicht bei Neuzulassungen. Ab 2022 schreibt der Gesetzgeber weitere Assistenzsysteme in neu zugelassenen Fahrzeugen vor. Darunter beispielsweise das sogenannte ELK (Emergency Lane Keeping). Dabei handelt es sich um einen Notfall-Spurhalte-Assistenten. Wenn das Fahrzeug von der Straße abzukommen droht oder auch Gefahr läuft, in den Gegenverkehr zu geraten, greift das System automatisch ein und lenkt gegen.

Autonomes Fahren wird in fünf Levels unterschieden

Grundsätzlich wird bei der Fahrzeug-Automatisierung zwischen fünf Levels unterschieden: Im ersten Level arbeitet das Fahrzeug mit Assistenzsystemen wie einem Tempomaten oder auch einem Spurhalteassistenten. Diese Techniken unterstützen den Fahrer zwar, haben aber mit dem eigentlichen Fahren wenig gemein.

Während bei Level 1 kaum jemand an automatisiertes Fahren denkt, geht Level 2 schon einen Schritt weiter. Hier spricht man von einer sogenannten Teilautomatisierung. Zu den Level-1-Techniken kommen hier noch einige weitere Assistenzsysteme wie ein Überholassistent, ein automatisches Einparksystem und dergleichen hinzu.

Erst ab Level 3, auch „Hochautomatisiertes Fahren“ genannt, übernimmt das Fahrzeug tatsächliche Fahr-Aufgaben. Allerdings nur eingeschränkt und in „vom Hersteller vorgegebenen Anwendungsfällen“, wie es per Definition heißt. Bei Level 1 bis 3 liegt im Schadensfall die Verantwortung letztlich beim Fahrer. Rechtlich gesehen schwierig wird die Sache bei Level 4 und 5:

Bei Level 4 sprechen die Experten auch vom „vollautomatisierten Fahren“. Die Insassen müssen sich zu keiner Zeit auf den Verkehr konzentrieren und können während der Fahrt schlafen, lesen oder sich anderen Dingen widmen. Level 5 ist das einzig echte autonome Fahren. Die Fahrzeuginsassen sind lediglich Passagiere und die Fahrzeuge können auch komplett ohne Menschen an Bord fahren. Zudem ist das Gefährt dazu in der Lage, sämtliche Verkehrssituationen vollständig autonom zu bewältigen. Dazu zählen auch Aufgaben, die das korrekte Verhalten bei Personen an Fußgängerüberwegen und ähnlichem berücksichtigen.

Da bei Level 4 und 5 der Fahrer aber nicht mehr für das Fahren verantwortlich ist, muss im Einzelfall geklärt werden, bei wem im Schadensfall die Schuld liegt.

BELIEBT

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    Besonders knifflig wird es für Fahr-Assistenz-Systeme auf der sogenannten „Letzten Meile“. Anders als auf der Autobahn muss hier auf den Gegenverkehr, Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer geachtet werden.

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    Aktuell unterwegs sind vor allem Fahrzeuge mit Level 1 und 2. Höhere Automatisierungslevel (3-5) sind per Gesetz (am 20. Mai 2021 im Bundestag bestätigt) folgendermaßen im öffentlichen Verkehr zulässig: „Mit dem Gesetz werden die Voraussetzungen für den Einsatz autonomer, also fahrerloser Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb sowie im gesamten nationalen Geltungsbereich geschaffen - allerdings in durch die zuständigen Landesbehörden vorher festgelegten Betriebsbereichen.“

    Oder anders ausgedrückt: Der Einsatz autonomer Fahrzeuge ist auf öffentlichen Straßen grundsätzlich zulässig. Die örtlichen Behörden müssen jedoch genau festlegen, auf welchen Straßen(abschnitten) und unter welchen Bedingungen (Tageszeit sowie Einsatzszenario).

    Zudem muss stets ein menschlicher Fahrer hinter dem Steuer sitzen und jederzeit dazu in der Lage sein, die Kontrolle zu übernehmen. Ein im Fahrzeug verbauter Datenspeicher (Blackbox) dokumentiert genau, wer wann die Fahraufgaben übernommen hat. Wenn es doch zu einem Unfall kommt, können diesen Daten bei der Suche nach der Schuldfrage sehr hilfreich sein.

    Mercedes Benz kündigte an, als erster deutscher Automobilhersteller ab 2022 neue S-Klasse-Modelle mit Level 3 anbieten zu wollen. Diese verfügen laut Mercedes über das sogenannte „Drive Pilot“-System. Das System hat die Aufgabe, den Fahrer „bei hohem Verkehrsaufkommen oder in Stausituationen auf geeigneten Autobahnabschnitten in Deutschland bis 60 km/h hochautomatisiert“ zu unterstützen. Der Drive Pilot ist laut Mercedes dazu in der Lage, das Fahren so weit selbstständig zu übernehmen, dass der Fahrer währenddessen im „In-Car-Office“, wie der Automobilhersteller es nennt, E-Mails bearbeiten oder im Internet surfen könne.

    Futuristisch anmutend, aber heute schon Realität ist der Einpark-Assistent. Der Fahrer nimmt dabei die Hände vollständig vom Lenkrad und das Fahrzeug schiebt sich selbstständig und perfekt passend in die Parklücke.

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    BMW wiederum testet seit 2006 das automatisierte Fahren anhand mehrerer Prototypen. Wie es auf der Website von BMW heißt, werden seit 2011 automatisierte Prototypen auf der A9 zwischen München und Nürnberg auf der Straße erprobt. Wann BMW plant, erste Fahrzeuge mit Level 3-5 an seine Kunden auszuliefern, ist noch nicht bekannt.

    Unabhängig vom Hersteller haben jedoch alle Automatisierungs-Systeme eines gemein: Sie sind ohne Künstliche Intelligenz (KI) kaum möglich. „Sämtliche Assistenzsysteme in einem Fahrzeug arbeiten mit KI. Theoretisch wäre bei dem Beispiel Spurhalteassistent die Erkennung eines auf die Straße gemalten Streifens zwar auch ohne KI möglich, das ist allerdings außerhalb einer geschützten Laborumgebung extrem fehleranfällig. Die Systeme müssen ja nicht nur mit perfekt erkennbaren Fahrbahnmarkierungen klarkommen. Oft sind die Streifen abgenutzt, verschmutzt oder durch Witterungseinflüsse schlecht zu erkennen“, sagt Damian Borth, Professor für Künstliche Intelligenz & Maschinelles Lernen, Direktor am Institut für Informatik an der Universität St. Gallen gegenüber NATIONAL GEOGRAPHIC.

    KI in Fahrzeugen kann außerdem mehr, als nur das Fahren teilweise oder (wie in Level 5) vollständig zu übernehmen. Sind die Fahrzeuge vernetzt, könnte beispielsweise der Verkehr flüssiger laufen, Parkplätze leichter gefunden oder gar über ein eingebundenes System automatisiert gemanagt werden und dergleichen mehr.

    Ein System, das bereits in zahlreichen Fahrzeugen zum Einsatz kommt, ist der Abstandshalte-Assistent. Kommt das Auto einem anderen Fahrzeug oder Gegenstand zu nah, wird der Fahrer gewarnt.

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    Das ewige Haftungsproblem: Wer trägt die Schuld bei von automatisierten Systemen verursachten Schäden?

    Die Gesetzgebung in Deutschland hat noch Schwierigkeiten, die Haftbarkeit bei Schäden genau festzulegen. Grundsätzlich ist die Verwendung von Assistenzsystemen (Level 1 und 2) erlaubt, die Verantwortung liegt vollständig beim Fahrer. Komplizierter wird es aber bei den (teil-)automatisierten beziehungsweise voll autonomen Systemen. Laut Gesetz ist es zwar erlaubt, Level-3-bis-5-Systeme zu verwenden und entsprechend auch die Kontrolle (vorübergehend) dem Fahrzeug zu überlassen. Doch trotz Blackbox ist die Feststellung der Schuldfrage nicht einfach. Wenn die Technik versagt, ist der Sicherheitsfahrer schuld, der ja testen soll, ob das System alleine klarkommt? Oder der Software-Hersteller, weil er eine fehlerhafte Software programmiert hat? Oder gar keiner, denn bei technischem Versagen liegt die Verantwortung nicht bei einem Menschen? Die deutschen Behörden befassen sich seit einiger Zeit mit dieser Thematik. Aktuell wird im Schadensfall individuell entschieden.

    In Deutschland sind Fahrzeuge bis hin zum Autonomie-Level 5 auf explizit dafür freigegebenen Strecken erlaubt, der „Sicherheitsfahrer“ muss aber permanent voll fokussiert und entsprechend dazu in der Lage sein, einzugreifen.

    Die Idealvorstellung von Level-5-Fahrzeugen sieht jedoch so aus, dass der Fahrer vollständig aus der Verantwortung genommen ist und sich mit anderen Dingen befassen kann.

    Autonomes Fahren – eine Frage der Kontrolle

    KI-Systeme im automatisierten Fahren sind gegenwärtig allerdings noch nicht auf dem technischen Stand, vollständig ohne Kontrolle auszukommen, wie der zuvor geschilderte tödliche Unfall beweist.

    Bei Mercedes vertritt man die Ansicht, „dass ein gesellschaftlicher Diskurs zu den rechtlichen und ethischen Fragen entscheidend für die Akzeptanz und den Erfolg des automatisierten Fahrens und somit auch für die Sicherheit im Straßenverkehr ist,“ so Sarah Widmann, Pressesprecherin Intelligent Drive & Passive Fahrsicherheit von Mercedes gegenüber NATIONAL GEOGRAPHIC.

    Wann genau es autonomes Fahren geben wird, ist schwer festlegbar. 2017 hieß es auf der Computer-Messe „Computern Vision Pattern Recognition“ (CVPR) laut Professor Borth noch, autonomes Fahren werde es in drei Jahren (also 2020) geben. Bereits ein Jahr später sei der Termin auf 2023 verschoben worden. Inzwischen wird gar kein genaues Jahr mehr genannt. Wann und in welchem Umfang autonomes Fahren (Level 4 und 5) also tatsächlich zur Realität wird, kann noch niemand abschätzen. Professor Borth ist sich aber sicher: „Irgendwann wird es autonomes Fahren bis Level 5 geben.“

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