Eigenbluttherapie: Kann das eigene Blut heilen?

Allergien, Hautkrankheiten, Immunschwäche – für all diese Leiden soll es ein Heilmittel geben: Das eigene Blut. Doch kann das wirklich funktionieren? Zwei Mediziner klären auf.

Von Viktoria Schütze
Veröffentlicht am 28. Feb. 2022, 16:26 MEZ, Aktualisiert am 4. März 2022, 08:26 MEZ
Eigenbluttherapie

Hat das eigene Blut wirklich ungeahnte Heilkräfte?

Foto von stock.adobe.com/oktay

Heilpraktiker und ihre alternativen Heilmethoden sind in Deutschland alles andere als verpönt. Laut einer Umfrage von Statista schreiben etwa 72 Prozent der Deutschen Homöopathie und Co. durchaus eine gewisse Heilkraft zu. Und das, obwohl die aktuelle Studienlage klar gegen eine Wirksamkeit der Alternativmedizin spricht. An jedem einzelnen Tag suchen etwa 128.000 Menschen deutschlandweit einen Experten in diesem Bereich auf, wie der Bund Deutscher Heilpraktiker e.V. bekanntgibt. Etwa zwei Drittel dieser Heilpraktiker bieten invasive Verfahren an – darunter auch die Eigenbluttherapie, mit dem Grundprinzip, dem Patienten eine geringe Menge Blut zu entnehmen, die anschließend wieder in den Körper eingespritzt wird. Akne, Neurodermitis und Allergien sollen so geheilt und das Immunsystem gestärkt werden. Das versprechen zumindest zahllose Anbieter auf ihren Webseiten.

Die Eigenbluttherapie hat eine lange Geschichte. Die in den USA praktizierenden Mediziner Elfstrom und Grafstrom gelten als ihre Begründer. Die gebürtigen Schweden injizierten bereits 1889 Tuberkulose-Patienten mit Kochsalz verdünntes Eigenblut, um die körpereigenen Heilkräfte zu aktivieren. Im deutschsprachigen Raum etablierte sich dieses Verfahren mit dem Chirurg August Bier, der Anfang des 20. Jahrhunderts an der Universitätsklinik Jena tätig war. 1905 untersuchte er, welche Wirkung eine Therapie mit Eigenblut auf Knochenbrüche hat. Dass dieses Verfahren tatsächlich Erfolge hervorbrachte, konnte bislang nicht bestätigt werden. In den folgenden Jahrzehnten kam die Eigenbluttherapie regelrecht in Mode: Sämtliche Beschwerden – von Hautkrankheiten über Augenleiden und Herzerkrankungen, bis hin zu Krebs – sollte der rote Saft heilen. Mit dem deutlich wirkungseffektiveren Einsatz von Antibiotika wurde die Eigenbluttherapie in vielen medizinischen Bereichen im Laufe der 1940er-Jahre ersetzt. Doch die Praktik ist längst nicht in Vergessenheit geraten: Sie ist heute die dritthäufigste Therapie in der Naturheilkunde, nach Akupunktur und Homöopathie.

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    Für die Eigenbluttherapie genügen schon geringe Blutmengen.

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    Eigenbluttherapie ist kein Wunderheilmittel

    Doch was passiert bei der Eigenbluttherapie? „Nicht viel“, laut Prof. Dr. Sven Gottschling. Er ist Chefarzt des Zentrums für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes. Er gehört zu den klaren Skeptikern der Methode, die häufig auch als unspezifische Reiztherapie bezeichnet wird. Dem Patienten werden dabei zwischen einem bis maximal drei Milliliter Blut entnommen, das dann entweder subkutan (unter die Haut) oder intermuskulär (in den Muskel) wieder eingespritzt wird. Dadurch soll eine Reizreaktion ausgelöst werden, die verschiedenste Beschwerden, darunter Allergien und Hautkrankheiten, heilen soll.

    Prof. Dr. Sven Gottschling steht alternativen Heilmethoden, wie der Eigenbluttherapie, sehr kritisch gegenüber.

    Foto von Prof. Dr. med. Sven Gottschling

    „Ich bin jetzt mal böse: Sie können denselben Effekt erzeugen, wenn Sie sich von irgendwem gegen das Schienbein treten lassen. Dann haben Sie auch einen Bluterguss“, meint Gottschling. In seinem Buch „Wer heilt hat Recht“ von 2019 setzt er sich kritisch mit alternativen Heilmethoden auseinander – so auch mit der Eigenbluttherapie.

    „Es ist hinreichend belegt, dass eine Eigenbluttherapie nicht über den Placebo-Effekt hinaus wirkungseffektiv ist“, erklärt der Mediziner. Die Varianten, bei denen das Blut vor der Wiedereinspritzung mit Ozon angereichert oder unter ein Magnetfeld gelegt werden, hält er für noch „unlogischer“. Eine solche Behandlung des Blutes habe keinerlei Heilungseffekte. Gottschling erklärt: „Wie soll das Blut, das zuvor ohnehin schon im Körper war, plötzlich Selbstheilungskräfte aktivieren? Das Immunsystem wird dadurch nicht aktiver und bekämpft nicht plötzlich die chronisch-entzündliche Darmerkrankung, verbessert das Hautbild oder schützt den Körper besser gegen Covid.“

    Dabei ist es nicht einmal die Wirkungslosigkeit, die Prof. Dr. Sven Gottschling und viele andere Ärzte am meisten kritisieren. Vielmehr sieht er den Eingriff an sich als problematisch an. Sowohl bei der Blutentnahme als auch bei der Gabe werden dem Patienten Schmerzen zugefügt, auch wenn diese nur gering sind. Außerdem besteht bei jeder Spritze ein geringes Risiko, dass Keime in den Körper gelangen. Ein Bluterguss, wie er bei der Bluttherapie zwangsläufig entsteht, ist ein idealer Nährboden für Bakterien. Zwar ist das Risiko äußerst gering, aber auch eine Infektion bis hin zur Sepsis ist theoretisch möglich. Prof. Dr. Gottschling betont: „Selbst das niedrigste Risiko ist bereits zu hoch, wenn keine Wirkung dahinter steht.“ Außerdem sieht der Mediziner diese Therapie gerade bei Kindern kritisch. „Ich finde es nicht in Ordnung, an einem Kind einen schmerzhaften ärztlichen Eingriff durchzuführen, und sei es nur ein Fingerpieks, wenn wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist, dass dieses Therapieverfahren etwas bewirkt.“

    Das eigene Immunsystem wirklich stärken

    Doch auch wenn Studien die Eigenbluttherapie als nicht wirksam beschreiben, sie spricht einen aktuellen Trend an: Die Themen „Ganzheitlichkeit“ und „immunstärkende Verfahren“ werden auf dem Markt immer attraktiver – nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie. Das weiß Prof. Dr. Sven Gottschling aus seiner beruflichen Erfahrung. Die Eigenbluttherapie ist das ideale Angebot für diese Nachfrage. Patienten sind bereit, mehrere hundert bis zu eintausend Euro für eine Serie an Eigenbluttherapien zu zahlen, obwohl die Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Um das Immunsystem tatsächlich zu stärken, gibt es laut Gottschling nur eine Methode: Es ständig herausfordern. Sport, Sauna-Besuche und bei jedem Wetter vor die Tür zu gehen, sei wirklich effektiv. „Wir wissen, dass es jede Menge Substanzen gibt, die das Immunsystem schwächen. Aber es gibt keine, die das Immunsystem stärkt. Auch nicht das eigene Blut“, so Gottschling.

    Muskeln und Sehnen mit Eigenblut heilen

    Und doch kann eine Eigenbluttherapie ratsam sein. Die Experten sind sich einig, dass es einen Bereich gibt, bei dem dieses Verfahren durchaus Wirkung zeigen könnte: im orthopädischen Kontext. Muskel- oder Sehnenverletzungen könnten mit Eigenblut erfolgreich behandelt werden. Der große Unterschied: Hier wird gezielt an einem Defekt Blut eingespritzt, um eine lokale Reaktion an dieser Stelle auszulösen.

    Facharzt Panagiotis Karachalios wendet die Eigenbluttherapie in der Orthopädie häufig an.

    Foto von Panagiotis Karachalios

    Panagiotis Karachalios ist Facharzt für Orthopädie sowie Unfallchirurgie und einer der Inhaber der „DUS Orthopädie und Unfallchirurgie“-Praxen in Düsseldorf und Ratingen. Zwei Verfahren der Eigenbluttherapie werden regelmäßig in seiner Praxis angewandt: Die PRP-Methode und die BCS-Methode. Von deren Wirkung ist der Mediziner überzeugt: „Wenn ich keine Zeugen dafür hätte, würde mir das keiner glauben. Aber den Patienten geht es damit wirklich viel besser.“ Vonseiten der Wissenschaft ist eine Wirkung dieser Therapien aber ebenfalls noch nicht bewiesen.

    Bei der Platelet Rich Plasma-Methode (kurz PRP) wird dem Patienten einmal pro Woche in insgesamt drei bis vier Sitzungen jeweils ca. 10 Milliliter Blut entnommen. Das Röhrchen mit dem gewonnenen Blut wird zentrifugiert: Durch schnelles Schleudern separiert es sich. Daraus ergeben sich zwei voneinander getrennte Flüssigkeiten. Die eine besteht aus den roten Blutkörperchen, die andere aus dem sogenannten Serum. Das Serum beinhaltet Nährstoffe, Mineralien, weiße Blutkörperchen sowie Wachstumsfaktoren und Thrombozyten in hoher Konzentration. Indem es an die entsprechende Stelle gespritzt wird, sollen schwache und anfängliche Gelenks-, Muskel- oder Sehnenverletzungen bei der Heilung effektiv unterstützt werden. Dr. Panagiotis Karachalios sieht in der Eigenbluttherapie einen klaren Vorteil: „Schwache Verletzungen können so chemiefrei geheilt werden.“ Allerdings ist dieses Verfahren schmerzhaft: Die Patienten klagen oft über mehrere Tage über Schmerzen an der Einstichstelle. Bei schwereren Blessuren wie einem Sehnenriss stößt dieses Verfahren allerdings an seine Grenzen. Hier muss laut dem Mediziner in jedem Fall operiert werden.

    Die zweite Methode ist die Blood Clot Sercretom-Methode (kurz BCS). Diese Form der Eigenbluttherapie empfiehlt sich bei einem Gelenkverschleiß wie Arthrose. Auch hier wird dem Patienten Blut entnommen. Bevor es allerdings wieder eingespritzt wird, wird es bei 37°C für sechs bis acht Stunden gelagert. „Man hat sozusagen dann eine Cortison-Spritze mit körpereigenem Cortison“, erklärt der Orthopäde. Gerade für ältere Personen kann eine solche Therapie von Vorteil sein, da ihnen so unter Umständen eine risikoreiche Operation erspart bleibt. Die BCS-Methode ist mit weniger Schmerzen verbunden als die PRP-Methode, da keine akute Reaktion des Gewebes ausgelöst wird.

    Australische Wissenschaftler untersuchten in einer Studie die Wirksamkeit der PRP-Methode: Sie konnten diese nicht bestätigen. Eine klare Studienlage zur Eigenbluttherapie in der Orthopädie fehlt zwar bislang, trotzdem bieten viele Mediziner wie Karachalios dieses Verfahren an. Der Facharzt aus Düsseldorf ist sich sicher, dass diese Therapie helfen kann. Diese These unterstützt im Übrigen auch der Skeptiker Prof. Dr. Sven Gottschling: Der Ansatz der Eigenbluttherapie sei hierbei ein ganz anderer als im Bereich der Alternativen Medizin.

    Ob bei Allergien, Hautausschlägen, Gelenks-, Sehnen- oder Muskelverletzungen: Die Heilkraft der Eigenbluttherapie konnte noch nicht vollends wissenschaftlich bestätigt werden, auch wenn viele Mediziner und Heilpraktiker von Erfolgen sprechen. „Die Schmerzen der Patienten können gelindert werden. Und das ist alles, was zählt“, meint der Facharzt Panagiotis Karachalios. Die Wissenschaft wird in Zukunft zeigen, wie wirksam eine Eigenbluttherapie wirklich ist.

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