Kommt jetzt die Antibabypille für den Mann?

Hormonfrei und ohne Nebenwirkungen: Ein neues Medikament aus den USA könnte die Zukunft der Verhütung revolutionieren.

Bisher gibt es für Männer nur zwei aktive Möglichkeiten zur Verhütung: das Kondom und die Vasektomie. Vielleicht kommt bald eine dritte dazu: die hormonfreie Antibabypille.

Foto von TanyaJoy / Adobe Stock
Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 29. März 2022, 10:10 MESZ, Aktualisiert am 29. März 2022, 11:51 MESZ

Neue Forschungen zu Verhütungsmethoden könnten bald für Umschwung sorgen und die Verantwortung von Männern erhöhen: Untersuchungen eines neu entwickelten und mithilfe von Mäusen getesteten Verhütungsmittels ergaben eine zu 99 Prozent sichere Wirksamkeit zur Verhinderung einer Schwangerschaft. Und das ganz ohne Hormone und Nebenwirkungen, so die Ergebnisse des Forschungsteams der University of Minnesota, die auf einem Treffen der American Chemical Society vorgestellt wurden.

Doch warum gab es bislang keine Pille für den Mann? Bisher hatte sich die Wissenschaft auf das Sexualhormon Testosteron konzentriert. Ungünstige Begleiterscheinungen wie Gewichtszunahme, Depressionen und erhöhte Werte des „schlechten” LDL-Cholesterins ließen die Forschungen ins Stocken geraten. „Wir wollten ein nicht-hormonelles Verhütungsmittel für Männer entwickeln, um diese Nebenwirkungen zu vermeiden“, sagt MD Abdullah Al Noman, der die Forschungsergebnisse vorstellte.

Verhütung bei Mäusen bereits erfolgreich

Deshalb zielte die Forschungsgruppe rund um Professorin Gunda Georg auf das Ausschalten des Proteins Retinsäurerezeptor Alpha – kurz RAR-α. Dieser Vitamin-A-Rezeptor bindet im Normalzustand zusammen mit zwei anderen Kernrezeptoren Retinsäure und nimmt eine wichtige Rolle bezüglich des Zellwachstums, der Bildung von Spermien und der Entwicklung von Embryos ein. Ähnliche Ansätze waren bereits bekannt, jedoch wurden mit diesen alle drei RAR-Proteine ausgeschalten. Dagegen hemmt die neu entwickelte Verbindung namens YCT529 das RAR-α deutlich stärker als RAR-β und -γ, was das Medikament deutlich weniger anfällig für Nebenwirkungen macht.

YCT529 – ein nicht-hormonelles Verhütungsmittel verhindert eine Schwangerschaft bei Mäusen, indem es bei den männlichen Tieren einen Vitamin-A-Rezeptor ohne offensichtliche Nebenwirkungen blockiert.

Foto von MD Abdullah Al Noman

Durch eine orale Verabreichung des Medikaments an männliche Mäuse wurde die Anzahl der Spermien erheblich reduziert. Nach vier Wochen wurde eine reversible Sterilität erreicht. Mit einer 99-prozentigen Sicherheit wurden Schwangerschaften vermieden. Zusätzlich beobachteten die Forschenden keinerlei Nebenwirkungen. Und noch besser: Nach Absetzen des Medikaments waren die Tiere nach maximal sechs Wochen wieder zeugungsfähig. 

Kritische Stimmen

Ob sich YCT529 auch beim Menschen als wirkungsvoll erweist, kann nur durch klinische Studien erwiesen werden. Kritische Stimmen kommen beispielsweise von der University of Edinburgh: „Wenn Sie ein Medikament entwickeln, das auf einen völlig neuen Signalweg abzielt, wäre es meiner Meinung nach angebracht, in Bezug auf die Sicherheit vorsichtig zu sein, wenn es auf diesem Gebiet keine Erfolgsbilanz gibt”, sagt Richard Anderson gegenüber dem NewScientist.

Auch Richard Sharp von der University of Edinburgh äußert sich mit Bedenken, dass sich das Hemmen des RAR-α auf das Vitamin A-Signalsystem und damit auf eine Reihe wichtiger Körpersysteme auswirken könne. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Verbindung des neuen Medikaments ohne sämtliche Nebenwirkungen auskommen würden.

„Da es schwierig vorherzusagen ist, ob eine Verbindung, die sich in Tierversuchen als wirkungsvoll erweist, sich auch in Studien am Menschen bewährt, untersuchen wir derzeit auch andere Verbindungen“, sagt Gunda Georg, Professorin und leitende Forscherin der Abteilung für medizinische Chemie an der University of Minnesota. Laut ihr sollen im dritten oder vierten Quartal 2022 erste Tests dazu starten.

BELIEBT

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    Bisher vor allem Frauensache

    Eine Erleichterung könnte die neue und hormonfreie Pille auch für Frauen sein. Viele unterdrücken ihren Eisprung seit Ende der 1960er Jahre mithilfe von synthetischen Hormonpräparaten künstlich. Die Antibabypille gilt als äußerst sicher und nach wie vor als die am häufigsten verwendete Form der Empfängnisverhütung. Trotz zahlreicher physischer und psychischer Nebenwirkungen. Bei jungen Frauen bis 20 Jahren ging die Nutzung seit 2010 bereits um 11 Prozent zurück.

    Männer haben bis dato nur zwei Möglichkeiten der aktiven Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft. Das Kondom, welches mit 45 Prozent den zweiten Platz der in Deutschland verwendeten Verhütungsmittel belegt – jedoch als störanfällig gilt. Und die Vasektomie, also die dauerhafte Form der männlichen Sterilisation. Letztere ist genauso sicher wie die Pille für die Frau. Trotzdem entscheiden sich in Deutschland nur 2 Prozent der Paare für diesen Eingriff. Denn eine Refertilisierung ist nicht immer möglich, weshalb dieser Schritt für viele wohl erst nach abgeschlossener Familienplanung infrage kommt. 

    „Wissenschaftler versuchen seit Jahrzehnten, ein wirksames orales Kontrazeptivum für Männer zu entwickeln, aber es gibt immer noch keine zugelassenen Pillen auf dem Markt“, sagt MD Abdullah Al Noman, der Teil der Forschungsgruppe um Georg ist. Womöglich könnte ihre Entwicklung diese lange Suche bald beenden.

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