Spiegeluniversum: Hat unser Universum einen umgekehrten Zwilling?

Forschende aus Kanada stellten 2018 die Theorie auf, dass wir in einem Spiegeluniversum leben könnten – was Erklärungen für bislang unerklärliche astrophysikalische Phänomene liefern könnte. Nun gibt es neue Ansätze.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 27. Juni 2022, 10:33 MESZ
Forschende aus Kanada stellten 2018 die Theorie auf, dass wir in einem Spiegeluniversum leben könnten – ...

Forschende aus Kanada stellten 2018 die Theorie auf, dass wir in einem Spiegeluniversum leben könnten – was Erklärungen für bislang unerklärliche astrophysikalische Phänomene liefern könnte. Nun gibt es neue Ansätze.

Foto von Wikimedia

Am Anfang war der Urknall. Er gilt als Beginn der Entstehung von Raum, Zeit und Materie, als Geburtsstunde unseres Universums vor etwa 13,8 Milliarden Jahren. Was aber, wenn der Urknall nicht nur der Anfang unseres Universums war, sondern gleichzeitig auch der eines zweiten, gespiegelten Zwillingsuniversums mit genau umgekehrten Eigenschaften? 

Was Science-Fiction-Serien wie Star Trek und Dark längst thematisch durchgespielt haben, dient auch Forschenden als Inspirationsquelle. Ein wissenschaftliches Team des Perimeter Institute for Theoretical Physics in Ontario, Kanada, hat sich der Idee angenommen und eine neue Theorie zum Spiegeluniversum entwickelt. Schon im Jahr 2018 veröffentlichten die theoretischen Physiker und Astrophysiker ihre Ergebnisse in der Zeitschrift American Physical Society. Nun liefern sie auf der Plattform ArXiv neue, schlagkräftige Argumente, um ihre Theorie zu untermauern.

Zwilling mit konträren Vorzeichen

Mithilfe von Berechnungen ermittelte das Forschungsteam, was passieren würde, wenn die allgemein herrschenden Symmetrieregeln für Teilchen und Kräfte auf den Kosmos als Ganzes ausgeweitet werden würden. Diese sogenannte CPT-Symmetrie besagt Folgendes: Ein Vorgang, der die Parameter Materie, Zeit und Raum in Antimaterie, umgedrehte Zeitrichtung und gespiegelten Raum umkehrt, entspricht ebenfalls den Gesetzen der Physik – und ist damit möglich. 

So wäre es also grundsätzlich möglich, dass der Urknall nicht nur der Ursprung unseres eigenen, sondern auch der Ursprung eines gespiegelten Universums gewesen sein könnte, das sich genau in die entgegengesetzte Richtung entwickelt hätte. In diesem würden der Theorie zufolge statt eines Überschusses an Materie, Zeit und Raum genau umgekehrte Vorzeichen herrschen. Das bedeutet: Im Spiegeluniversum gäbe es mehr Antimaterie und gespiegelte Raumverhältnisse. Außerdem wäre das Zeitverständnis im Spiegeluniversum ein anderes: Die Zeit verliefe zwar auch linear – aber genau in die umgekehrte Richtung. „Das Universum vor dem Urknall und das danach könnten dann als ein Paar aus Universum und Anti-Universum gesehen werden“, erklärt Erstautor Neil Turok, theoretischer Physiker und Astrophysiker am Perimeter Institute for Theoretical Physics. Gemeinsam könnten die beiden Universen sogar alle Regeln der CPT-Symmetrie erfüllen – was unser Universum allein bisher nicht kann.

Spiegeluniversum: Die Antwort auf bislang ungeklärte Fragen?

Bislang gängige Theorien und Modelle zur Entstehung unseres Universums lassen neben der unstimmigen Symmetrie auch noch einige andere Fragen offen: Warum gibt es zum Beispiel mehr Materie als Antimaterie? Warum gibt es bisher nur linkshändige Neutrinos? Und wie entsteht Dunkle Materie? Den Wissenschaftlern zufolge, lassen sich mit der neuen Theorie all diese Phänomene erklären.

„Während das Universum nach dem Urknall einen leichten Überschuss an Materie hatte, gab es im Universum vor dem Urknall einen leichten Überschuss an Antimaterie“, erklärt Turok in Hinblick auf die Ungleichverteilung von Materie und Antimaterie im Universum. 

Auch das Spin-Problem der Neutrinos – elektrisch neutrale Elementarteilchen mit sehr kleiner Masse – könnte durch ein Spiegeluniversum gelöst werden. Bisher sind alle drei bekannten Neutrinotypen linkshändig: Der Spin verläuft entgegen ihrer Bewegungsrichtung. Ist das gesamte Universum allerdings CPT-symmetrisch, müssten auch rechtshändige Neutrinos existieren. Den Berechnungen der Wissenschaftlern zufolge tun sie das – im Spiegeluniversum.

Da die rechtshändigen Neutrinos deutlich schwerer wären als die uns bekannten Formen, hätte es nur eine Sorte geschafft, bis heute stabil zu bleiben. Besonders interessant daran: „Eines der drei rechtshändigen Neutrinos wird damit zu einem guten Kandidaten für die Dunkle Materie.“ Basierend auf ihren Berechnungen gehen Turok und sein Team davon aus, dass dieses bis heute stabile, schwerere rechtshändige Neutrino alle Eigenschaften der Dunklen Materie erfüllen würde. 

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