Fusionskraftwerk ITER: Der Traum von unendlicher Energie - und seine Realität

In Südfrankreich läuft ein Experiment von kolossalem Ausmaß: Ein internationales Konsortium baut den weltgrößten Reaktor um die Kernfusion - die Energiequelle von Sonne und Sternen - auf der Erde nutzbar zu machen.

Von Scott Elder
Veröffentlicht am 13. Dez. 2022, 13:09 MEZ
ITER Fusionskraftwerk

Montage eines gigantischen Traums: Dieses Bild, das aus ITER-CAD-Daten generiert wurde, zeigt, wie Plattformen für die Teams innerhalb der Vakuumkammer installiert werden. 

Foto von Brigantium und Bentley Systems, ITER Organization

Der im Bau befindliche Testfusionsreaktor heißt ITER, lateinisch für „der Weg“. Er soll Wasserstoffatomkerne zu Heliumkernen verschmelzen. Dabei wird millionenfach mehr Energie frei als bei einer chemischen Verbrennung.

Auf dem Papier klingt die Kernfusion wie ein Traum. Die benötigten Rohstoffe sind in fast unerschöpflichem Maße vorhanden, es entstehen weder CO2 noch langlebiger radioaktiver Müll. In der Realität ist das Entzünden des Fusionsfeuers eine gewaltige Herausforderung. Ein Beispiel: Plasma, von tonnenschweren Magneten eingeschlossen, muss auf bis zu 150 Millionen Grad erhitzt werden – zehnmal heißer als die Sonne in ihrem Kern.

Als erster Versuchsreaktor überhaupt könnte ITER mehr Energie erzeugen, als er fürs Heizen verbraucht: Ab 2035 soll die Maschine bis zu 600 Sekunden lang das Zehnfache der investierten Leistung produzieren – und so den Weg ebnen für Kraftwerke, die Strom nach dem Vorbild der Sonne generieren.

Magnetfusionsreaktoren stehen kurz vor dem „wissenschaftlichen Break-even“, das heißt, die erzeugte Energie entspricht der zur Erhitzung des Plasmas benötigten. Schwieriger ist der „technische Break-even“, bei dem die ins Netz gespeiste Energie die Betriebsenergie des Reaktors übertrifft.

Die Schritte zur unendlichen Energie

1. Erzeugung des Plasmas

Ein Gasgemisch aus den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium gelangt in eine ringförmige Vakuumkammer. Eine Solenoidspule im Zentrum erzeugt ein elektrisches Feld, das den Atomen ihre Elektronen entreißt. Es entsteht Plasma, das um die zentrale Achse strömt.

2. Magnetischer Einschluss

Toroidal angeordnete supraleitende Spulen und der Plasmastrom schließen das Plasma mit Magnetfeldern ein. Sie sorgen dafür, dass selbiges die Wände nicht berührt und abkühlt, sondern in der Schwebe bleibt.

3. Zündung des Plasmas

Das Plasma wird bis auf 150 Millionen Grad erhitzt. Dadurch überwinden die positiv geladenen Atomkerne von Deuterium und Tritium ihre Abstoßung. Bei ihrer Fusion entstehen Helium als Fusionsasche sowie je ein hochenergetisches Neutron.

4. Gewinnung der Kernenergie

Die erzeugten Neutronen werden in der Ummantelung des Reaktors abgebremst. Ihre kinetische Energie wird als Wärme, die zum Beispiel über Kühltürme abgeleitet werden kann, perspektivisch zur Stromerzeugung genutzt.

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Foto von National Geographic

Dieser Artikel erschien in voller Länge und mit umfangreichen Grafiken zum Reaktor ITER im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 12/22. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis!

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