Rollenverteilung bei Säugetieren: Darum stillen Männer nicht

Könnten beide Elternteile dem Nachwuchs die Brust geben, wäre das sehr praktisch. Doch die Natur hat diese Aufgabe – mit einer Ausnahme – den Müttern zugewiesen. Englische Forschende haben eine These aufgestellt, warum das so ist.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 5. Juli 2024, 15:00 MESZ
Eine Frau stillt ihr Baby, Ansicht von oben.

Wie bei fast allen Säugetieren ist es auch beim Menschen die Mutter, die den Nachwuchs stillt. 

Foto von Wren Meinberg / Unsplash

Etwa in der zwölften Woche ist ein Embryo so weit ausdifferenziert, dass man ihn als männlich oder weiblich bestimmen kann. Zu diesem Zeitpunkt sind viele Anlagen bereits geschaffen – unter anderem auch die für die Brust. So erklärt sich, dass alle Säugetiere unabhängig vom Geschlecht Brustwarzen und Milchdrüsen haben.

Über die rudimentären, körperlichen Grundvoraussetzungen zum Stillen des Nachwuchses verfügen also beide Elternteile. Doch es gibt nur eine Säugetierart – die Dayak-Flughunde – deren Männchen dazu auch tatsächlich fähig sind. Bei allen anderen Säugetierspezies hat die Natur diese Aufgabe allein den Weibchen zugeteilt. Obwohl es auch hinsichtlich der Nahrungsverfügbarkeit von Vorteil wäre, wenn beide Eltern stillen könnten, können nur sie Milch bilden. Die Frage ist: Warum?

Unsichere Vaterschaft

In den Siebzigerjahren erklärten Evolutionstheoretiker das Phänomen mit dem Umstand, dass männliche Säugetiere sich ihrer Vaterschaft nie sicher sein können. Darum fehle ihnen der evolutionäre Drang, Energie in die Aufzucht der Nachkommen zu investieren. Forschende der University of York, England, haben nun in einer Studie, die in der Zeitschrift Nature Communications erschienen ist, mithilfe mathematischer Modelle eine ergänzende These aufgestellt.

Angestoßen wurde ihre Forschung durch die Beobachtung von Azara-Nachtaffen. Die Mütter der Spezies stillen den Nachwuchs, alle anderen Betreuungsaufgaben übernehmen die Väter. Dieser Umstand stelle „bestehende Vermutungen darüber, warum Männchen nicht stillen, auf den Kopf“, so Studienautor George Constable, Mathematiker an der University of York. Denn obwohl sich auch diese Männchen der Vaterschaft nicht sicher sein können, kümmern sie sich hingebungsvoll um die Nachkommen.

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Bedeutung von Muttermilch für das Darmmikrobiom

Milch produzieren sie aber keine – und das ist den Studienautoren zufolge auch besser so. Denn über das Mikrobiom der Brustmilch nehmen die Kleinen Bakterien – sogenannte Symbionten – auf, die eine Schlüsselrolle beim Aufbau ihres Darmmikrobioms spielen. Nützliche Symbionten schützen vor Krankheiten und helfen bei der Verdauung. Wenn aber zu einem zu frühen Zeitpunkt ein schädlicher Symbiont in das Darmmikrobiom gelangt, kann er dieses im entscheidenden Moment negativ verändern.

„Wenn beide Elternteile an der Fütterung beteiligt sind, verdoppelt sich die Chance, dass schädliche Symbionten weitergegeben werden und im Darmmikrobiom Fuß fassen“, sagt Constable. Nur einem Elternteil die Fähigkeit zum Stillen zu geben, könnte also eine Strategie der Natur sein, die Ausbreitung schädlicher Bakterien in Säugetierpopulationen einzudämmen.

BELIEBT

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    Dass die Aufgabe des Stillens bei den Müttern liegt, ist evolutionär einleuchtend. Ob bereits im Mutterleib Symbionten von der Mutter an das ungeborene Kind weitergegeben werden, ist zwar noch strittig, doch spätestens während des Geburtsvorgangs kommt es unvermeidbar zu einer Übertragung. Der Nachwuchs ist also bereits durch das mütterliche Mikrobiom geprägt – und es ergibt Sinn, dabei zu bleiben.

    Evolutionäre Strategie gegen schädliche Elemente

    „Diese Theorie entspricht dem evolutionären Bestreben von Säugetieren, die Ausbreitung potenziell schädlicher Elemente zu begrenzen“, so Constable. Ein anderes Beispiel für eine solche Strategie sei, dass beim Menschen die mitochondriale DNA ausschließlich von der Mutter weitergegeben werde, wodurch die Ausbreitung schädlicher Mutationen unterdrückt wird. Und Monogamie bei bestimmten Spezies hat Constable zufolge vermutlich den Zweck, das Risiko der Übertragung von sexuell übertragbaren Infektionen zu minimieren.

    Das Studienteam betont, dass seine Theorie nicht für die Bewertung verschiedener Arten der Ernährung von menschlichen Säuglingen gedacht oder geeignet sei. „Unser Modell ist sehr stark auf die langfristige Evolution des Tierreichs ausgerichtet“, sagt Erstautor Brennen Fagan, Mathematiker der Universität York. „Unsere Hypothese füllt eine Lücke in der Evolutionstheorie und befasst sich mit dem Selektionsdruck auf Säugetiere auf Populationsebene und über sehr lange, mehrere Generationen umfassende Zeiträume.“ Wie sie ihre Kinder ernähren, ist ihm zufolge also weiterhin die individuelle Entscheidung jeder einzelnen Familie.

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