Arm ab, Gefahr gebannt: Der spannende Abwehrmechanismus von Seesternen

Wenn Seesterne von einem Raubtier angegriffen werden, können sie als Abwehrmechanismus eines ihrer Gliedmaßen abwerfen. Forschende haben herausgefunden, wie die Stressreaktion der Seesterne funktioniert.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 6. Sept. 2024, 15:39 MESZ
Ein Seestern mit einem halb nachgewachsenen Arm.

Ein Gemeiner Seestern (Asterias rubens) nach der Attacke eines Räubers, bei dem er seinen Arm abwarf. Die Gliedmaße ist bereits teilweise wieder regeneriert. 

Foto von Professor Maurice Elphick / Queen Mary University of London

Die Fähigkeit eines Tieres, bei einem Angriff durch ein Raubtier eines seiner Körperteile abzutrennen, nennt sich Autotomie. Bekannt ist sie vor allem von Eidechsen, die ihren Schwanz abwerfen können – aber auch Seesterne nutzen diese Technik. Wie genau das Meerestier die innovative Ablenkungsstrategie vollführt, war bisher allerdings nicht genau bekannt.

Licht ins Dunkle bringt nun ein Forschungsteam der University of Queen Mary in London, England. Sie identifizierten ein Neuropeptid, das Seesterne bei Gefahr ausstoßen – und welches zum Abwurf eines Armes führen kann. Ihre Studie wurde im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht.

Arm-Abwurf durch das Neurohormon ArSK/CCK1

Auf die Rolle des Neuropeptids bei der Autotomie wurde Ana Tinoco, Hauptautorin der Studie, im Rahmen einer vorangegangenen Studie aus dem Jahr 2021 aufmerksam. In jener hatten Tinoco und ihre Kolleg*innen Seesternen verschiedene Neuropeptide injiziert, um zu testen, ob sich dadurch das Fressverhalten der Tiere ändert. Darunter war auch der Stoff ArSK/CCK1, der dem menschlichen Peptidhormon Cholecystokinin (CCK) ähnelt, das an der Entstehung unseres Sättigungsgefühls beteiligt ist. Bei der Studie kam es zu einem überraschenden Nebeneffekt: Bei den Seesternen führte die Injektion mit dem Peptid bei einem Teil der Tiere zum Abwurf eines Armes. 

Ein orangefarbener Seestern befindet sich in einem bunten Korallenriff bei glasklarem Wasser.

Diese Reaktion haben die Forschenden im Rahmen der aktuellen Studie genauer untersucht. Dabei fanden sie heraus: Die Ausschüttung des Stoffs führt bei Seesternen dazu, dass ein bestimmter Muskel in der sogenannten Autotomieregion an einem der Arme zusammenzuckt. Dort, wo das Gliedmaß auf den Körper trifft. Dadurch komme es zu einem irreversiblen Bruch der Muskeln und Bänder, die das Gliedmaß mit dem Körper verbinden – und der Arm löst sich vom Seestern. 

In der freien Wildbahn wird das Peptid vermutlich im Rahmen der Stressreaktion des Seesterns bei Gefahr ausgeschüttet – und so die Ablösung des Arms eingeleitet oder erleichtert.

Die Biologin Ana Tinoco, Mitautorin der Studie, betont, dass nicht alle Tiere, die mit ArSK/CCK1 injiziert wurden, daraufhin auch ihren Arm abwarfen. Deshalb handele es sich bei dem Mechanismus, der durch das Neurohormon ausgelöst wird, zwar um einen Schlüsselfaktor der Autotomie von Seesternen, es seien aber auch noch weitere Faktoren zu beachten. 

Gliedmaßen-Regeneration auch bei anderen Tieren?

In Zukunft wollen sich die Wissenschaftler*innen vor allem der Erforschung des Vorgangs, der auf die Autotomie folgt, widmen: der Regeneration der abgefallenen Arme. Maurice Elphick, Leiter der Studie, erhofft sich dadurch Einblicke in das Regenerationspotenzial weiterer Tiere, darunter auch das des Menschen. „Indem wir die Geheimnisse der Selbstamputation von Seesternen entschlüsseln, hoffen wir, unser Verständnis der Geweberegeneration verbessern und innovative Therapien für Gliedmaßenverletzungen entwickeln zu können“, so der Neurowissenschaftler.

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