Himmel und Hölle: Unterwegs mit Sturmjägern

Ein Fotograf sucht Stürme, vor denen Menschen sonst fliehen, um Szenen entfesselter Natur festzuhalten. Dafür nimmt er auch stundenlange Verfolgungsjagden in Kauf.

Von Keith Ladzinski
Veröffentlicht am 21. Feb. 2020, 10:31 MEZ
Sturmjäger verfolgen ein Gewitter oft stundenlang.
Um ein gutes Foto von der Sturmzelle zu schießen, muss der Fotograf hinter den Sturm kommen. Das ist manchmal gar nicht so einfach, denn er muss durch Wind, Regen und Blitze.
Foto von Keith Ladzinski

Für Sturmjäger beginnt ein Morgen meist in einem billigen Hotel bei schlechtem Kaffee. Gute Tage sind die, an denen man sich später Hals über Kopf ins Chaos stürzen wird, in der Hoffnung, dabei einen Moment der Erhabenheit festhalten zu können. An diesem Morgen befanden wir uns in Wichita, Kansas. Unser Projekt: die dramatischen und zerstörerischen Unwetter zu fotografieren, die jedes Frühjahr mitten durch die Vereinigten Staaten rasen.

Zum Inneren des Sturms

Nick Moir, unser Expeditionsleiter und Wetterprophet, brütete auf der Suche nach einer Sturmzelle über einer Litanei von Apps und Online-Radaren. „Hier ist es“, sagte er und winkte dem Rest der Crew zu – Fotografin Krystle Wright, Kameramann Skip Armstrong und mir. „Brechen wir auf.“ Wir fuhren Hunderte von Kilometern unter wolkenlosem, blauem Himmel. Der heitere Tag blieb hinter uns zurück, als wir das Randgebiet des anvisierten Sturms erreichten und in eine düstere Szenerie von Wolken, fernen Blitzen und Regenschauern fuhren. Als wir uns dem Inneren der Zelle näherten, bekamen wir es mit starken Winden, sintflutartigem Regen und unerbittlichem Hagel zu tun. Krystle, am Steuer, gab Gas, um den Sturm zu überholen, aber er bewegte sich zu schnell, wir konnten kaum mithalten.

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Vernünftiger Rückzug

Dann erhaschten wir einen Blick auf einen sturm-gepeitschten Albtraum: 800 Meter rechts von uns lag regenummantelt ein Keiltornado. Die chaotischen Bedingungen machten es uns schwer, das Monster im Blick zu behalten, sein Umriss zuckte im Regen hin und her. Wir verloren den Telefonempfang und damit alle Daten, von denen wir für unsere Kommunikation und die Funktion der Radar-Apps abhängig waren. Weiter als sechs Meter konnten wir nicht sehen; der Hagel war so laut, dass wir schreien mussten, um uns zu verständigen. Der Verlauf unserer Straße würde den Weg des Tornados kreuzen. Das war der Moment, in dem Nick abblies. „Wir müssen verschwinden“, schrie er. „Das ist zu viel!“  Krystle riss das Auto nach Norden in eine kleine Landstraße. Ernüchtert, enttäuscht und geschlagen sahen wir ein, dass Rückzug das einzig Richtige war. Doch die Vernunft kann einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Wir waren nicht fertig.

BELIEBT

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    Fotos einer entfesselten Hölle

    Nick ortete eine weitere Superzelle nicht weit entfernt von unserer Position. Los ging die Verfolgungsjagd, als hätte die Natur uns für einen Tag nicht genug gedemütigt. Nach einer Strecke klaren Himmels fanden wir den Sturm. Er schien auf uns zu warten – in traumgleicher Unermesslichkeit mit rotierenden Aufwinden, darüber als „Mutterschiff“ die Superzelle. Diesmal gelang das Überholmanöver. Wir fuhren in der Nähe der Getreidesilos in Imperial, Nebraska, an den Straßenrand und beobachteten ehrfürchtig, wie die atemberaubende Formation sich über die Landschaft ergoss und unten die Hölle entfesselte. Stundenlang folgten wir dem Sturm auf seinem Weg der Verwüstung. Wir hielten, um seine Majestät zu fotografieren, und stürzten zurück ins Auto, um seiner Raserei zu entkommen. Kurz nach Mitternacht ließen wir ihn ziehen. Wir sahen, wie die blitzschwangere Wolke sich davonwälzte und den Nachthimmel erleuchtete – eine herrliche Belohnung für die Waghalsigen, die sie suchen.

     

    Keith Ladzinski hat für National Geographic Nationalparks in den USA, Turmkarstfelsen in China und die französische Verdonschlucht fotografiert.

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in der Februar-Ausgabe 2020 des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Jetzt ein Abo abschließen!

     

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