Ein Hai-Foto und seine Karriere

Eigentlich wollten die Forscher dem weißen Hai folgen. Dann wurden sie selbst zu Verfolgten. Ihr Foto entwickelte später ein kurioses Eigenleben.

Von Thomas Peschak
bilder von Thomas Peschak
Veröffentlicht am 28. Juni 2021, 08:53 MESZ
Weißer Hai folgt Boot

Mit der Resonanz auf dieses Foto hätte Thomas Peschak nie gerechnet. In den ersten 24 Stunden, nachdem er es auf seine Website gestellt hatte, verzeichnete die Seite 100 000 Besucher. Doch dann nahmen die Dinge eine bizarre Wendung.

Foto von Thomas Peschak

Die besten Bilder sind manchmal nicht die, die wir uns zuvor in den Kopf gesetzt haben. Im Jahr 2003 befasste ich mich als Meeresbiologe im Rahmen meiner Doktorarbeit mit Kelpwäldern, steuerte eigentlich aber schon eine Karriere als Fotograf an. Ich war überzeugt, dass ich für den Naturschutz mit Bildern mehr bewegen konnte als mit Forschung. Immer häufiger fotografierte ich Weiße Haie. Sie waren zu einer Obsession geworden, die ich nicht zuletzt meiner Freundschaft mit dem Biologen Michael Scholl vom White Shark Trust verdankte. Die Tiere sind groß, verwegen, charismatisch – und sie brauchen dringend ein neues Image.

Eines sommertags erzählte Michael mir von einer überraschend großen Anzahl von Haien, die sich um die Südspitze Südafrikas herum versammelt hatten: Fast ein Dutzend Weißer Haie patrouillierte an einem nur 1,6 Kilometer langen Strandabschnitt im weniger als 1,80 Meter tiefen Wasser. Sie hielten sich direkt hinter der Brandungslinie auf, nur einen Steinwurf von der Küste entfernt. Im Nu hatte ich meine Ausrüstung gepackt und machte mich auf den Weg.

Um herauszufinden, was die Haie da taten, wollten wir sie zuerst von Michaels Forschungsboot aus beobachten. Das erwies sich aber als schwierig, weil die Haie empfindlich – und ganz unterschiedlich – auf das Geräusch des Bootes reagierten. Einige der Tiere versuchten, in den Motor zu beißen, während andere vor dem Geräusch flohen. Für ein Flugzeug oder einen Helikopter reichte unser Budget nicht, und die kleinen Kameradrohnen waren noch nicht erfunden. Unser Vorhaben war kurz vor dem Scheitern, als mir ein weniger störendes und günstigeres Mittel zur Verfolgung der Haie einfiel: ein Seekajak.

Nachdem wir das Kajak mit GPS ausgestattet hatten, schlüpfte ich in das Cockpit und paddelte los. Binnen weniger Minuten war ich von Haien umgeben. Dieser erste Ausflug war der reine Nervenkitzel: Zweieinhalb Zentimeter Plastik trennten mich vom Topprädator der Meere. Obendrein war es leuchtend gelbes Plastik, eine für manche Haie außerordentlich anziehende Farbe. Zum Glück reagierten die Tiere nicht aggressiv auf mein flach im Wasser liegendes Gefährt. Ich konnte ihnen folgen und aus nächster Nähe ihr natürliches Verhalten studieren.

Zweieinhalb Zentimeter Plastik trennten mich vom Topprädator der Meere

Da meldete sich der Fotograf in mir und hatte die Vorstellung eines ganz bestimmten Bildes im Kopf: ein Hai, dem ein Forscher in einem Kajak folgt. Dieses Bild aufzunehmen, erwies sich allerdings als kompliziert. Zwar drängten sich die Weißen Haie geradezu um das Kajak. Doch schon eine leichte Brise, die die Meeresoberfläche kräuselte, verwandelte den gestochen scharfen Umriss der Tiere in abstrakte, kubistische Bilder. Ich musste auf absolut ruhige Wetterbedingungen warten.

Einige Wochen später waren die Bedingungen perfekt. Ich war bereit. An die Kommandobrücke von Michaels Boot festgezurrt, schoss ich Fotos, auf denen Forscher den Haien folgten – nette, aber belanglose Bilder. Ich hatte nur noch wenige Fotos auf meiner Filmrolle, als sich ein wagemutiger Hai dem Kajak von hinten näherte und rasch in der Wassersäule aufstieg. In dem Augenblick, in dem seine Rückenflosse die Meeresoberfläche durchbrach, drehte sich der Wissenschaftler im Kajak um. Auf einmal folgte hier nicht der Forscher dem Hai, sondern der Hai dem Forscher. Ich drückte auf den Auslöser.

BELIEBT

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    Verschwörungsgeschichten rund um das Foto wucherten im Internet. Fotograf Thomas Peschak gewöhnte sich an, das Originaldia als Beweis für die Echtheit mit zu Interviews zu nehmen.

    Foto von Thomas Peschak

    Mit der Resonanz auf dieses Foto hätte ich nie gerechnet. In den ersten 24 Stunden, nachdem ich es auf meine Website gestellt hatte, verzeichnete die Seite 100 000 Besucher. Dann nahmen die Dinge eine bizarre Wendung: Immer mehr Leute unterstellten mir, ich hätte das Bild gefälscht. Verschwörungsgeschichten rund um das Foto wucherten im Internet. Ich gewöhnte mir an, das Originaldia als Beweis für die Echtheit mit zu Interviews zu nehmen. Das Bild hatte mir als Fotograf einen Namen verschafft und einiges an Geld eingebracht, doch ich wurde es leid, es ständig verteidigen zu müssen.

    Verschwörungsgeschichten rund um das Foto wucherten im Internet

    Jahre später wurde die Geschichte vollends surreal. 2011 waren durch den Hurrikan „Irene“ weite Teile Puerto Ricos überschwemmt worden, und ein Nachrichtensender zeigte das Bild eines Hais, der eine überflutete Straße hinaufschwimmt. Eine wirklich erstaunliche Szene, aber irgendwie kam mir der Hai bekannt vor: Es war mein Weißer Hai, den jemand per Photoshop ins Bild gemogelt hatte. 2012 tauchte der Hai erneut auf, diesmal auf einer nach Hurrikan „Sandy“ überfluteten Autobahn in New Jersey. 2017 mäanderte der Hai nach Hurrikan „Harvey“ überschwemmte Straßen in Houston entlang. Vor Kurzem, nachdem Hurrikan „Laura“ die Küste Louisianas verwüstet hatte, erhielt ich eine SMS: „Rate mal, wer wieder da ist!“ Ich tippte den Link an – und sah meinen Hai.

    Nur wenigen Menschen sind Haie egal, deshalb sind die gefälschten Bilder so fesselnd. Als Fotograf und Geschichtenerzähler mache ich mir das zunutze. Mit einem eindringlichen Bild und einer mitreißenden Geschichte kann ich aus den vermeintlich monströsen und blutrünstigen Kreaturen verletzliche Wesen machen, die Respekt und Schutz verdienen. Haie machen auf einige der dringlichsten Umweltprobleme unserer Weltmeere wie Überfischung oder Klimawandel aufmerksam. Wir müssen gut auf sie achten. Auf den ersten Blick scheint das Foto vom Kajak und dem Hai unheilverheißend, doch seine wahre Geschichte ist eine ganz andere – eine Geschichte vom Staunen, von Neugier und von Koexistenz.

    Aus dem Englischen von Dr. Ulrike Kretschmer

    NATIONAL-GEOGRAPHIC-Explorer Thomas Peschak ist Fotograf und Meeresbiologe. Sein Buch „Wild Seas“ erscheint im Oktober 2021 auf Deutsch (vorbestellbar auf nationalgeographic-buch.de).

    Die Juli-Ausgabe von National Geographic ist ab 25. Juni 2021 im Handel erhältlich.

    Foto von National Geographic

    Dieser Artikel erschien in voller Länge in der Juli 2021-Ausgabe des deutschen NATIONAL GEOGRAPHIC Magazins. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen! 

    TV-Tipp: Im Juli ehrt NATIONAL GEO- TV-TIPP GRAPHIC WILD im Themenmonat Hai Life die ebenso mächtigen wie missverstandenen Jäger der Ozeane mit zahlreichen Erstausstrahlungen.

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