Warum eine Berliner Initiative Grundeinkommen verlost
1000 Euro monatlich für ein Jahr gibt es bei „Mein Grundeinkommen“ zu gewinnen. Was macht das Einkommen mit den Empfängern?
Michael Bohmeyers Geschichte fängt mit einem Online-Shop für Blechschilder an, „Parken verboten“, „Rauchen verboten“. Der läuft so gut, dass er nach einigen Jahren aussteigt und von seiner Beteiligung lebt. Was er dann erlebt, verändert ihn. Erst fühlt er sich gelangweilt, dann gestresst; überfordert von der Freiheit. „Aber irgendwann hat eine tiefe Ruhe eingesetzt“, erzählt er. „Ich habe eine Gelassenheit gefühlt wie nie vorher. Und daraus Kraft gewonnen, Neues zu probieren.“ Er liest Bücher, besucht Seminare über Kindererziehung und gewaltfreie Kommunikation. Im Urlaub überlegt er: Wie wäre eine Gesellschaft, in der es allen so ginge? Bohmeyer will es testen. Er dreht ein Video, lädt es im Internet hoch: Er wirbt um 12.000 Euro als Crowdfunding für ein Jahr Grundeinkommen, der Empfänger werde ausgelost. Drei Wochen später hat er das Geld zusammen.
Drei Jahre ist das her. Heute sitzt Bohmeyer, 32, auf einer Liegewiese aus Matratzen in einem Büro in Berlin-Neukölln und hat 20 Kollegen bei „Mein Grundeinkommen“. Sie entwickeln Spendenkampagnen, organisieren Veranstaltungen oder programmieren die Homepage. Wer für ein Jahr von der Initiative Geld bekommen will, meldet sich online zur Verlosung an, wenn genug Spenden zusammen sind, wird das grüne Glücksrad gedreht. Mehr als hundert Gewinner gab es bisher, die jeden Monat 1000 Euro erhalten – ohne Bewerbung, ohne Belege, ohne Gegenleistung. Fast 1,3 Millionen Euro Spenden hat die Initiative gesammelt, das meiste von Privatpersonen. Über 40.000 haben sich als monatliche Spender registriert, so auch Beate Schwarz. Sie lebt im mecklenburgischen Waren und gibt jeden Monat acht Euro. „Weil es immer weniger Arbeit gibt, müssen wir einen anderen Weg finden, unsere Gesellschaft zu organisieren“, sagt sie.
“Wir nehmen niemandem etwas weg, alle bekommen gleich viel.”
Fast alle Gewinner verändern sich, erzählt Gründer Bohmeyer: „Mit einem Grundeinkommen fühlen sie sich wertgeschätzt. Sie werden selbstbewusster und aktiv, haben keine Ausrede mehr. Sie bekommen Geld und die Möglichkeit, etwas zu machen.“ Einer kündigte im Call-Center und studiert Pädagogik. Eine Architektin machte sich selbstständig. Ein Langzeitarbeitsloser fand einen Job. Gäbe es Grundeinkommen für alle, helfe das der ganzen Gesellschaft, sagt Bohmeyer: „Wir nehmen niemandem etwas weg, alle bekommen gleich viel. Weil jeder abgesichert ist, muss nicht auf Besitzansprüchen beharrend diskutiert werden. Das schafft Raum für bessere politische Debatten. Der angstgetriebene Egoismus wird überflüssig, der unsere Gesellschaft so prägt.“ Friedlicher und rücksichtsvoller könnten wir zusammenleben, glaubt er.
Das Thema Grundeinkommen diskutieren auch andere: In Finnland läuft ein Versuch mit Arbeitslosen. Die Schweizer lehnten es bei einem Referendum ab. Bei der Bundestagswahl tritt das „Bündnis Grundeinkommen“ an, unabhängig von Bohmeyers Initiative. Er plant derweil das nächste Experiment: Wie könnten Grundeinkommen langfristig finanziert werden, ohne Spenden? Bohmeyer wartet nicht auf politische Entscheidungen. Er probiert einfach und hofft, dass die Ergebnisse überzeugen.
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 10/2017 des National Geographic Magazins. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!