Pakistans leidenschaftliche junge Künstler trotzen den Stereotypen

Trotz der Bedrohung durch den Terror steht die Jugend in Lahore leidenschaftlich für ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ein.

Von Catherine Zuckerman
bilder von Matthieu Paley
Veröffentlicht am 27. Nov. 2017, 13:55 MEZ
Zoya Uzair, eine Studentin des National College of Arts (NCA) in Lahore, bereitet sich auf ein ...
Zoya Uzair, eine Studentin des National College of Arts (NCA) in Lahore, bereitet sich auf ein Fotoshooting vor. Das Kunstprojekt will mit den Stereotypen spielen, mit denen es jene Frauen oft zu tun haben, die ein Kopftuch tragen oder sich verschleiern.
Foto von Matthieu Paley, National Geographic

Jung, liberal und dynamisch – Lahore ist schon seit über einem Jahrhundert die progressive Hauptstadt Pakistans. Der französische Fotograf Matthieu Paley, der jahrelang in der Bergregion des Landes lebte und wanderte, nennt sie „das kulturelle Herz von Pakistan“.

Die Stadt – die teils als Zufluchtsort für muslimische Minderheiten gegründet wurde – entwickelte sich auf ungewöhnliche Weise zu einem Zentrum für Kunst und Kultur. 1875 gehörte das Gebiet noch zu Indien und stand unter britischer Kontrolle. Ein englischer Fürsprecher der Künste, John Lockwood Kipling, half dort bei der Gründung einer Kunstakademie und eines Museums. Kipling war der erste Direktor der Schule und der erste Kurator des Museums. Er wollte das einheimische Kunsthandwerk, die Musik und die Architektur der Region Punjab erhalten und ausstellen. (Sein Sohn, der englische Autor Rudyard Kipling, schrieb einen Roman namens „Kim“, der in Lahore im kolonialen Indien spielt.)

Die Schule und die Mission wuchsen im Laufe der Zeit. Heute folgen das National College of Arts (NCA) und das Lahore Museum derselben Direktive

Rabeeya Arif, eine Absolventin des NCA, steht vor dem Schwimmbecken der Künstlerkommune Harsukh in Lahore. Das Becken wurde so entworfen, dass es einem traditionellen türkischen Bad oder Hamam ähnelt.
Foto von Matthieu Paley, National Geographic
Rao Hassan Nasir aus Karachi malt an einem Gemälde, für das ihm ein Foto eines NCA-Wachmanns, das er selbst geschossen hat, als Vorlage dient.
Foto von Matthieu Paley, National Geographic

Paley besuchte Lahore im vergangenen Februar und traf einige der jungen Künstler und Studenten der NCA. „Die Jugendlichen sind besonders leidenschaftlich bei der Suche nach Wegen, um mit ihrer Kunst ein Gefühl der Freiheit in diesem komplexen Land auszudrücken. Dabei greifen sie tief in die Bedeutung dessen, was Pakistan ausmacht, und finden Inspiration in seiner spirituellen Geschichte.“

Paley war in Lahore, um deren ummauerte Altstadt zu fotografieren. Als er einen Workshop gab, war er beeindruckt davon, wie reif und erwachsen seine jungen Studenten wirkten. Eine Terrororganisation namens Jamaat-ul-Ahrar hatte gerade erst einen Bereich mit einem hohen Verkehrsaufkommen bombardiert - der Angriff galt der Regierung -, und während seines Aufenthalts, gab es eine zweite Attacke.

Aber Paleys Studenten schienen nicht beunruhigt von dem, was da um sie herum geschah. Ein Student namens Karum Ali erklärte: „Ich habe keine Angst und lasse mich davon nicht stören. Denn genau das wollen sie ja, dass wir Angst vor ihren Attacken haben, damit wir das tun oder dem folgen, was sie wollen. Was bedeutet es heutzutage überhaupt noch, in Sicherheit zu sein? Ist man in Pakistan, Frankreich oder den USA sicherer? Das würde ich gern mal wissen ... Ich habe beschlossen, mich sicher zu fühlen. Das ist meine Entscheidung.“

Aftab Sheikh (rechts), der Leiter der Künstlerkommune Harsukh, redet mit Zainab Sattar, die aus Lahore kommt und gerade aus Großbritannien zurückgekehrt ist.
Foto von Matthieu Paley

Die Studenten, die „stolz auf ihre sehr modernen Ansichten sind“, wie Paley sagt, konzentrieren sich oft darauf, inmitten der konservativeren Aspekte ihrer Gesellschaft fortschrittlich zu bleiben.

Lahore wirkt generell progressiver als fast jeder andere Ort in Pakistan, was teils auf den geschichtsträchtigen, künstlerischen Charakter des NCA zurückzuführen ist. Die liberale Atmosphäre und die Seele des Sufismus sind in der ganzen Stadt spürbar. Viele der jungen Erwachsenen, mit denen er Zeit verbracht hat, identifizieren sich mit den Traditionen und den Dichtungen des Sufismus – einer Ansammlung von Strömungen im islamischen Kulturkreis, die stark mystisch und spirituell ausgerichtet sind. „Davon fühlen sie sich wirklich inspiriert“, sagt Paley.

Saleema, eine Transgender-Frau, wartet in ihrem Zimmer im Rotlichtviertel von Lahore auf einen Besucher. In Pakistan glaubt man mitunter, dass Transgender-Frauen – dort auch als Khawaja siras bekannt – Glück bringen, aber sie wurden auch marginalisiert. Mittlerweile gibt es einige Gruppen, die für ihre Rechte kämpfen. Saleema gilt in ihrer Gemeinschaft als Guru und bringt anderen jungen Khawaja siras die Kunst des Singens und Tanzens bei.
Foto von Matthieu Paley, National Geographic
Das Pakistan Talkies Cinema ist ein altes Kino in Lahores heutigem Rotlichtviertel. Es gilt als kontrovers, da es Filme zeigt, die auch ein wenig erotisch sind.
Foto von Matthieu Paley, National Geographic

Er war überrascht von den Freiheiten, die er beobachtete, während er auf dem NCA-Campus Zeit mit den Studenten verbrachte – ein Kontrast zu dem, was viele Menschen als ein eher konservatives Land betrachten.

Er traf Musiker, Modedesigner, Tänzer und Maler – alle von ihnen Freigeister. Rabeeya Arif, eine ehemalige Architekturstudentin, die nun an einem Projekt zur Restauration der ummauerten Altstadt arbeitet, erzählte Paley: „Sie wären überrascht, was für eine Vielfalt sie in Pakistan finden können, besonders an der Universität. Die Leute lieben tiefsinnige, bedeutungsvolle Konversationen. Manche Frauen tragen ein Hijab, andere nicht – es ist nicht wichtig, wie man aussieht, sondern was man sagt. Es gibt viel Respekt und einen großartigen Dialog.“ Arif verwies auch darauf, dass „dieses Land historisch gesehen – obwohl der Islam die stärkste Komponente ist – gegründet wurde, damit es ein tolerantes Land für alle Minderheiten sein konnte.“

Die Stimmen dieser jungen Männer, Frauen und Transgender-Frauen scheinen über jede Bedrohung der Unterdrückung erhaben. „Ihre Art zu sprechen und Kunst zu schaffen ist sehr berührend“, sagt Paley. „Sie sind begeistert von der Möglichkeit, zu zeigen, wer sie sind. Sie strahlen richtig von innen heraus.“

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