Die süße Geschichte der Zuckerwatte

Die luftige Süßigkeit war die längste Zeit ein Privileg der Reichen und ihre Herstellung eine wahre Kunstform.

Von Rebecca Rupp
Veröffentlicht am 3. Aug. 2018, 16:50 MESZ
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Ein Zuckerwatteverkäufer in Manila auf den Philippinen.
Foto von Richard James Mendoza, Getty Images

Sommer ist vielerorts Hochsaison für Jahrmärkte und Volksfeste, und neben den klassischen Fahrgeschäften dürfen natürlich auch die typischen Jahrmarkts-Köstlichkeiten nicht fehlen: Gebratene Maiskolben, Siedegebäck, Strauben, kandierte Äpfel, Brezeln und natürlich die weißen und rosafarbenen Wölkchen aus Zuckerwatte.

Überraschend ist, dass Zuckerwatte in dieser Auflistung das Nahrungsmittel mit den wenigsten Kalorien ist. Eine Portion hat für gewöhnlich nur etwa 40 Kalorien. Das liegt daran, dass sie hauptsächlich aus Luft besteht. Der Rest ist allerdings purer Zucker.

Absurderweise wurde die erste patentierte Maschine zur Zuckerwatteherstellung von einem Zahnarzt namens William Morrison erfunden, der sich von dem Konditor John C. Wharton hatte beraten lassen. Zusammen ließen sie ihre „elektrische Zuckermaschine“ 1897 patentieren. Sie bestand aus einer Metallschüssel mit einer Zentrifuge, die Kristallzucker enthielt und mit winzigen Löchern perforiert war.

Ihre Erfindung funktionierte größtenteils so wie modere Zuckerwattemaschinen. In der Zentrifuge wird der Zucker zu Sirup geschmolzen. Gleichzeitig drück die Zentrifugalkraft den flüssigen Zucker durch die winzigen Löcher. Wenn der Sirup aus den Löchern spritzt, verfestigt er sich fast augenblicklich in Form langer, dünner Stränge, deren Durchmesser nur etwa 50 Mikrometer beträgt.

Der Sirup kühlt so schnell ab, dass sich der Zucker in der kurzen Zeit nicht wieder kristallisieren kann. Stattdessen verbleibt er in einem festen, aber amorphen Zustand. Letzten Endes verspeist man also die Zuckervariante von Glas.

Zuckerwatte ist auf den meisten Volksfesten und Jahrmärkten nicht wegzudenken.
Foto von Helene Rogers, Alamy

Die elektrische Zuckermaschine von Morrison und Wharton hatte 1904 auf der Louisiana Purchase Exposition ihren ersten großen Auftritt. Die siebenmonatige Weltausstellung wartete unter anderem mit einer Nachstellung des Burenkrieges, der größten Orgel der Welt, einem 80 Meter hohen Riesenrad und einer Elefanten-Wasserrutsche auf. Etwa 20 Millionen Menschen besuchten die Ausstellung, auf der Morrison und Wharton 68.655 Portionen Zuckerwatte verkauften. Sie verpackten die Süßigkeiten in kleinen Holzschachteln und vermarkteten sie als „fairy floss“ (Feen-Seide).

Der Begriff „cotton candy“ („Zuckerwatte“) setzte sich dann erst unter dem Einfluss von Josef Lascaux durch, einem weiteren Zahnarzt, der Zuckerwatte herstellte. Er verkaufte die Süßigkeit an seine Patienten und versuchte erfolglos, das Originaldesign der Maschine von Morrison und Wharton zu verbessern. Der Apparat neigte dazu, zu rütteln und zu schütteln und schließlich auseinanderzufallen. Das Problem wurde erst 1949 behoben, indem eine gefederte Grundplatte eingebaut wurde. Die Erfindung erwies sich als so effektiv, dass ihr Verbreiter Gold Medal Products aus Cincinnati heute noch der weltweit führende Hersteller von Zuckerwattemaschinen ist. Im Jahr 1951 erfand Gold Medal dann noch eine passende Maschine, die ein flaches Blatt Papier zu einer perfekten Zuckerwatte-Tüte rollen konnte.

Die Süßigkeit ist allerdings keine neuzeitliche Erfindung. Laut Tim Richardsons Buch „Sweets: A History of Candy“ geht Zuckerwatte mindestens bis auf das 15. Jahrhundert zurück. Damals schufen kreative italienische Köche fantastische Skulpturen aus gesponnenem Zucker. Dafür verflüssigten sie den Zucker erst, zogen den Sirup dann mit einer Gabel in die Länge und drapierten die Stränge über einem Besenstiel.

Im 16. Jahrhundert wurde Heinrich III. von Frankreich zu einem Staatsbesuch nach Venedig eingeladen und genoss ein Zuckerbankett inklusive Besteck und Tischtuch aus gesponnenem Zucker. Im frühen 19. Jahrhundert war der berühmte Koch Marie-Antoine Carême, der auch Napoleons Hochzeitstorte angefertigt hatte, für seine Windmühlen, Springbrunnen, Tempel und Paläste aus Zuckerwatte bekannt. Aber auch nicht ganz so exquisite Köche konnte sich an der Kunst des Zuckerspinnens versuchen. In Elizabeth Raffalds „The Experienced English Housekeeper“ von 1769 gibt es Rezepte für goldene und silberne Netze zur Verzierung von Zuckerwerk. Dafür wurde Zuckersirup mit einer Messerspitze langgezogen und dann „so schnell wie möglich vor und zurück“ geschlagen.

Trotzdem war das Spinnen von Zucker schwierig und aufwendig, sodass es bis zur Erfindung der Zuckerwattemaschine eher ein Dessert für wohlhabende Menschen blieb.

Heutzutage ist Zuckerwatte nicht nur äußerst erschwinglich, sondern im Vergleich zu anderen Jahrmarkts-Snacks auch gar nicht so sündhaft. Immerhin ist in einer normalen Portion weniger Zucker enthalten als in einer Dose Cola. Auch der Trend zum Designer Food hat vor der beliebten Süßigkeit nicht Halt gemacht, sodass es Zuckerwatte mittlerweile auch in Geschmacksrichtungen wie Mango-Chili, gesalzenes Karamell, Erdbeere und Lychee-Grüntee gibt.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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