Bier, Schnaps und Bollerwagen: Woher kommt der Vatertagsbrauch?

Viele Männer in Deutschland verbringen den Vatertag Bier trinkend und wandernd – und bleiben unter sich. Doch worin liegen die Wurzeln dieser Traditionen? Und wie lange gibt es den Vatertag bereits?

Von Deborah Roth
Veröffentlicht am 29. Mai 2019, 13:43 MESZ
Der erste Trunk / C.W.Allers Kalenderfeste / Himmelfahrt (Vatertag). - "Der erste Trunk". - (Ausfluegler beim ...
Der erste Trunk / C.W.Allers Kalenderfeste / Himmelfahrt (Vatertag). - "Der erste Trunk". - (Ausfluegler beim Anstich von Fassbier). Lichtdruck nach Zeichnung, 1888, von Christian Wilhelm Allers (1857-1915). Aus der Serie: C.W.Allers, Club Ein- tracht, Eine Sommerfahrt, Hamburg (C.Boysen) 1889. Berlin, Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte.
Foto von Picture Alliance, AKG Images

„Alle Jahre wieder, bleib’ ich fern vom Kind.“ So, oder so ähnlich, könnte ein Lied zu Christi Himmelfahrt anfangen, denn dann ist in Deutschland Vatertag – und damit für viele Männer Zeit für einen Ausflug ganz ohne Familie. Männerscharen ziehen mit Schnaps, Bier und Bollerwagen los und feiern sich als Väter. Aber warum wird an diesem Tag eigentlich gewandert und getrunken? Und warum bleiben die Männer unter sich, anstatt etwas mit der Familie zu unternehmen?

Von der Prozession zur Wanderung

Vatertag wird auf der ganzen Welt gefeiert, aber überall anders und an unterschiedlichen Tagen. In Frankreich, den Niederlanden und in der Türkei zum Beispiel bekommt Papa am dritten Sonntag im Juni Frühstück ans Bett, ein Gedicht vorgetragen oder Geschenke, wie man es auch vom Muttertag kennt.

In Deutschland fällt der Vatertag auf den kirchlichen Feiertag Christi Himmelfahrt. Eine Erklärung dafür besagt, dass der Vatertag als Gegenprogramm zu Christi Himmelfahrt etabliert wurde: Statt des religiösen Festes für den „Vater im Himmel“ gab es ein weniger frommes für den „Vater auf Erden“. Während Christi Himmelfahrt jedoch seit dem vierten Jahrhundert gefeiert wird, ist der irdische Vatertag eine recht neue Erfindung: In Deutschland gibt es ihn noch keine 100 Jahre. Doch die Bräuche sind deutlich älter als der Ehrentag.

Galerie: Der Vatertag im Laufe der Geschichte

Alois Döring, Kulturwissenschaftler und historischer Autor, hat ein ganzes Buch über die Entstehung deutscher Festtage geschrieben. „Die Wurzeln des Vatertagsbrauchs liegen im Mittelalter und sind möglicherweise auf die Flurprozessionen an Christi Himmelfahrt zurückzuführen“, sagt er. Die Flur war ein abgestecktes Stück Land, das zu einem bestimmten Großgrundbesitzer gehörte. Anhand von Flurprozessionen und Flurumritten wurden Land und Ernte gesegnet sowie angrenzende Grundstücke aus anderen Gemeinden rechtlich neu abgesteckt.

Die Bittprozessionen fanden immer an Christi Himmelfahrt statt. Das Bauernvolk durfte für diesen Anlass der Feldarbeit fernbleiben, den Gottesdiensten beiwohnen und bei den Prozessionen mitlaufen. Mit der Reformation um 1517 begann sich dieser Ritus jedoch zu verändern und das stundenlange Laufen verlor seinen frommen Sinn immer mehr: Statt mit einem Stoßgebet zum Himmel, wurde die Ernte bodenlos mit Bier und Schnaps begossen. Ledige Frauen oder Dirnen waren bei den Saufgelagen erlaubt, Ehefrauen jedoch mussten die Kinder hüten.

Ausflug eines Männergesangsvereins zu Himmelfahrt: Ein Ständchen im Walde - um 1910. Aufnahme: Otto Häckel Originalaufnahme im Archiv von ullstein bild
Foto von Picture Alliance, Ullstein Bild, Häckel Archiv

Von der Herrenpartie zum Vatertag

Die Tradition, an Christi Himmelfahrt unter Männern zu wandern, entwickelte sich dann im späten 19. Jahrhundert. „Mit der beginnenden Industrialisierung veränderte sich die Gesellschaftsstruktur“, sagt Gunther Hirschfelder, Professor für Vergleichende Kulturwissenschaften an der Universität Regensburg. Junge Familien und alleinstehende Männer zogen vermehrt vom Land in die Stadt, um dort einer Arbeit in Fabriken nachzugehen. „Der politische und moralische Wirkungskreis der Kirche auf die damaligen ‚Singles‘ und Arbeitnehmer wurde geringer, christliche Feiertage wurden seltener im kirchlichen Kontext gefeiert.“ Was zählte, war, dass man nicht arbeiten musste. „In der Arbeiterklasse spielte Freizeit eine immer größere Rolle: Freizeit mit den Freunden wurde zum erkämpften Recht", so Hirschfelder.

Unter diesen Vorzeichen entstand die Tradition der Herrenpartie: Ein Gemeinschaftsausflug ins Grüne, an dem nur Herren teilnahmen. Die Männer wanderten, spielten Skat oder kegelten und ließen kaum ein Wirtshaus aus. Es war, wenn man so will, eine Weiterentwicklung der Flurprozessionen an Christi Himmelfahrt. Der Termin kam gelegen: Alle hatten frei und im Mai und Juni war meist gutes Wetter.

Vatertagsausflügler im Kremser Mai 1958.
Foto von Picture Alliance, Ullstein Bild

Kremsertouren und Bollerwagen

Während die einen sich betranken, sahen die anderen ihre Chance für gute Geschäfte und organisierten Ausflugsfahrten mit geschmückten Pferdekutschen aufs Land. „In Berlin wurden die Herrenpartien vornehmlich von dem Fuhrunternehmer Simon Kremser organisiert“, sagt Volkskundlerin Dagmar Hänel vom Institut für Regional- und Kulturgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). Noch heute werden Vatertagstouren in den ostdeutschen Bundesländern deshalb als „Kremsertouren“ bezeichnet: Männer fahren auf geschmückten Wagen, oft mit Zylinder und Frack verkleidet, von Gasthaus zu Gasthaus. „Für die, die sich die Fuhrunternehmen nicht leisten konnten, kam der Bollerwagen ins Spiel“, sagt Hänel. Der praktische Handwagen gehörte damals in jeden Haushalt und war somit der bequemste und günstigste Weg, den Alkohol für die Herrenpartie zu transportieren.

Der offizielle Vatertag: Eine Idee der Nazis oder Import aus den USA?

Einen Vatertag gab es jedoch auch Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland nicht. Seine Wurzeln hat er, genau wie der Muttertag, in den USA, und geprägt hat ihn eine Frau: Sonora Louise Smart Dodd aus Spokane, Washington, stellte 1909 einen Antrag für die Gründung des Vatertags bei den örtlichen Behörden. Vor dem Kontext des frisch eingebürgerten Muttertags fand diese Idee in der US-Kleinstadt sofort Anklang und wurde ab 1910 örtlich gefeiert. 1916 soll der damalige US-Präsident Woodrow Wilson extra nach Spokane gereist sein, um den Vatertag mitzufeiern. Zehn Jahre später etablierte in New York das „National Father’s Day Committee“, das den Vatertag als nationalen Feiertag etablierte.

Hierzulande vollzogen Männer unterdessen weiter die Herrenpartie, auch wenn sie in den 20er Jahren an Popularität verlor. Es waren die Nationalsozialisten, die die Tradition für eigene Propagandazwecke wieder hervorholten. Auch die offizielle Einführung des Begriffs „Vatertag“ erfolgte 1936 unter den Nazis. Der Vatertag war zwar keine Idee oder Erfindung von Hitler, passte aber zur NS-Politik, die christliche Feiertage abschaffen und die deutsche Bevölkerung zu einer „germanischen Herrenrasse“ ausbauen wollte.

Kritik an den Vatertagstouren

„Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Bedeutungsverlust christlicher Feste wie Christi Himmelfahrt fort“, sagt Hänel. „Statt der Prozession gab es die so genannte Vatertags- oder Herrentour, mit viel Alkohol.“ Frack und Zylinder wurden zur Verkleidung. Hinzu kamen zunehmend modische Accessoires, ähnlich wie im Karneval, bei Junggesellenabschieden oder Weihnachtsmarktbesuchen in Gruppen. „Der übermäßige Alkoholkonsum galt hier manchen als Initiationsritual: Man lernte zu ‚saufen wie ein Mann‘ und wurde so in den Kreis der Großen aufgenommen,“ erklärt Hänel.

Himmelfahrt / Vatertag. Vatertagsausflug an den Berliner Wannsee. Foto, Mai 1956.
Foto von Picture Alliance, AKG Images, Gert Schütz

Während der 68er Revolte und der Frauenbewegung um 1975 wurde der Familien- und Emanzipationsdiskurs lauter. Schriftsteller Günther Grass sorgte 1977 mit dem Kapitel „Vatertag“ in seinem Roman „Der Butt“ für Aufruhr: Er schickte vier lesbische Frauen am Vatertag in die Wälder, um es dem Patriarchat gleichzutun. Die Szene endet in Vergewaltigungen und Mord. Der Vatertag wurde Thema intellektueller Debatten und Diskurse, der Brauch in einigen Gesellschaftskreisen immer kritischer beäugt. Die Lager spalteten sich zwischen den munteren Wandergesellen und denjenigen, die den Feiertag lieber im Kreise der Familie verbringen wollten.

Der Vatertag ist für viele Männer trotz Kritik bis heute ein Anlass für ein großes Besäufnis unter Freunden geblieben. Daran änderte auch ein Appell der ehemaligen Familienministerin Ursula von der Leyen wenig. Sie rief 2008 dazu auf, an Vatertag auf Alkohol zu verzichten. „Ich bestehe darauf, dass wir den Vatertag neu erfinden müssen als einen Tag, der begeistert mit den Kindern gefeiert wird“, sagte sie damals. Das wäre nicht nur für die Kinder schön. An Christi Himmelfahrt gibt es nach Angaben der Deutschen Verkehrswacht so viele alkoholbedingte Unfälle wie an keinem anderen Tag im Jahr.

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