Wer war Sokrates?

Er gilt als Gründervater der westlichen Philosophie und hinterfragte alle Bereiche des Lebens in Athen – und zahlte den Preis dafür.

Von Kristin Baird Rattini
Veröffentlicht am 21. Nov. 2019, 13:43 MEZ
Sokrates wurde 399 v. Chr. hingerichtet, da er den Göttern über respektlos gewesen sei. In „Der Tod des Sokrates“ wird seine Sterbeszene mit dem berühmten Schierlingsbecher dargestellt.
Foto von VCG Wilson, Corbis, Getty

Sokrates gilt unter vielen Gelehrten als Begründer der westlichen Philosophie – und als eine der rätselhaftesten Figuren der Antike. Er hat keinerlei Werke selbst verfasst, daher stammt alles Wissen über den griechischen Philosophen aus den Schriften seiner Zeitgenossen und Schüler, allen voran sein berühmtester Schützling Platon.

Allerdings ringen die Gelehrten nach wie vor mit dem „sokratischen Problem“: Wie kann man die historische Persönlichkeit Sokrates von jenem Individuum unterscheiden, das im Laufe der Jahrhunderte von diversen Autoren dargestellt und interpretiert wurde? Jeder Jurist wird jedoch bestätigen können, dass seine „sokratische Methode“ – ein interrogativer Diskurs zur Erörterung von Problemen und möglichen Lösungen – heutzutage noch genauso rege praktiziert wird wie im Athen des 5. Jahrhundert v.Chr., als der große Denker alles und jeden infrage stellte.

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Sokrates tat sich zuerst im Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta als Hoplit hervor, ein schwer bewaffneter Infanterist. Er wurde für sein großes Durchhaltevermögen und seine Furchtlosigkeit bewundert und rettete dem respektierten athenischen General Alkibiades das Leben.

Nach seiner Rückkehr nach Athen erlangte er recht bald einen Ruf als Philosoph – als „Freund der Weisheit“. Er verschrieb sich der wohl von ihm selbst stammenden Maxime: „Ein Leben, das nicht Fragen ist, ist kein menschenwürdiges Leben.“ Und so machte er sich daran, alle Aspekte des Lebens in Athen zu hinterfragen.

Einer Geschichte nach, soll das Orakel von Delphi Sokrates einst als weisesten Mann in ganz Athen bezeichnet haben. Sokrates selbst glaubte, dass nur ein weiser Mann sein eigens Unwissen erkennen könne. Denn nur durch fortwährendes Fragen und Infragestellen könne ein Mensch zum Verständnis gelangen und die Wahrheit finden.

Angeblich bot Sokrates einen sehr eigenwilligen Anblick: Er stolzierte durch die Straßen und drehte jeden vorbeilaufenden Passanten mit seinen Fragen nach einem integren Leben durch die Mangel. Wie schon im Krieg kümmerte er sich auch im Frieden nicht um sein Äußeres: Oft lief er tagsüber barfuß und ungewaschen umher, trug kaum mehr als seine Schlafsachen und sein Haar war lang und ungekämmt.

Feindschaft und Verhängnis

Unter den jungen, mächtigen und wohlhabenden Athenern gab es viele, die ihm folgten. Aber er hatte auch Kritiker. Insbesondere mit den Sophisten lieferte er sich hitzige Wortgefechte. Die umherziehenden Gelehrten und Lehrer unterrichteten – gegen eine Gebühr – junge Athener in der Rhetorik, die sie auf dem politischen Parkett brauchten. Sokrates missbilligte, dass sie ihr Wissen nur gegen Geld teilten. Ihre gegenseitige Feindschaft thematisierte Aristophanes in seinem satirischen Stück „Die Wolken“. Der berühmte Dichter verspottete nicht nur Sokrates’ Äußeres – er war wohl ein sehr unansehnlicher Mensch –, sondern auch seinen Charakter und stellte ihn als jemanden dar, der sprichwörtlich völlig abgehoben war.

Der große Fall ließ nicht lange auf sich warten, denn der politische Wind in Athen drehten sich bald zu seinen Ungunsten. Sokrates geriet ins Visier – nicht nur wegen der Taten einiger seiner Anhänger, sondern auch, weil seine Ideen des Individualismus in den politisch angespannten Zeiten zu revolutionär wirkten. Im Jahr 339 v. Chr. klagte man ihn wegen Gottlosigkeit an und weil er die Jugend Athens verderben würde.

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Anstatt zu fliehen oder seinen Ansichten abzuschwören, akzeptierte Sokrates seine Strafe: den Tod. Seine letzten Tage verbrachte er damit, seine Freunde zu besuchen, ehe er den giftigen Schierlingsbecher trank. Wie Plato berichtete, schienen „seine Worte und sein Benehmen froh, als er nobel und ohne Angst verstarb“. Im Leben wie im Tod hatte sich Sokrates als kühn und inspirierend hervorgetan und hinterließ ein geistiges Erbe, das die folgenden Jahrtausende prägte.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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