Ab mit dem Kopf: Alltag bei Madame Tussaud

Die beliebte Touristenattraktion blickt auf eine Geschichte zurück, die an Gruselmärchen erinnert.

Von Gulnaz Khan
Veröffentlicht am 1. Feb. 2020, 15:47 MEZ
Madame Tussauds Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit im Wachsstudio in der Marylebone Road, London  (1939).
Madame Tussauds Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit im Wachsstudio in der Marylebone Road, London (1939).
Foto von David Savill, Topical Press Agency/Getty Images

Ende des 18. Jahhunderts begann die Wachskünstlerin Marie Tussaud ihre durchaus ungewöhnliche Karriere in Paris. Zum Beweis ihrer Loyalität gegenüber der Französischen Revolutionsbewegung sah sie sich gezwungen, Totenmasken der geköpften Aristokraten der vormaligen Monarchie zu erstellen. Unter ihnen befanden sich auch ehemalige Auftraggeber: König Ludwig XVI. und Marie Antoinette.

Totenmasken gab es schon im antiken Rom und alten Ägypten, wo sie dazu verwendet wurden, die Gesichter ihrer Toten in einer Zeit vor der Fotografie für die Ewigkeit festzuhalten. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden sie für Bestattungsriten, Portäts, religiöse Zeremonien und sogar die Untersuchung von Tatorten genutzt.

Die aus Wachs nachgebildeten Köpfe berühmter Persönlichkeiten, die bei Madame Tussauds in London auf ihre Reparatur oder Entsorgung warten (ca. 1950).
Foto von George Pickow, Three Lions/Getty Images

Tussaud hat die Totenmaske zwar nicht erfunden, aber sie war die Erste, die dieses uralte Handwerk in großem Maßstab in klingende Münze verwandelte. Im Jahr 1802 zog sie nach dem Ende der Revolution mit ihrer Wachsfigurensammlung durch Großbritannien und Irland, bevor sie sich schließlich im Jahr 1835 in der Baker Street in London niederließ. Die Ausstellung umfasste die englische Königsfamilie, bekannte Politiker und Dioramen berüchtigter Verbrecher und ihrer grausigen Tatorte.

In dem Bemühen, ihre Wachsfiguren so authentisch wie möglich zu gestalten, kaufte die geschäftstüchtige Tussaud Originalgegenstände auf, um ihre expliziten Darstellungen auszuschmücken – darunter auch der Kinderwagen, mit dem zerteilten Opfer der Hampstead-Morde im Jahr 1890 transportiert worden waren, und der reich verzierte Krönungsmantel von König George IV.

Eine wartende Menschenmenge vor Madame Tussauds an einem regnerischen Tag in London (c. 1930).
Foto von Topical Press Agency/Getty Images

Das Londonder Satiremagazin „Punch“ verpasste ihrer Ausstellung schnell den Spitznamen „Horrorkabinett“. Die Nachricht über neue Exponate bei Madame Tussauds verbreitete sich in Windeseile in ganz London und das Geschäft lief prächtig – spielte es doch mit der morbiden Neugier seines Publikums.

Doch mit dem Erfolg kam auch der Gegenwind. Einige Zeitgenossen empfanden das Ausschlachten von Tragödien zur öffentlichen Belustigung als geschmacklos und sensationslustig – eine Kritik, die der Sammlung über die Jahrhunderte hinweg anhaften sollte, ihrer Beliebtheit jedoch keinen Abbruch tat.

Ein Künstler entfernt bei Madame Tussauds in London die Gipsform von einem Kopf.
Foto von Topical Press Agency, Getty Images

Auch heutzutage finden sich jedes Jahr Millionen von Besuchern bei Tussauds ein, dessen Unternehmen inzwischen Sammlungen in 24 Städten auf vier Kontinenten umfasst. Die Werkstatt des Museums verwendet heute noch einige der ursprünglichen Techniken, die schon Tussaud selbst anwandte, doch die glänzenden Figuren von Hollywoodstars, berühmten Sportlern und berühmt-berüchtigten Politikern werden inzwischen oft ihren noch lebenden Vorbildern nachempfunden.

Ein Kameramann filmt zwei Frauen bei ihrer Arbeit. Sie erstellen Wachsköpfe für die neue Ausstellung von Madame Tussauds London (1928).
Foto von Console/Topical Press Agency, Getty Images

Der monatelange Prozess beginnt mit einer detailgenauen Aufnahme von Fotos und Maßen, aus denen ein Künstler dann ein Tonmodell erstellt. Nach dessen Fertigstellung wird eine Wachsform gegossen und Farbspezialisten kümmern sich um die Anpassung der Töne von Haut, Zähnen und Augen. Echte, menschliche Haare werden einzeln am Kopf befestigt, ebenso wie Wimpern und Augenbrauen. Jedes Einzelstück kostet rund 170.000 Euro – wie beispielsweise die kürzlich gefertigte Figur des US-Präsidenten Donald Trump, an deren Herstellung 20 Künstler fünf Monate lang arbeiteten.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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