Réduit: Das geheime Militärbunker-Netzwerk der Schweizer Alpen

Der Fotograf Reto Sterchi begab sich auf eine Zeitreise in die Schweizer Verteidigungsanlagen des Zweiten Weltkriegs, von denen einige bis heute originalgetreu erhalten sind.

Von Alexandra Genova
bilder von Reto Sterchi
Veröffentlicht am 26. Feb. 2021, 11:21 MEZ

Die Echos eines geheimnisvollen Schweizer Militärprogramms durchziehen noch immer die Berge der malerischen Alpenlandschaft der Nation. Sie hallen in Tausenden von Bunkertunneln nach, die als taktische Festung gegen Hitlers Vormarsch in den Fels getrieben wurden. Sie gehörten zum System des Schweizer Réduit und waren als Versteck für Regierungs- und Armeekommandeure im Falle einer Invasion gedacht. Die höhlenartigen Kriegsräume wurden bis ins späte 20. Jahrhundert genutzt.

Aber es ist eher das Mysterium als die Geschichte, die den Fotografen Reto Sterchi dazu veranlasste, diesen „Schweizer Bergmythos“ zu dokumentieren, wie er ihn nennt. Als Junge spielte er immer an einem Fluss am Fuße der Alpen, wo die verfallenen Reste eines Bunkers aus dem Wasser ragten.

„Das sah wie ein Felsbrocken aus, aber aus ihm ragte ein Maschinengewehr heraus“, erzählt Sterchi im Interview mit National Geographic. „Ich dachte: Was zum Teufel ist das? Was ist da drin?“ Aber er durfte das Geheimnis nicht weiter erforschen.

Diese verborgene Welt offenbarte sich ihm schließlich Jahre später, als er als 20-Jähriger in der Armee diente. Während der Ausbildung befahl der Feldwebel ihm und seinen Mitsoldaten, eine Treppe am Fuße eines Berges hinunterzugehen. „Wir gingen 300 Stufen hinunter und waren plötzlich im Inneren dieses Berges“, sagt Sterchi. Am Ende sah er drei Wochen lang kein Tageslicht: „Ich weiß noch, dass ich mich mit meinem Freund verlaufen habe. Es dauerte vier oder fünf Tage, um sich ein Bild vom Grundriss zu machen, so groß sind die Anlagen. Man wusste nie, wie spät es war, aber das schien auch keine Rolle zu spielen.“

Eingang, Festung Sasso da Pigna

Foto von Reto Sterchi

Doch erst im Sommer 2010 begann er, die Unterwelt der Schweiz ernsthaft zu erforschen. Es gibt nur sehr wenige Informationen über die Bunker im Internet und keine fotografischen Aufzeichnungen aus ihrer früheren Nutzungszeit. „Mir wurde klar, dass es dazu kein Fotoprojekt gab“, sagte er. „Und ich musste einfach derjenige sein, der das macht.“

Obwohl die Regierung in den späten Neunzigern viele Bunker für die Öffentlichkeit öffnete, erwies sich der Zugang als schwierig. Das Militär war unkooperativ und zog es vor, die Bunker geheim zu halten. Stattdessen wandte er sich an Bürger, die Bunker privat erworben hatten und sie entweder originalgetreu erhielten oder in ihren persönlichen Spielplatz verwandelten. Der erste Bunker dieser Art, auf den er stieß, gehörte einem exzentrischen Mann, der gerne mit seinem Ferrari durch das Tunnelgewirr fuhr und einen Raum als Waffenkammer im James-Bond-Stil nutzte. „Natürlich konnte ich das nicht fotografieren“, sagt er. „Aber das ist ein Beispiel für die Art von Charakteren, die das sind.“

Sterchi merkte, dass er sich eher zu den Anlagen hingezogen fühlte, die unberührt geblieben waren. Sie schienen in der Zeit zu schweben, als ob die Menschen dort erst gestern ihr Lager aufgeschlagen hätten. Von einem Speisesaal mit den für das Abendessen gedeckten Tischen bis hin zu einem Operationssaal, in dem bis auf Arzt und Patient nichts fehlte, zeigen die Räume, wie ausgeprägt die Schweizer Geheimstrategie war.

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    Obwohl sie in Größe und Form sehr unterschiedlich sind, haben die Innenräume eine seltsam einheitliche Farbpalette. Die senfgelben, rosafarbenen und pistaziengrünen Töne verleihen den Bunkern einen kitschigen Reiz. Aber sie wurden nicht designt, um ästhetisch ansprechend zu sein, sagt Sterchi – sondern um nach Wochen und möglicherweise Monaten der Isolation erträglich zu sein.

    Funktionalität über Stil – diese Präferenz wurde zum Dreh- und Angelpunkt seines Projekts. „Alles wurde aus rein praktischen Gründen gebaut. Es war keinerlei Ästhetik im Spiel, aber sie sind trotzdem sehr interessant anzuschauen“, sagt er. „Ich fand diesen Kontrast wirklich faszinierend.“

    Der „Mythos" und das Geheimnis, die diese Berghöhlen umgaben, als Sterchi ein Junge war, sind seither ein wenig entmystifiziert. „Viele Militärs haben die Geheimhaltung des Ganzen hochgespielt, als ob die Russen morgen einmarschieren würden“, sagt er. „Das fühlt sich heutzutage so antiquiert an, diese ganze Weltsicht.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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