Vulkantourismus: Zwischen Nervenkitzel und Naturwunder

Spektakuläre Vulkanausbrüche ziehen schaulustige Besucher an Orte wie Island und Hawaii. Aber diese Abenteuer können tödlich enden, wenn man leichtsinnig wird, und drohen mitunter in Katastrophentourismus auszuarten.

Von Rachel Ng
bilder von Chris Burkard
Veröffentlicht am 6. Apr. 2021, 18:54 MESZ
Ein Tourist machte im März 2021 ein Handyfoto am Vulkan Fagradalsfjall.

Ein Tourist machte im März 2021 ein Handyfoto am Vulkan Fagradalsfjall.

Foto von Chris Burkard, National Geographic

Ende März 2021 wanderten Tausende von Menschen in Island in das Tal Geldingadalur, um zu beobachten, wie feurige Lava aus dem Krater des Fagradalsfjall sprudelte. Nach 800 Jahren war der Vulkan erstmals wieder ausgebrochen. Während weiße Aschewolken über glühendem, geschmolzenem Gestein aufstiegen, die sich durch zerklüftete schwarze Felsen schlängelten, machten einige Besucher Fotos, andere saßen in stiller Ehrfurcht und ein paar rösteten Marshmallows über den Lavaströmen.

Der Fotograf Chris Burkard, der den Ausbruch für National Geographic dokumentierte, war von der bedrohlichen, aber schönen Landschaft ebenfalls fasziniert. „Es war hypnotisierend“, sagt er. „Ich hätte nie gedacht, dass mich geschmolzenes Gestein mal so begeistern würde.“

Tausende von Besuchern wanderten zum Vulkan Fagradalsfjall, um den Ausbruch vom März 2021 zu sehen.

Foto von Chris Burkard, National Geographic

Vulkanausbrüche scheinen seit jeher einen fruchtbaren Boden für den Tourismus zu schaffen. Japanische Touristen übernachten seit dem 8. Jahrhundert in Onsen-Ryokans (Gasthöfen mit heißen Quellen) in Dörfern in der Nähe von Vulkanen. Die Ruinen der antiken römischen Stadt Pompeji, die nach dem Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. von einer Aschedecke eingehüllt wurden, lockten unzählige Besucher auf Grand Tour im 17. und 18. Jahrhundert.

Aber der Dampf, das Knistern und das Grollen aktiver Vulkane hat seinen ganz eigenen Reiz. „Sie sind eine der ursprünglichsten Naturkräfte, die wir beobachten können“, sagt Benjamin Hayes, Leiter der Abteilung für Interpretation und Bildung im Hawaii-Volcanoes-Nationalpark auf Big Island. „Man spürt die Kraft von Mutter Erde in der Nähe dieses Herzbluts des Planeten.“

Eine Reise zu einem aktiven Vulkan birgt jedoch auch Risiken und Fragen der Ethik. Es kann der Nervenkitzel des Lebens sein – oder eine tödliche Attraktion. Wer sich auf ein solches Abenteuer einlassen will, sollte also ein paar Dinge wissen. 

BELIEBT

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    Lavaströme bilden ein kartenähnliches Muster auf schwarzem Basaltgestein am isländischen Vulkan Fagradalsfjall, der im März 2021 zum ersten Mal seit fast 800 Jahren ausbrach.

    Foto von Chris Burkard, National Geographic

    Lavajäger und Vulkantouristen

    Im letzten Jahrzehnt hat der Vulkantourismus geboomt, teilweise befeuert durch soziale Medien und sogenannte Lavajäger. Sie sind stets auf der Suche nach legendären, fotogenen Orten wie dem Vesuv (und den anderen mehr als zwei Dutzend aktiven Vulkanen auf der UNESCO-Welterbeliste). In den Vereinigten Staaten gibt es in mehreren Nationalparks aktive Vulkane, darunter Mount Rainier im Bundesstaat Washington, Lassen Peak in Kalifornien und die Yellowstone-Caldera in Wyoming.

    Am Tag nach dem Ausbruch des Mount Kīlauea auf Hawaii am 20. Dezember 2020 verzeichnete der Hawaii-Volcanoes-Nationalpark einen starken Anstieg der Besucherzahlen. Viele der 8.000 Gäste waren Einheimische, aber es gab auch überdurchschnittlich viele Besucher von außerhalb des Staates, da die COVID-19-Reisebeschränkungen gelockert wurden.

    Faszination Vulkan

    Je nach Ort können Reisende Lava-Bootstouren unternehmen, mit dem Hubschrauber über Calderas fliegen, die Hänge eines Vulkans hinunterfahren oder sogar bis zum Rand eines Lavasees wandern. Doch diese Unternehmungen sind mit Risiken verbunden. Eruptionen produzieren oft giftige Gase (z. B. Schwefeldioxid, wie am Fagradalsfjall), die die Lunge schädigen können. Zwischen 2010 und 2020 sind mindestens 1.143 Menschen bei Vulkanausbrüchen ums Leben gekommen, zuletzt in der Nähe der neuseeländischen Vulkaninsel Whakaari/White Island. Der Vulkan brach am 9. Dezember 2019 plötzlich aus, tötete 22 Touristen und verletzte 25 weitere.

    Dennoch scheinen diese Todesfälle die Neugierde eher angeheizt als dem Tourismus geschadet zu haben. Anstatt ausbrechende Vulkane zu meiden, zieht es Sensationslustige in diese Katastrophengebiete – ein Trend, der sich nach der Pandemie fortsetzen dürfte.

    Vulkanausbrüche: Verhalten im Notfall

    Vulkanausbrüche entstehen durch einen Anstieg des magmatischen Drucks oder eine Verschiebung der tektonischen Platten, die auch Erdbeben auslösen können. Manchmal bewegen Erosion oder schmelzende Gletscher die Erde langsam und lösen schließlich Eruptionen aus, manchmal sind plötzliche Erdrutsche die Ursache. Vulkanische Aktivitäten werden von wissenschaftlichen Observatorien auf der ganzen Welt überwacht, sodass Ausbrüche selten eine Überraschung sind.

    „Wenn man einige der Grundlagen kennt, kann man Eruptionen einigermaßen sicher beobachten“, sagt Rosaly M.C. Lopes, eine Vulkanologin und Planetengeologin am Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien. „Wir haben das Glück, dass die schönsten Eruptionen – auf Hawaii, Island und Stromboli in Italien

    Lopes betont, dass es wichtig ist, die Art der Vulkane zu kennen, die man besucht. Die Explosivität eines bestimmten Ortes hängt von seiner Lava ab: Dünne, fließende Lava tritt langsam aus dem Vulkan aus, während dicke und zähflüssige Lava Gase schlechter entweichen lässt, was zu explosiveren (und möglicherweise tödlichen) Eruptionen führt. Zu wissen, mit welcher Sorte Lava man es zu tun hat, könnte Leben retten.

    Mitglieder des isländischen Such- und Rettungsteams (ICE-SAR) messen Gaswerte in der Nähe des Vulkanausbruchs am Fagradalsfjall. Ihre Aktivitäten tragen zur Sicherheit der Besucher bei, da die meisten nicht mit den richtigen Masken zum Schutz vor den Dämpfen ausgestattet sind.

    Foto von Chris Burkard, National Geographic

    Such- und Rettungsfahrzeuge durchkämmen das Gebiet rund um den isländischen Vulkan Fagradalsfjall nach verirrten oder verletzten Touristen.

    Foto von Chris Burkard, National Geographic

    Als 1987 der Ätna in Italien ausbrach, wurden zwei Touristen getötet. Lopes war keine zwei Kilometer entfernt auf einer Forschungsreise, als es passierte. „Wenn es ein Vulkan wie der Ätna ist und es eine plötzliche Explosion gibt, schaut man nach oben und beobachtet, wo die Gesteinsbrocken landen werden“, sagt sie. „Aber man rennt nicht einfach los, sondern weicht ihnen aus. Erst, nachdem die Fragmente gelandet sind, rennt man.“

    Auf dem entgegengesetzten Ende des Spektrums sieht es anders aus: Während des plötzlichen Ausbruchs der neuseeländischen Vulkaninsel Whakaari/White Island haben laut Lopes wahrscheinlich diejenigen überlebt, die am schnellsten gesprintet sind. „Einige Leute blieben noch, um Fotos zu machen. Ich denke, einige wurden einfach erwischt und konnten nicht schnell genug rennen“, sagt sie. „Aber das ist ein gefährlicher Vulkan, und die Vulkanologen wussten, dass es zu einem plötzlichen Ausbruch kommen könnte.“ 

    Leben im Schatten des Vulkans

    Es gibt mehr als 1.500 aktive Vulkane in 81 Ländern. Für Hunderte von Millionen Menschen, die in ihrer Nähe wohnen, gehören sie genauso zum Alltag wie stockender Verkehr oder schlechtes Wetter.

    Einer der aktivsten Vulkane Japans, der Sakurajima in der Präfektur Kagoshima auf Kyushu, bricht alle 4 bis 24 Stunden aus. „Die Menschen in Kagoshima machen sich nicht einmal die Mühe, nach oben zu schauen, wenn der Sakurajima ausbricht, so oft passiert das“, sagt Alex Bradshaw, der Direktor für Überseekommunikation der Präfektur Kagoshima.

    Die Beziehung zwischen Sakurajima und den Einheimischen beruht auf Gegenseitigkeit. Der fruchtbare Boden in der Nähe des Vulkans fördert den Anbau von Kagoshimas berühmten Daikon-Radieschen und winzigen Komikan-Orangen.

    „Ohne den Sakurajima gäbe es kein Kagoshima. Er ist das Symbol unserer Stadt, und die Menschen hier sehen ihn als Schutzgott an“, sagt Naoto Maesako, der Besitzer des Restaurants Yogan Yaki in Kagoshima City, wo Gemüse, Kurobuta-Schweinefleisch und Wagyu-Rindfleisch auf heißen Platten aus lokaler Lava zubereitet werden. „Wir haben das Gefühl, dass Sakurajima uns sicher durch Taifune und andere Katastrophen bringt. Er ist unsere Geschichte, direkt vor unseren Augen – und wir blicken auf die gleiche schwelende Szenerie wie unsere Vorfahren.“

    Trotz eisigen Winterwetters kamen Tausende von schaulustigen Isländern, um den Ausbruch des Vulkans Ende März 2021 zu beobachten.

    Foto von Chris Burkard, National Geographic


    Lavaströme des Fagradalsfjall auf Island hielten die Besucher im März 2021 auch nach Einbruch der Dunkelheit in ihrem Bann.

    Foto von Chris Burkard, National Geographic

    Auf Hawaii sind Vulkane ein Teil der mythischen Entstehungsgeschichte der Inseln. Alte hawaiianische Gesänge erzählen von Pele, der Göttin der Vulkane und des Feuers, „die das heilige Land formt“. „Das hawaiianische Volk ist seit mehr als 1.000 Jahren hier und gedeiht“, sagt Hayes. „Es ist unmöglich, nicht tief verbunden zu sein mit Generationen von Geschichten, Vorfahren und der familiären Verbindung zum 'aina – dem Land.“   

    Die dunkle Seite der Schaulust

    Mancher Vulkantourismus bewegt sich jedoch hart an der Grenze zum Katastrophentourismus oder Dark Tourism. Im Jahr 2010 starben 353 Menschen, als der indonesische Mount Merapi ausbrach, und mehr als 400.000 Menschen verloren ihre Häuser und Wohnungen. Schon kurz darauf boten Reiseveranstalter Ausflüge zu den unter Asche verschütteten Dörfern an. Es ist ein Echo der menschlichen Figuren und Spuren in Pompeji, die ein erschreckenden Bild der letzten Tage seiner Bewohner zeichnen.

    Lava begräbt Kamera, aber die filmt weiter
    Eine Kamera wird von einem kleinen Lavastrom zerstört, aber hört nicht auf zu filmen.

    Im Jahr 2018 zerstörten die anhaltenden Eruptionen des Kīlauea etwa 600 Häuser sowie Straßen, Farmen und Ranches auf Hawaii. Im Mai dieses Jahres, als die Brände noch in der Nachbarschaft wüteten, stiegen die Ausgaben der Touristen um 3,3 Prozent auf 173,9 Millionen Dollar. Das Hotel- und Gaststättengewerbe musste die Bedürfnisse der Reisenden mit der nötigen Sensibilität gegenüber den betroffenen Einwohnern in Einklang bringen.

    Ross Birch ist der Direktor des Besucherbüros für Hawaii. Er empfiehlt Touristen, die neugierig auf die Vulkane sind, sich an den Nationalpark zu halten. „Es ist ein großartiger Ort, um etwas über Vulkane zu lernen“, sagt Birch. „Alles, was außerhalb davon liegt, könnte in Privatbesitz übergehen, sodass man möglicherweise auf jemandes Grundstück landet.“ 

    Als sie abkühlte, erstarrte die Lava in der Nähe des Vulkans Fagradalsfjall in welligen Schichten und Wölbungen.

    Foto von Chris Burkard, National Geographic

    Während der Mount Kīlauea weiterhin ausbricht, wacht der Mauna Loa auf der Insel Hawaii – der größte aktive Vulkan der Welt – langsam auf. Die Seismometer des Hawaiian Volcano Observatory (HVO) haben im März 2021 innerhalb einer Woche 223 Erdbeben kleinerer Stärke aufgezeichnet. „Die GPS-Sensoren sagen uns, dass sich der Boden aufgrund des Eindringens von Magma in das Reservoir unter der Oberfläche verändert“, sagt HVO-Geologe Frank Trusdell. „Eine Eruption steht nicht unmittelbar bevor, aber die Anwohner sollten mit der Planung beginnen.“

    Trusdell erinnert sich, dass innerhalb von 24 Stunden nach dem letzten Ausbruch des Mauna Loa im Jahr 1984 die Flugtickets nach Hawaii ausverkauft waren. „Jeder wollte kommen, um die Eruption zu sehen“, sagt er.
    Wissenschaftler wie Trusdell verstehen, warum Menschen von Vulkanen wie magisch angezogen werden. Und sie glauben, dass diese Faszination dazu beiträgt, das Bewusstsein und Interesse an der Vulkanologie zu steigern. „Jedes Mal, wenn man irgendwo hingeht und einen geologischen Prozess sieht – selbst wenn es sich um relativ zahme Vulkane wie die Yellowstone-Geysire handelt –, weckt das die Neugier“, sagt Lopes. „Es vermittelt einem einen viel größeren Respekt für unseren Planeten.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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