Hiroshima-Tourismus ist beliebter denn je

Vor knapp 80 Jahren vernichtete eine Atombombe eine ganze Stadt – heute kommen Millionen von Besuchern dorthin.

Von Ari Beser
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:42 MEZ
zahllose Laternen auf dem Wasser
Zum Jahrestag der Bombardierung von Hiroshima schwimmen zahllose Laternen auf dem Wasser. Jede von ihnen repräsentiert einen verstorbenen Menschen.
Foto von The Asahi Shimbun/Getty Images

Im August 1945 warfen die Vereinigten Staaten zwei Atombomben über den Städten Hiroshima und Nagasaki ab. Kurz darauf kapitulierte Japan und der Zweite Weltkrieg endete innerhalb eines Monats. Nie zuvor war eine solch verheerende Waffe eingesetzt worden.

Zehn Jahre später eröffneten der Friedenspark und das Friedensmuseum in Hiroshimas ehemals geschäftigstem Finanz- und Wohnbezirk. Seitdem kommen stetig mehr Touristen. „Dunkler Tourismus“ – die Reise an Orte, die von Katastrophen, Gewalt oder Krieg geprägt sind – lockt jedes Jahr neugierige Massen nach Hiroshima. Im Jahr 2023 hat das Hiroshima Peace Memorial Museum so viele Besucher gezählt, wie in noch keinem anderen Jahr zuvor. Knapp zwei Millionen Menschen besuchten den Gedenkort.

Erinnerung an die Vergangenheit

Hiroshima bewahrt die Erinnerung an den ersten nuklearen Angriff der Welt durch Denkmäler, Augenzeugenberichte und alljährliche Gedenkzeremonien.

Jedes Jahr versammeln sich Tausende Menschen am 6. August um 8:15 Uhr – dem Moment, in dem die Bombe detonierte –, um dem Läuten der Friedensglocke zu lauschen. Am Abend desselben Tages entzünden die Menschen Kerzen während einer Zeremonie namens Tōrō Nagashi, was sich grob mit „Treibenlassen der Laternen“ übersetzen lässt. Dann erhellen bunte, leuchtende Papierlaternen dasselbe Wasser, durch welches die Verletzten und Sterbenden wateten, um sich Linderung zu verschaffen. Jede Laterne symbolisiert eine Seele, die an diesem Tag verloren wurde – mehr als 80.000 werden jedes Jahr entzündet.“

In der ganzen Stadt gibt es große und kleine Denkmäler für jene Menschen, die bei der Explosion und danach ihr Leben verloren. Es gibt Statuen für die 20.000 koreanischen Nationalisten, die getötet wurden, und ein Kinderfriedensdenkmal zu Ehren von Sadako Sasaki. Die junge Überlebende starb später an Leukämie. Es gibt sogar eine relativ unbekannte Gedenktafel für die amerikanischen Kriegsgefangenen, die bei dem Angriff starben. All diese Symbole in Hiroshima vermitteln eine ähnliche Botschaft, die sich auch auf dem Denkmal im Friedenspark finden lässt: Ruhet in Frieden, denn der Fehler soll nicht wiederholt werden.

Überlebende berichten

Der Jahrestag ist die geschäftigste Zeit des Jahres. Dann kommen täglich Tausende Besucher, um etwas über die Auswirkungen der Atombombe zu lernen und mit Menschen wie Kosei Mito und den anderen Freiwilligen des Parks zu sprechen. Sie stehen an der Atombombenkuppel, dem einzigen Gebäude im Zentrum der Explosion, welches im Anschluss noch stand. Einst war es die Produktausstellungshalle der Präfektur, aber mittlerweile ist das Gebäude, welches zum UNESCO-Welterbe zählt, zu einer der wichtigsten symbolischen Warnungen vor einem nuklearen Krieg geworden.

Atombombenkuppel
Die Atombombenkuppel war das einzige Gebäude in dem Explosionsgebiet der Atombombe, das nicht dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Foto von Jean-Baptiste Rabouan, Laif, Redux

Mito war noch im Bauch seiner Mutter, als die Bombe explodierte. Das qualifiziert ihn allerdings als Hibakusha – ein japanischer Begriff, mit dem die Überlebenden der Bombe bezeichnet werden. Laut seinen Aufzeichnungen führt er im Jahr etwa 28.000 Touristen. Seit 2017 hat er eine Zunahme amerikanischer Touristen bemerkt, was auf ein wachsendes internationales Interesse hindeutet.

Keiko Ogura ist eine weitere Hibakusha und Leiterin von Hiroshima’s Interpreters for Peace (HIP). Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese internationalen Besucher zu informieren. Ogura war acht Jahre alt, als die Bombe detonierte, aber trägt noch immer die „unsichtbaren Narben“, wie sie es nennt. Hiroshima war den ganzen Krieg über von einer Bombardierung verschont geblieben, aber eine Reihe von Fliegervoralarmen in der Nacht zuvor hatte ihren Vater unruhig gemacht. Sie überlebte, weil er sie am nächsten Tag nicht zur Schule schickte, sondern zu Hause behielt. Ogura unterrichtet andere Überlebende darin, ihre Geschichten auf Englisch zu erzählen. Außerdem nimmt sie jedes Jahr im Museum an den offenen Veranstaltungen teil, bei denen Überlebende ihre Augenzeugenberichte mit Zuhörern teilen können.

BELIEBT

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    Denkmal im Friedenspark
    Die japanische Inschrift auf dem Denkmal im Friedenspark von Hiroshima lässt sich mit „Ruhet in Frieden, denn der Fehler soll nicht wiederholt werden“ übersetzen.
    Foto von Sean Pavone, Getty Images

    Die ganze Welt hört zu

    Dank anderer Organisationen finden diese Geschichten ihren Weg über die ganze Welt. Clifton Truman Daniel, der Enkel des Präsidenten Harry S. Truman, der den Atombombenschlag anordnete, arbeitet ebenfalls mit Hibakusha Stories zusammen. Die gemeinnützige Organisation bringt Überlebende mit den Nachfahren der nuklearen Katastrophe in Schulen in New York City zusammen. Daniel war das erste Mitglied der Truman-Familie, das Japan besuchte. Er wurde von Sadako Sasakis Familie eingeladen.

    Sadako und ihr Bruder Masahiro waren etwa zwei Kilometer von der Explosion entfernt. Masahiro war gerade vier Jahr alt, aber er erinnert sich daran, aus den Trümmern seines Hauses entkommen und mit dem Boot durch einen Fluss voller Leichen gefahren zu sein. Zehn Jahre später erkrankte Sadako – wie viele Kinder, die der Strahlung ausgesetzt waren – an Leukämie.

    „Sie wollte keine Schmerzmittel, weil sie zu teuer waren und unsere Familien mit wachsenden Schulden zu kämpfen hatte”, sagt Masahiro. „Sie hat sich nie beklagt. Stattdessen konzentrierte sie sich auf diese kleinen Papierkraniche. Sie hat mehr als tausend Stück gefaltet.“ Einer japanischen Legende zufolge kann man sich auf diese Weise einen Wunsch erfüllen. Heute steht eine Statue von Sadako im Friedenspark von Hiroshima, wo Leute oft Papierkraniche als Symbole des Friedens niederlegen.

    Masahiro und sein Sohn Yuji möchten der Welt mit der Geschichte von Sadako eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung vermitteln. Sie unterstützen den Austausch zwischen Menschen der gegnerischen Seiten des Krieges und haben Sadakos selbstgefaltete Kraniche auf der ganzen Welt gespendet. Sie finden sich nun am Arizona Memorial in Pearl Harbor, in der Truman Library in Independence, Missouri, in der Friedensbibliothek in Österreich und in São Paulo in Brasilien.

    Ari Beser ist ein Filmemacher und Autor des Buches “The Nuclear Family”. Er ist der Enkel von Lt. Jacob Beser, dem einzigen US-Soldaten, der auf beiden Langstreckenbombern diente, als diese im Zweiten Weltkrieg die Atombomben auf Japan abwarfen.

    Dieser Artikel wurde am 5. August 2024 mit neuen Zahlen aktualisiert. 

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