Operation Gomorrha: Feuersturm auf Hamburg

Mit Operation Gomorrha griffen die Alliierten im Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal die zivile Bevölkerung an. Dabei kam eine damals neue Technologie zum Einsatz, die das Radarsystem der Nationalsozialisten nutzlos machte.

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 27. Juli 2021, 15:44 MESZ
Im Juli 1943 flogen die alliierten Streitkräfte mehrere Angriffe auf Hamburg. Die Operation mit dem Namen ...

Im Juli 1943 flogen die alliierten Streitkräfte mehrere Angriffe auf Hamburg. Die Operation mit dem Namen Gomorrha, benannt nach der biblischen Stadt, die Gott mit Feuer und Schwefel zerstört haben soll, hatte das Ziel, den deutschen Kriegswillen zu brechen und den Krieg zu beenden.

Foto von Bridgeman Images

Mit jeder explodierenden Bombe wurde die Hitze extremer – bis Paul Peters schließlich aus dem Keller seines Wohnhauses floh und auf die Straße stolperte. Ihm und denen, die es ihm gleichtaten, schlug ein orkanartiger, heißer Wind entgegen, Funkenregen fiel, brennender Schutt lag überall.

Im Jahr 1943 griffen die Alliierten die Hafenstadt, die so wichtig für die deutsche Kriegsmaschinerie war, im Rahmen der Operation Gomorrha aus der Luft an und verwandelten sie in ein Inferno. 

„Der Feuersturm war so stark, dass die Hüte von den Köpfen der Menschen gefegt wurden, und wie Feuerbälle durch die Luft flogen“, erinnert sich Paul Peters in einem Augenzeugenbericht. „Er riss sogar kleine Kinder einfach mit und wirbelte sie durch die Luft.“ Peters überlebte den nächtlichen Luftangriff, seine Frau aber starb.

Gomorrha ist der Name der biblischen Stadt, die Gott mit Feuer und Schwefel zerstört haben soll. Die gleichnamige militärische Operation sah eine Bombardierung der zweitgrößten deutschen Stadt über acht Tage und sieben Nächte vor, mit dem Ziel, sie vollständig dem Erdboden gleich zu machen. Operation Gomorrha markierte den Beginn einer neuen Phase des Zweiten Weltkriegs: Nun griffen auch die Alliierten zivile Ziele an, um auf diese Weise den Kriegswillen der Bevölkerung zu brechen und dem Krieg, so dachte man, ein schnelles Ende zu setzen. Zum ersten Mal kam außerdem eine neue Technologie zum Einsatz, mit der die Radartechnik der Deutschen außer Gefecht gesetzt wurde.

Brandbomben hinterlassen während der einwöchigen Bombardierung durch die Alliierten Spuren am Himmel über Hamburg. Bisherige zielgerichtete Luftangriffe hatten sich als ineffizient herausgestellt, sodass die Strategie geändert und nun nicht mehr nur militärische und industrielle Ziele, sondern auch die zivile Umgebung angegriffen wurde. 

Foto von Bridgeman Images

Zielgenaue Luftangriffe? Reines Wunschdenken

Der Gedanke, zivile Ziele anzugreifen, galt unter den Alliierten zu Kriegsbeginn als geschmacklos. Trotz herber Anfangsverluste und den Blitzangriffen der Deutschen auf London in den Jahren 1940 und 1941, scheuten man zunächst davor zurück, dies mit gleicher Münze zurückzuzahlen. „Geehrter Herr, dies ist ein militärischer Krieg, kein ziviler“, tadelte der britische Premierministers Winston Churchill einen Parlamentsabgeordneten, der einen umgehenden Vergeltungsschlag für den Blitzkrieg forderte. Doch wenig später, schon im Jahr 1943, hatte sich die vorherrschende Meinung in dieser Hinsicht stark geändert.

Die britische Luftwaffe, Royal Air Force (RAF), hatte bis dahin tagsüber zielgerichtete Angriffe auf militärische Einrichtungen und Industrieanlagen durchgeführt und sich in der Nacht auf das Abwerfen von Flugblättern über deutschen Städten beschränkt. Doch Angriffe bei Tag waren gefährlich und führten zu großen Verlusten. Außerdem fehlte den Bombern der RAF die Zielgenauigkeit, so dass mit der bisherigen Strategie keine großen Erfolge verbucht werden konnten.

Man verlegte die Bombardements daraufhin in die Nacht. Doch für derartige Flüge waren die britischen Bomber eigentlich nicht gebaut. Laut einem internen Bericht gelang es nur einem von fünf Bombern, seine Munition in einem Umkreis von acht Kilometer Entfernung zum Ziel abzuwerfen. Zusätzlich machten Verdunkelungsaktionen und die deutschen Flugabwehrwaffen gezielte Angriffe weiterhin nahezu unmöglich.

Flächenbombardements

Es war an der Zeit, die Taktik zu ändern. Die Antwort: Eine kontroverse Strategie namens Flächenbombardement. Das Konzept war denkbar einfach: Statt punktgenau bestimmte Ziele anzugreifen, lagen nun die Siedlungsgebiete in der Umgebung der Ziele im Fokus der alliierten Bomber.

Neben regulären Sprengstoffen warfen die Briten und US-Amerikaner auch Brandbomben über ihren Zielen ab. Diese enthielten stark entzündliche Stoffe wie Napalm und sollten am Boden gigantische Brände entfachen.

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In Vorbereitung auf die Hamburger Luftangriffe hatten die Alliierten die Bauweise deutscher Häuser recherchiert, um sicherzugehen, dass die Bomben den größtmöglichen Schaden anrichten. Der größte Teil Hamburgs lag nach Operation Gomorrha in Schutt und Asche.

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Trotz ihrer früheren Zurückhaltung segneten sowohl Winston Churchill als auch der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt einen Plan ab, der den Angriff und die Zerstörung deutscher Städte zum Ziel hatte. Sie begründetet diesen Schritt damit, dass möglicherweise schon ein oder zwei dieser Operationen ausreichen würden, um den Krieg zu einem Ende zu bringen. Außerdem brachte die neue Strategie noch zwei weitere Vorteile:  Zum einen würde durch das Flächenbombardement der Kritik an der mangelnden Zielgenauigkeit der Alliierten ein Riegel vorgeschoben. Zum anderen kam man der Sowjetunion zur Hilfe, die durch den Russlandfeldzug der Deutschen in Bedrängnis geraten war.

Die Lehren, die die Alliierten aus den Blitzangriffen der Nationalsozialisten auf London gezogen hatten, spielten bei der Planung der Luftangriffe auf deutsche Städte eine nicht unerhebliche Rolle. Briten, deren Häuser durch Bomben zerstört worden waren, hatten danach beispielsweise häufig ihre Arbeit niedergelegt. Analysten gingen deswegen davon aus, dass die Zerstörung der deutschen Städte denselben Effekt haben und damit die Kriegsbemühungen der Deutschen lahmlegen würde. Außerdem sollten, wie im Blitzkrieg, neben regulären Bomben auch Brandbomben zum Einsatz kommen, die in London enormen Schaden angerichtet hatten.

In ausführlichen Tests wurde ermittelt, wie die Brandbomben am effektivsten einzusetzen seien. Um sicherzugehen, dass das Feuer möglichst lange brannte, beschloss man, den Angriff in einer trockenen Wetterphase zu starten.

Die Entscheidung, an welchem Ort die neue Taktik zum ersten Mal in Aktion treten sollte, fiel auf Hamburg. Die Stadt war nicht nur ein großes europäisches, sondern auch internationales Handelszentrum und einer der Hauptstützpunkte des deutschen Militärs. Die U-Boote und Kriegsschiffe, die Deutschland zu einem gefährlichen Feind zu Wasser machten, wurden hier gebaut, und die 1,5 Millionen Einwohner leisteten einen wichtigen Beitrag zu den Kriegsbemühungen.

Die Bombenangriffe der Alliierten töteten zehntausende Bewohner Hamburgs und zerstörten mehr als die Hälfte aller Wohnhäuser. Letztlich erreichten sie aber nicht ihr Ziel den Zweiten Weltkrieg zu beenden – erst zwei Jahre später waren die Nationalsozialisten besiegt.

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Eine Falle für das Radar

Hamburg war als Angriffsziel äußerst geeignet, aber nicht ohne Tücken. Schon seit Kriegsbeginn befand die Stadt sich in höchster Alarmbereitschaft und hatte die massiven Hochbunker mit Flugabwehrraketen und der modernsten Radartechnik ausgerüstet.

Doch die Alliierten hatten ein Ass im Ärmel: Eine Geheimwaffe mit dem Decknamen „Window“. Die neue Technologie war 1942 ungefähr zeitgleich von den britischen und deutschen Kriegsgegnern entwickelt worden. In Deutschland lautete ihr militärischer Name Düppel, benannt nach dem Ort Berlin-Düppel, in dessen Nähe sie erstmals in Deutschland getestet wurde. Auf britischer Seite war die Physikerin Joan Curran verantwortlich für die Entwicklung der Düppel, im Englischen chaff genannt, zu Deutsch Spreu oder Häksel.

Das Prinzip Düppel wird zur Täuschung von Radarsystemen eingesetzt: Heute hauptsächlich aus Kohlestoffasern hergestellt, war das bevorzugte Material zur damaligen Zeit Staniol, dass in dünnen Streifen gleichzeitig mit einer Bombe abgeworfen wurde. Die Wellen des Radars trafen somit auf einen Regen aus flitterndem Konfetti, und wurden als falsches Echo auf den Radarschirm zurückgeworfen. Auf dem Monitor erschien die Düppel-Wolke als großes, feindliches Objekt, die Flugabwehr begann mit dem Beschuss – doch statt eines Bombers trafen die Raketen nur leere Luft. „Window“ erschuf also eine Nebelwand, die die Radarsysteme der Deutschen vollkommen nutzlos werden ließ.

Angriff auf Hamburg

Am 24. Juli 1943 fielen um etwa ein Uhr nachts die ersten Bomben der Operation Gomorrha. In den folgenden Tagen griffen hunderte britische und amerikanische Flugzeuge Hamburg aus der Luft an – die Briten vorwiegend nachts, die Amerikaner am Tag.

Als das Bombardement der Briten begann, brach am Boden Chaos aus. Verwirrt durch die Düppel schickte die deutsche Luftwaffe Flugzeuge auf sinnlose Missionen. Suchscheinwerfer zogen ziellos über den Nachthimmel, Schützen am Boden feuerten Schüsse ins Nichts ab. Und das war nur die erste Nacht.

In den nächsten Tagen und Nächten folgte Angriff auf Angriff. Die Bewohner Hamburgs bemühten sich, die Brände zu löschen, die ganze Straßenzüge zerstörten – meist jedoch ohne Erfolg. Hamburg verzeichnete 1943 einen ungewöhnlich regenarmen Sommer, der Holz wie Zunder brennen ließ.

Vernichtendes Inferno – der Feuersturm

Der verheerendste Feuersturm erfasste Hamburg in der Nacht des 27. Juli. Starker Wind bließ mit einer Geschwindigkeit von mehr als 270 Stundenkilometer durch die Straßen und ließ die Temperaturen auf mindestens 1.400 Grad Celsius ansteigen – heiß genug, damit Glas zu schmelzen beginnt.

Eine Woche nach dem Abwurf der ersten Bombe waren die letzten Flammen endlich gelöscht. Hamburg bot ein Bild nie dagewesener Zerstörung. Bomben mit einem Gesamtgewicht von 9.000 Tonnen waren über der Stadt abgeworfen worden, mindestens 37.000 Menschen hatten ihr Leben verloren, mehr als 60 Prozent der Wohnhäuser waren verloren. Es war die vernichtendste Schlacht, die bisher in diesem Krieg geschlagen worden war. In den Folgetagen flohen fast eine Million Menschen aus Hamburg, KZ-Häftlinge waren bis ans Kriegsende damit beschäftigt, Gräber zu schaufeln und Leichen zu bergen – tausende starben bei dieser Arbeit.

Deutschland war wie betäubt. Auch wenn die Führungsriege der Nationalsozialisten den Alliierten Kriegsverbrechen vorwarf und die Bombardierung Hamburgs schnell für Propagandazwecke zu nutzen wusste, war das Land im Kern erschüttert. Die Alliierten werteten die Operation als großen, langersehnten Erfolg.

Ist Operation Gomorrha zu rechtfertigen?

Die Bereitschaft der Alliierten eine ganze Stadt dem Erdboden gleichzumachen – und damit Zehntausende ihrer zivilen Bevölkerung – machte nicht nur die Niederlage der Nationalsozialisten möglich, sondern auch den Feuersturm auf Dresden und die atomare Zerstörung Hiroshimas und Nagasakis im Jahr 1945. Auch Hamburg geriet wieder ins Visier der Alliierten nachdem die ansässige Industrie innerhalb weniger Monaten wiederhergestellt war und ihren Betrieb aufnehmen konnte.

Das infernale Debut des Flächenbombardements sorgt unter Historikern auch heute noch für viele Diskussionen. Sie fragen sich, ob die Operation sich dadurch rechtfertigen lässt, dass Deutschland der Welt den totalen Krieg erklärt hat, und ob sie ihre Zielsetzung erfüllen konnte. Die erhoffte Zersetzung des deutschen Willens trat jedenfalls nicht ein, stattdessen legte die Bevölkerung eine unerwartete Resilienz an den Tag und es wurde klar, dass die Nationalsozialisten tatsächlich ohne Rücksicht auf Verluste bis zum bitteren Ende den Krieg weitertreiben würden.

In einem Verhör nach dem Krieg erzählte Albert Speer, der von 1942 bis Kriegsende den Posten als Reichsminister für Bewaffnung und Munition innehatte, dass der Brandbombenangriff die Berater Adolf Hitlers „außergewöhnlich beeindruckt“ hätte und er selbst Hitler darauf hingewiesen hätte, dass weitere Attacken dieser Art durch die Alliierten „den Krieg zu einem schnellen Ende bringen“ würden.

Doch so kam es nicht. Stattdessen verdoppelten die Nationalsozialisten nach Operation Gomorrha die Zahl der Angriffe auf militärische Ziele, obwohl die Bevölkerung darunter litt.

Die Operation Gomorrha war ein desaströses Kriegsmanöver – ausgelöst durch das nationalsozialistische Regime, das unfassbar Furchtbares und unermesslich großes Leid in die Welt brachte.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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