Hirsch 7: Bisher ältestes Datumszeichen des rituellen Maya-Kalenders entdeckt
Wann die Maya ihren Kalender entwickelten und begannen, ihn anzuwenden, ist bis heute nicht geklärt. Wandfragmente, die in einem Tempel an der archäologischen Stätte San Bartolo in Guatemala gefunden wurden, liefern jetzt neue Hinweise.
Bei der Glyphe „Hirsch 7“, die in der Las Pinturas-Pyramide im Norden Guatemalas entdeckt wurde, handelt es sich um einen von vier Jahresträgern des Maya-Kalenders.
Er ist ebenso mystisch wie die Hochkultur, die ihn hervorgebracht hat: Der Maya-Kalender. Ihn nutzte das mesoamerikanische Volk, dessen Blütezeit in die Jahre 250 bis 900 n. Chr. fiel, für unterschiedliche Zwecke. Bei dem Kalender handelt es sich um eine Kombination aus drei sich ergänzenden Systemen: dem zivilen, 356 Tage umfassenden Haab-Kalender, der sogenannten langen Zählung – zum Erfassen langer Zeiträume für astronomische und historische Aufzeichnungen – und dem rituellen Tzolkin-Kalender.
Bei aller Forschung zu dem altertümlichen Kalendersystem ist bis heute nicht geklärt, wann genau es entwickelt wurde und zu welchem Zeitpunkt die Maya begannen, es zu nutzen. Die Entdeckung von Fragmenten einer alten Wandmalerei in der archäologischen Stätte San Bartolo in Guatemala könnte die Lösung dieses Rätsels nun ein Stückchen näherbringen.
Wandmalerei aus der präklassischen Periode
Die Anlage ist einer der frühesten Maya-Komplexe Mittelamerikas und stammt aus der präklassischen Periode zwischen 400 v. Chr. und 250 n. Chr. Sie umfasst die Ruinen mehrerer Platzanlagen und Tempelpyramiden. In einer von ihnen – der Las Pinturas-Pyramide – entdeckte ein Forschungsteam unter der Leitung der Archäologen David Stuart und Heather Hurst 250 bemalte Wandfragmente – darunter elf, auf denen Maya-Glyphen abgebildet sind.
Die Radiokarbonmessung der Farbpigmente der Fragmente ergab, dass diese aus der Zeit um 300 bis 200 v. Chr. stammen. Damit gehören sie zu den ältesten Maya-Schriftzeichen, die jemals gefunden wurden. Die Ergebnisse der Untersuchungen veröffentlichte das Team in einer Studie, die in der Zeitschrift Science Advances erschienen ist.
„Uns lagen sowohl Daten aus der Zeit vor dem Entstehen der Fragmente als auch solche direkt aus der Zeit ihrer Entstehung vor, sodass wir eine Sequenzierung durchführen konnten. Anhand der Kohlenstoffproben und basierend auf Aufzeichnungen haben wir herausgefunden, dass die Fragmente etwa aus der Zeit um 250 v. Chr. stammen“, erklärt Heather Hurst vom Skidmore College in Saratoga Springs, New York.
Das Wandfragment mit der Nummer 4778 wurde in der drittuntersten Schicht eines Maya-Tempels der archäologischen Stätte San Bartolo gefunden.
Eine der Glyphen wurde von den Forschenden besonders gründlich untersucht: Sie ist größer als die anderen und zeigt die Zahl Sieben in der Punkt- und Strichkodierung der Maya. Darunter ist die Zeichnung eines Hirsches zu erkennen. Diese Kombination aus Zahl und Symbol lässt darauf schließen, dass es sich bei der Glyphe um ein Datumszeichen des Maya-Kalenders handelt: 7 Hirsch.
Der Fund dieses Datumszeichens ist deswegen so spektakulär, weil es sich hierbei um das älteste Fragment eines bisher bekannten Stücks eines Maya-Kalenders handelt. „Die Datierung der San-Bartolo-Fragmente deutet darauf hin, dass der 260-Tage-Kalender im Maya-Tiefland schon zu Beginn der späten Präklassik vorhanden war“, heißt es in der Studie. Bisherige Funde waren fast 150 Jahre jünger.
Die Entdeckung belegt, dass der Tzolkin-Kalender mindestens vor 4.300 bis 4.200 Jahren bei den Maya zur Anwendung kam, wobei die Wissenschaftler vermuten, dass er zu diesem Zeitpunkt längst etabliert war. „Die Kalligrafie der Glyphe ist wunderschön gemacht“, sagt Hurst. „Das deutet darauf hin, dass der Kalender schon lange benutzt wurde, als sie entstand.“ Sie gehe deswegen davon aus, dass sich an anderen Stellen noch ältere Beweise für die Verwendung des Kalenders finden lassen werden.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung der Maya-Schrift wurden einige Symbole – darunter auch der Hirsch – durch das phonetischen Chi-Hand-Zeichen ersetzt – ein weiterer Beleg dafür, dass die Hirsch-Glyphe aus San Bartolo aus einer frühen Periode der Kultur stammen muss. „Was zwischen 400 und 300 v. Chr. in dieser Region geschah, war erstaunlich“, sagt Hurst. „Die Schrift entwickelte sich explosionsartig, Mathematik, Kunst und neue Formen der Landwirtschaft entstanden, und zum ersten Mal gab es Könige und Königinnen.“ Es ergebe Sinn, dass im Zentrum all dessen der Maya-Kalender stand.
Spekulationen um den Tzolkin-Kalender
Im Tzolkin-Kalender wurde jeder Tag durch eine spezifische Kombination aus einer Zahl von eins bis dreizehn und einem von zwanzig verschiedenen Symbolen eindeutig gekennzeichnet. Die Gesamtzahl der möglichen Kombinationen ergab seinen Umfang von 260 Tagen. Darüber, warum der rituelle Maya-Kalender ausgerechnet 260 Tage umfasste, kann nur spekuliert werden – eine Verbindung zu Sonnen- oder Mondrhythmen besteht offenbar nicht.
Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Wahl des Zeitraums mit der Dauer einer menschlichen Schwangerschaft zusammenhängt, die im Durchschnitt 266 Tage beträgt. „Die Maya hatten großes Interesse an Zeitrechnung und Zyklen“, so Hurst. „Moderne Maya nutzen den alten Kalender noch heute, um zum Beispiel den besten Zeitpunkt für die Geburt eines Kindes oder die Ernte zu bestimmen.“ Dass der Maya-Kalender noch heute in Benutzung ist, zeige, welch große kulturelle Bedeutung er weiterhin hat.