Spektakuläre Rekonstruktion einer 4.000 Jahre alten Frau aus der Bronzezeit
Mithilfe eines Schädels und DNA-Fragmenten haben Forschende das Gesicht einer Frau, die um etwa 1800 v. Chr. begraben wurde, wiederbelebt. Der Schmuck, mit dem sie bestattet wurde, zeigt: Die Frau gehörte zu Lebzeiten wohl zur böhmischen Elite.
Die endgültige Rekonstruktion der Frau erstellten die Forschenden zusammen mit einem Bildhauer. Das Ergebnis zeigt, wie die Frau aus der bronzezeitlichen Totenstadt damals ausgesehen haben muss.
Relativ klein, mit dunkelbraunen Haaren und Augen sowie heller Haut: Die Rekonstruktion einer 4.000 Jahre alten Frau aus der Bronzezeit sieht fast lebendig aus. Die beeindruckende Nachbildung des Gesichts und des Torsos der Frau gelang Forschenden des Archäologischen Instituts Prag und des Mährischen Landesmuseums in Tschechien in Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Ondřej Bílek unter der Leitung der Anthropologin Eva Vaníčková. Mithilfe des außerordentlich gut erhaltenen Schädels und DNA-Fragmenten erweckte das Team die Frau der Bronzezeit wieder zum Leben.
Doch die Forschenden rekonstruierten nicht nur ihr Gesicht. Neben den menschlichen Überresten fanden die Archäologen, die die Ausgrabung betreuten, im Grab auch allerlei Schmuck. Fünf bronzene Armringe, drei Bronzenadeln, zwei goldene Noppenringe, die vermutlich als Haarschmuck dienten und eine Halskette aus mehr als 400 Bernsteinperlen zierten die Frau wohl bei ihrer Beerdigung. Dazu kamen etliche kostbare Grabbeigaben.
„Es handelt sich um eine der reichsten Bestattungen dieser Zeit in Europa“, so Michal Ernée, Archäologe am Archäologischen Institut in Prag. Laut ihm soll die Rekonstruktion der Frau und ihres Schmucks vor allem dazu beitragen, den Menschen die Kulturgeschichte und die eigene Vergangenheit näherzubringen.
Neben dem Gesicht und dem Torso der Frau erstellten die Forschenden auch Repliken des Schmucks, den die Frau bei der Bestattung trug. Darunter eine Bernstein-Halskette und mehrere Bronzereifen.
Eine Frau aus reichem Hause
Die Überreste der Frau wurden bereits bei Grabungen im Jahr 2009 nördlich der Gemeinde Mikulovice, auch Niklasdorf, in Tschechien innerhalb einer Totenstadt entdeckt. Die sogenannte Nekropole, eine baulich gestaltete, größere Begräbnisstätte, umfasste mehrere Gruppen von Gräbern aus der Frühbronzezeit, die auf zwischen 2200 und 1600 v. Chr. datiert werden. Die Nekropole wurde damals von einem interdisziplinären, internationalen Team analysiert, dem auch Ernée angehörte.
Bei dieser Grabung fand man in einem der Gräber auch den auffallend gut erhaltenen Schädel der nun rekonstruierten Frau – in einem auch sonst gut bestückten Grab. „Der besterhaltenste Schädel stammte ausgerechnet aus einem der reichsten Gräber“, sagt Ernée. „Als Grabbeigaben haben wir beispielsweise Meeresmuscheln, zwei Gefäße und Tierknochen, Schneckenhäuschen und eine Bronzeperle identifiziert.“ Durch die Grabbeigaben und den Schmuck konnte man letztendlich ein relativ genaues Bild von der Person zeichnen, die die Frau einst gewesen sein muss.
Heute weiß man: Die Frau starb zwischen 1880 und 1750 v. Chr. im Alter von etwa 35 Jahren. Sie war zwischen 160 und 163 Zentimetern groß und hatte dunkelbraune Haare und Augen. Laut Ernée stammte sie außerdem aus der Region, in der sie begraben wurde oder höchstens aus einer Umgebung von einigen Dutzend Kilometern. Und sie muss Teil der örtlichen Elite gewesen sein: „Es ist sicher kein Zufall, dass auch das zweitreichste Frauengrab der Nekropole aus derselben biologischen Familie stammt“, so Ernée.
Die Aunjetitzer Kultur in Böhmen
Doch nicht nur die Familie der Frau muss zu Lebzeiten wohlhabend gewesen sein. Laut Ernée gehörte die Nekropole als solche bereits zu einer der reichsten Totenstädte der Aunjetitzer Kultur, einer der bedeutendsten mitteleuropäischen Kulturen der Frühbronzezeit, zu der auch die Frau gehörte. Verbreitet war die Kultur vor allem über Mitteldeutschland, die Südwest-Slowakei, Schlesien und Niederösterreich – und eben in Böhmen.
Die Gemeinde, zu der die Nekropole gehörte, war vermutlich vor allem aufgrund ihrer Lage wohlhabend. „Die ganze frühbronzezeitliche Agglomeration in Mikulovice interpretieren wir als Knotenpunkt auf einem wichtigen Fernhandelsweg“, so Ernée. Das könne man auch an den Importprodukten sehen, die in den Gräbern der Totenstadt gefunden wurden. „Nicht nur Bernstein vom Baltikum, auch Steingeräte, Keramik, Bronzeartefakte und Meeresmuscheln wurden mit den Menschen begraben“, so Ernée. Vor allem die höher gestellten Familien, wie die der rekonstruierten Frau, haben am Fernhandelsverkehr vermutlich aktiv teilgenommen und davon profitiert. Generell ist die Gemeinde laut Ernée dennoch hauptsächlich landwirtschaftlich aufgestellt gewesen. Das könne man an Untersuchungen der Essgewohnheiten der Menschen erkennen.
Rekonstruktionen wie die der Frau findet Ernée vor allem wichtig, um den geschichtlichen Daten und Fakten wortwörtlich ein Gesicht zu geben. „Es ist natürlich ein ganz anderes Gefühl, den Leuten direkt in die Augen zu schauen, als wenn man nur wissenschaftliche Texte vor sich hat“, sagt er. So sei man mit den Menschen, die damals lebten, viel direkter und persönlicher konfrontiert.