Elsloo in der Jungsteinzeit: Grabbeigaben werfen neues Licht auf Geschlechterhierarchien

Forschende haben Funde aus 7.000 Jahre alten Gräbern des Elsloo-Gräberfelds erneut ausgewertet. Die Analyse mithilfe moderner Technik zeigt: In Bezug auf den sozialen Status hatte das Geschlecht vermutlich weniger Gewicht als ein anderer Faktor.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 5. Aug. 2022, 15:25 MESZ
Grabbeigaben aus Elsa: Keramik- und Werkzeugfragmente.

Grabbeigaben aus den Elsloo-Gräbern: Laut einer neuen Studie waren sie auffällig geschlechtsunspezifisch in den Gräbern verteilt – und besonders reich in Gräbern älterer Frauen.


 

Foto von Universität Leiden

Gerade in Bezug auf prähistorische Kulturen ist unsere Sicht auf die Geschlechterverteilung häufig traditionell geprägt: Zu Zeiten der Jäger und Sammler beschafften die Männer das Fleisch, die Frauen kümmerten sich derweil um die Kinder und sammelten pflanzliche Nahrung. Dies gilt der vorherrschenden Vorstellung nach auch für die Jungsteinzeit, in der aus Jägern und Sammlern sesshafte Bauern wurden. Auch hier sollen die Aufgaben klar verteilt gewesen sein: Frauen sorgten für Kinder und Haushalt, Männer waren für Vieh und Handwerk zuständig – und genossen deshalb in der Hierarchie der Gemeinschaft oft eine höhere Stellung.

Funde aus dem Elsloo-Gräberfeld, einem etwa 7.000 Jahre alten Friedhof in der Provinz Limburg in den Niederlanden, erzählen nun eine differenziertere Geschichte. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Luc Armkreutz und Ivo van Wijk von der Universität Leiden untersuchte die Grabbeigaben verschiedener Individuen der damals in der Region ansässigen Gemeinschaft. Dabei fanden sie heraus: Die Aufgabenverteilung unter den Geschlechtern war nicht so starr wie zuvor angenommen – und welchen gesellschaftlichen Stand eine Person hatte, wurde zu einem beachtlichen Teil vom Alter und nicht dem Geschlecht bestimmt. 

 „Die archäologischen Daten aus Elsloo liefern wichtige Nuancen für die vorherrschende männlich dominierte Perspektive auf die Gesellschaft“, sagt Armkreutz. „Der Wohlstand und die Grabbeigaben nehmen eher mit dem Alter zu – während es keine Konzentration auf mächtige männliche Personen zu geben scheint.“

Keramik und Erdklumpen aus rotem Ocker aus dem Grab eines älteren Mannes. Der Ocker wurde zum Färben der Töpferwaren und zur Verzierung von Körpern verwendet.

Foto von Universität Leiden

Geschlechterspezifische Grabbeigaben?

Das Gräberfeld in Elsloo gehört zu der Linearbandkeramischen Kultur, die in großen Teilen Europas – darunter das heutige Deutschland und die Niederlande – die erste bäuerliche Kultur darstellte. Ihre Ausbreitung in der Region wird auf die Zeit zwischen 5.600 und 4.900 v. Chr. datiert. Das Gräberfeld in Elsloo, zu dem die vom Forschungsteam untersuchten Gräber gehören, war Teil einer der größten Siedlungen der Linearbandkeramik in den Niederlanden.

Erste Ausgrabungen in Elsloo fanden bereits 1959 unter der Leitung von Pieter Modderman statt, der die Funde damals detailliert katalogisierte. Für die aktuelle Studie untersuchten Armkreutz, Wijk und ihre Kollegen nun 16 der damals entdeckten Gräber und ihre Inhalte genauer. Mithilfe moderner Analysemethoden bestimmten sie das biologische Geschlecht und das Alter der dort Begrabenen – und werteten vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse die entsprechenden Grabbeigaben aus.

Auffällig war dabei, dass umso mehr Beigaben in einem Grab zu finden waren, je älter das darin ruhende Individuum bei seinem Tod gewesen war. Außerdem konnte kein Fokus auf männliche Individuen nachgewiesen werden. Dies ist laut Armkeutz vor allem deshalb interessant, weil auch für ältere Kulturen oft von einer männlich-dominierten Gesellschaftsstruktur ausgegangen wird. „Dafür gibt es im Großen und Ganzen auch Anzeichen in dieser Region, die auf das Vorhandensein fester Regeln und eines patrilokalen Systems hinweisen“, sagt Armkreutz. Umso bemerkenswerter sei, dass in Elsloo ausgerechnet ältere Frauen in den reichsten Gräbern ihre letzte Ruhe fanden.

Ausgrabungsleiter Pieter Modderman (vorne rechts) mit seinem Team im Elsloo-Gräberfeld im Jahr 1959. Für seine aktuellen Untersuchungen nutzte das Team um Armkreutz und van Wijk die damals katalogisierten Knochen und Artefakte.

Foto von Universität Leiden

Dabei unterschied sich die Art der Beigaben in Gräbern von Männern und Frauen wenig – anders als man es aus der Region sonst kennt. „Wenn man sich die Grabbeigaben ansieht, scheint die oft angenommene Einteilung in Männer mit Dechsel und Pfeilspitzen und Frauen mit Schleifsteinen in Elsloo nicht in diesem Maße zu existieren. Stattdessen sehen wir hier Frauengräber mit Dechseln und Männergräber mit Schleifsteinen“, erklärt Armkreutz.

Das Alter zählt

Viel mehr als das Geschlecht hat bei den Grabbeigaben wohl das Alter und die Erfahrung der Person eine Rolle gespielt. „Eines der Gräber mit den reichsten Grabbeigaben gehörte beispielsweise einer älteren Frau von etwa 60 Jahren“, sagt Armkreutz. In jenem Grab habe man neben zahlreichen weiteren Objekten gleich drei Dechsel gefunden – ein weiteres Zeichen dafür, dass Alter und Erfahrung wichtige gesellschaftliche Faktoren waren.

Armkreutz zufolge ergibt das auch anthropologisch Sinn. „Die Älteren verfügen über Wissen und Erfahrung, sie haben das Know-how, eine Gruppe zu führen.“ Auch die Tatsache, dass Frauen oftmals älter wurden als Männer könne dabei eine Rolle gespielt haben. „Ältere Frauen haben länger gelebt und sich um die Enkelkinder gekümmert. Wenn sie in neue Gruppen einheirateten, brachten sie außerdem eine Menge Wissen und Kontakte aus anderen Dörfern mit“, erklärt Armkreutz.

Dennoch sind viele Fragen zu den Beerdigungsbräuchen der Linearbandkeramischen Kultur noch nicht vollständig geklärt. „Einige der Funde sprechen auch dafür, dass es sich bei den Grabbeigaben eher um Objekte handelt, die die Angehörigen oder die Trauernden zurückgelassen haben, als um persönliche Gegenstände der Verstorbenen“, sagt Armkreutz. Das würde die Aussagekraft der Funde in Bezug auf konkrete gesellschaftliche Rollenbilder zwar schmälern, trotzdem aber bestätigen, dass vor allem die Vernetzung und das Alter einer Person zur persönlichen Stellung in der Gesellschaft beitrugen – und weniger das biologische Geschlecht.

Laut Co-Autor van Wijk lehrt die Studie zusätzlich, wie viele Informationen in älteren Datenbanken verborgen liegen – und wie divers Bestattungspraktiken zur damaligen Zeit sein konnten. Auch Armkreutz betont: „Die Ergebnisse zeigen: Innerhalb dessen, was man in weiten Teilen Europas immer als sehr einheitliche Kultur bezeichnet hat, gibt es eine Menge Variationen.“

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