DNA-Test: Berühmter Wikingerkrieger war eine Frau

Eine bekannte Grabstätte muss aufgrund neuer Erkenntnisse neu bewertet werten – ebenso wie die Geschlechterrollen der Wikinger.

Von Michael Greshko
Wikinger-Reenactors
Diese Wikinger-Reenactors mit ihren eisernen Helmen, Kettenhemden und Lederkürassen lassen erahnen, wie diese Plünderer ihre Opfer in Angst und Schrecken versetzten.
Foto von David Guttenfelder, National Geographic

Vor mehr als einem Jahrtausend wurde im heutigen Südosten Schwedens ein wohlhabender Wikingerkrieger beigesetzt. Sein prächtiges Grab enthielt Schwerter, Pfeilspitzen und zwei geopferte Pferde. Die Stätte verkörperte das Ideal des männlichen Kriegerlebens der Wikinger – das dachten zumindest viele Archäologen.

Eine DNA-Analyse der Knochen widersprach dem jedoch und bewies, dass das Grab einer Frau gehörte.

Die Studie, die im American Journal of Physical Anthropology veröffentlicht wurde, schlug einige Wellen im archäologischen Verständnis der Wikinger, den mittelalterlichen Seefahrern, die jahrhundertelang Städte in Europa überfallen und Handel getrieben haben.

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    „[Das Grab] wurde als eine Art ‚Ideal‘ des Grabs eines männlichen Wikingerkriegers emporgehalten“, sagt der Archäologe Davide Zori von der Baylor Universität, der an der Studie nicht beteiligt war. „[Die neue Studie] trifft direkt ins Herz der archäologischen Interpretation: Wir haben immer alles auf unserer Vorstellung der Geschlechterrollen abgebildet.“

    Die Überlieferungen über die Wikinger enthalten seit jeher Hinweise darauf, dass nicht alle Krieger Männer waren. Ein irischer Text aus dem frühen 10. Jahrhundert erzählt von Inghen Ruaidh („Rotes Mädchen“), einer weiblichen Kriegerin, die eine Wikingerflotte nach Irland geführt hatte. Zori weist auch darauf hin, dass zahlreiche Sagen über die Wikinger – darunter die Völsunga saga aus dem 13. Jahrhundert – von „Schildmaiden“ erzählt, die zusammen mit den männlichen Kriegern kämpfen.

    Einige Archäologen hielten diese Kriegerinnen eher für mythologische Ausschmückung – eine Vermutung, die von der modernen Auffassung der Geschlechterrollen geprägt ist.

    Zum Mann erklärt

    Seit Ende der 1880er hatten Archäologen den „Krieger von Birka“ durch diese Linse betrachtet: Lehrbücher führten das Grab als zu einem Mann gehörig auf, aber nicht etwa, weil die Knochen darauf hinwiesen. Da die Überreste neben Schwertern, Pfeilspitzen, einem Speer und zwei geopferten Pferden gefunden worden waren, hatten Archäologen es für das Grab eines Kriegers gehalten – und damit eines Mannes.

    Das änderte sich allerdings, als die Bioarchäologin Anna Kjellström von der Universität von Stockholm die Beckenknochen und den Kiefer zum ersten Mal genauer untersuchte. Ihre Maße schienen den typischen Maßen einer Frau zu entsprechen.

    Reenactors bei nachgestelltem Kampf
    Die Reenactors, die Wikinger und Slawen darstellen, attackieren sich mit Schwertern und Speeren bei einem nachgestellten Kampf auf einem Festival im polnischen Wolin. Im frühen Wikingerzeitalter waren es noch kleine Überfallkommandos, die den Wikingern bald zu ihrem Ruf verhalfen. Später eroberten sie dann mit ganzen Armeen große Teile Europas.
    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Kjellströms Analyse wurde 2014 auf einer Konferenz präsentiert und 2016 veröffentlicht. Allerdings erhielt sie nicht besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit und einige Archäologen hinterfragten sie. Da die Ausgrabung mehr als ein Jahrhundert zurücklag, wurden die Knochen vielleicht falsch beschriftet – ein Problem, das auch bei anderen Gräbern in der Nähe bemerkt wurde. Vielleicht waren die Knochen auch mit denen anderer Skelette durcheinandergeraten?

    Als Reaktion darauf extrahierte ein Team unter der Leitung von Charlotte Hedenstierna-Jonson, einer Archäologin der Universität von Uppsala, zwei Arten von DNA aus den Knochen. Die mitochondriale DNA wird durch die Mutter vererbt und sollte bestimmen, ob die Knochen alle von derselben Person stammten. Fragmente der nuklearen DNA sollten das biologische Geschlecht bestimmen.

    Die Ergebnisse waren eindeutig: Das Team entdeckte keinerlei Y-Chromosomen in den Knochen, und die mitochondriale DNA der verschiedenen Knochen stimmte überein. Die Überreste gehörten alle derselben Person – und diese Person war eine Frau.

    Hedenstierna-Jonson und ihren Kollegen zufolge handelte es sich wahrscheinlich um eine Kriegerin und eine angesehene Taktikerin. „Auf ihrem Schoß befanden sich Spielsteine“, sagte Hedenstierna-Jonson in einem früheren Interview. „Das lässt darauf schließen, dass sie die Anführerin und diejenige war, die die Taktiken plante.“

    Illustration Grab
    Eine Illustration von Eval Hansen, die auf dem Originalplan des Grabes von Hjalmar Stolpe basiert und 1889 veröffentlicht wurde.
    Foto von Uppsala University

    Wikingerleben

    Zori ist fasziniert davon, was diese Entdeckung über Birka aussagt, die mittelalterliche Handelssiedlung, in der die Frau begraben wurde. Birka beherbergt nicht nur das größte und am besten erforschte Gräberfeld der Wikinger, sondern war auch ein florierender Handelsumschlagplatz. Davon zeugen große Mengen an arabischem und byzantinischem Silber, das vom Handel mit Fellen und Sklaven entlang des Dnepr und der Wolga stammte.

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    Vielleicht lag es an diesem Fluss von Waren und Menschen, dass die Grabstätten von Birka ein gewisses internationales Flair verströmen, sagt Zori. Die Begräbnispraktiken von Birka durchlaufen das ganze Spektrum, angefangen vom Verbrennen der Leichen bis zu ihrer Positionierung auf Stühlen.

    „[Birka] verband die Welt der Wikinger – es geht um Handel, um Austausch, um Menschen, die umherzogen, und zwar nicht nur, um sich gegenseitig zu töten“, fügt er hinzu. „Diese Art martialischen Ethos [in dem Grab] in einer Handelsstadt darzustellen, ist ebenfalls von Bedeutung: so verbindet man zwei wichtige Aspekte der Wikingerwelt miteinander.“

    Laut Zori ist es zwar möglich, jedoch unwahrscheinlich, dass die Verwandten der Frau sie mit der Ausrüstung einer Kriegerin begraben hatten, obwohl sie diese Rolle zu Lebzeiten nicht ausfüllte. Aufgrund der vorhandenen Beweise ist Zori recht zuversichtlich, dass die Studienergebnisse akkurat sind.

    „Das hier ist etwas, das im Laufe der Zeit aufgrund der Texte über Kriegerinnen viel Interesse geweckt hat ... Und jetzt haben wir die Technologien, durch die wir uns diesen Texten und der Archäologie annähern können.“

    Wikinger


    Jorvik Viking Festival

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