Antike Dinner Party: So wild feierten die Römer wirklich

Den Partys der Römer eilt ein gewisser Ruf voraus. Legendär sollen sie gewesen sein, geradezu exzessiv, regelrechte Orgien. Entspricht das den Tatsachen? Ein Experte gibt Einblicke.

Von Heidrun Patzak
Veröffentlicht am 6. Nov. 2023, 15:43 MEZ
Römische Bankette

Ausschweifend und feuchtfröhlich – wie wild waren die antiken Bankette der Römer?

Foto von Mary Evans Picture Library 2017

Frische Austern, raffiniert gewürzte Weinbergschnecken, gefüllter Fasanenbraten, serviert in Gefäßen aus Silber und Gold, dazu noch Wein in rauen Mengen – die alten Römer wussten zu schlemmen und zu feiern. Vor allem Bankette, genannt convivia, waren damals ein beliebter Zeitvertreib. Man gab sie für die Familie, Geschäftspartner oder Kunden – gar nicht so anders als heute. Doch waren die römischen Dinnerpartys tatsächlich so protzig und ungezügelt, wie wir sie uns heute vorstellen?

Die Esskultur der Römer: Bankett statt Nobelrestaurant

„Unsere Einrichtung gehobener Restaurants gab es im alten Rom noch nicht“, erklärt Günther E. Thüry, Professor für Altertumswissenschaften an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. „Es gab zwar Imbissstuben und einfachere Gastwirtschaften. Doch wollte man gute Küche speisen und genießen, fand das im Privathaus statt. Allerdings“, gibt Thüry zu bedenken, „sprechen wir hier von Gastmählern in den Häusern der Reicheren und Reichsten. Wie heute nicht jeder Mensch in Nobelrestaurants alltäglich ein und aus geht und sich sozusagen von Kaviar und Austern ernährt, so war das auch in römischer Zeit.“ 

BELIEBT

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    Die Speisesofas waren edel geschmückt: Archäologische Ausgrabungen förderten Sofabeschläge aus Bronze und Elfenbein zutage. Dieser Kopf eines Mulis schmückte ursprünglich die Kopfstütze einer römischen Couch.

    Foto von Public Domain, Ausstellungsstück der Met Fifth Avenue

    Luxuriöses Geschirr: Silber, Gold und Edelstein

    Doch wie feierten sie nun, die Reicheren und Reichsten? Auf jeden Fall stilvoll und luxuriös. In den Villen der römischen Upper Class gab es eigene Banketträumlichkeiten, die kunstvoll mit Mosaikböden, Wandmalereien und Stuckreliefs ausgestattet waren. Gesessen oder vielmehr gelegen wurde im Speisesaal gern auf einer dreiteiligen Sofagarnitur. Daher rührt auch der Name triclinium, wörtlich übersetzt "Raum mit drei Sofas", als Bezeichnung für den Bankettraum. Jedoch waren die Sofas hauptsächlich den Herren vorbehalten, die anwesenden Damen begnügten sich dann meist mit Stühlen.

    Dieses Tafelsilber, das in Tivoli entdeckt wurde, umfasst 30 Teile. Auf den beiden zueinander passenden Trinkbechern ist der Name der Besitzerin eingraviert: „Sattia, Tochter von Lucius“.

    Foto von Public Domain, Ausstellungsstück der Met Fifth Avenue

    In der Raummitte stand der reich gedeckte Tisch – und auch hier wurde geprotzt. Kunstvoll verarbeitete Teller aus Silber, Gold und Bronze, teils sogar mit Bergkristallen, Achaten oder Onyxen verziert, waren keine Seltenheit auf römischen Tafeln. Wohlhabendere Familien nannten Tafelsilber ihr Eigen, wie es an vielen Orten (zum Beispiel Pompeji oder Tivoli) gefunden wurde. 

    Gegessen wurde mit den Fingerspitzen oder zwei verschiedenen Arten von Löffeln: dem cochlear, mit dem etwa Eier und Schnecken verspeist wurden, und der ligula, die sich eher für Suppen eignete.  

    Kreative Kunstwerke: Die Glasindustrie bei den Römern

    Deutlich günstiger als Edelmetalle, aber ganz besonders in Mode, war bei den Römern der Werkstoff Glas. Er fand zur damaligen Zeit weite Verbreitung, sodass man ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. von einer regelrechten Glasindustrie sprechen kann. Dafür wurden die Glasmacher kreativ: Es gab ein- und mehrfarbige Glasgefäße, Gefäße mit eingearbeiteten Goldschichten oder auch Cameoglas. 

    Erstaunlich modern: die Glasgefäße der alten Römer. Das Mosaikmuster sollte die Musterung von Halbedelsteinen imitieren.

    Foto von Public Domain, Ausstellungsstück der Met Fifth Avenue

    Griechische Einflüsse: Eine kulinarische Revolution

    Besonders zur frührömischen Zeit, also einige Jahrhunderte vor Christus, gehörte Getreidebrei (puls), gewürzt mit Zwiebel und Knoblauch, zum römischen Essensstandard. Dazu gab es Kohl und Bohnen und selten auch mal Fleisch. Erst ab etwa 200 v. Chr. fanden Tafelluxus und Feinschmeckerei ihren Weg ins alte Rom – importiert aus dem griechischen Kulturraum. „Wir können hier durchaus von einer kulinarischen Revolution sprechen“, so Thüry. „Man begann, die Mahlzeiten aufwändiger und genussreicher zu gestalten, Kochen wurde zur Kunst.“ Sowohl die elaborierten Bankette als auch der teils ausschweifende Weinkonsum waren eine Übernahme aus dem griechischen Kulturkreis. Diese Tatsache fand sogar Einzug in den römischen Sprachgebrauch. Die Nächte wurden laut Zeitgenossen nicht durchgemacht, sondern „durchgegriecht.“

    Fasanenfleisch, Austern und Schalentiere, selbst Singvögel waren ab diesem Zeitpunkt keine Seltenheit mehr auf römischen Tafeln. Daneben gab es aber auch Bodenständiges wie Spanferkel, Bohneneintopf oder Schinken in Teighülle. Häufig wurde zu den einzelnen Gängen Brot gereicht, um die aufwändig zubereiteten Würzsaucen tunken zu können. „Die Nahrungsmittel für die Bankette kamen aus Spanien, Ägypten, Griechenland und Kleinasien“, weiß Thüry. „Sogar von hundertjährigem Wein wird berichtet.“ Bei der Lebensmittelproduktion wurde man findig: Austern, Gänse, Pfauen und Weinbergschnecken wurden gemästet und Fische bereits in Salzwasserbassins gehalten.

    Die Speisen der Römer: Auf die Würze kam es an

    Mindestens ebenso wichtig wie die Zutaten war jedoch ein anderer Aspekt in der römischen Küche: „Eine Schlüsselrolle spielten zweifellos die Gewürze.“ Sie dienten nicht nur dazu, den Eigengeschmack der Speisen zu unterstreichen, „sondern auch, um ihnen eigene, neue Akzente aufzusetzen“, erklärt Thüry, der gemeinsam mit Johannes Walter über das Thema Gewürze bei den Römern ein eigenes Buch verfasst hat.

    Einige Gewürze wurden aus Fernost importiert und viele davon kennen wir noch heute aus unserer Küche: Dill, Koriander, Sellerie und Bohnenkraut etwa. „Die römische Kultur liebte außerdem die See und ihr reiches Angebot an kulinarisch nutzbaren Erzeugnissen, die sie auch in Form von Fischsaucen, Fischkonserven oder Meeresschnecken bis ins Binnenland lieferte“, so Thüry. Bei den Rezepten war man kreativ, wie ein antikes Kochbuch, das De re coquinaria beweist: Unter anderem findet man dort ein Rezept für ein Gericht namens „Schweinswurst gefüllt mit Siebenschläfer“. 

    Darstellung eines römischen Banketts nach griechischem Vorbild. Auf dem Tischchen befinden sich die Gefäße zum Anmischen von Wein.

    Foto von Ferrari et al. Le collezioni del museo nazionale di Napoli , v.1, Milano, De Luca, 1989, pg 170-171, photo pg 65.

    Wein, Wein und nochmals Wein: Nach dem Festmahl das Gelage?

    „Ein Gastmahl im Haus eines reichen Gastgebers bestand aus zwei Teilen: Einem eigentlichen mehrgängigen Essen, zubereitet von Köchen des Hauses und serviert von Dienstpersonal. Im Anschluss daran wurde nicht mehr gegessen, sondern vor allem Wein getrunken.“
    Dass es sich dabei stets um zügellose Saufgelage handelte, scheint zweifelhaft, immerhin wurde der Wein häufig mit Wasser verdünnt. Eine römische Sitte war es zudem, das Wasser dafür in einer sogenannten authepsa zu erwärmen – einem Gefäß, ähnlich den heutigen Samowars. Doch auch kaltes Wasser und sogar Eis wurden genutzt. Gab es bei den Getränken keinerlei Abwechslung? „Da das Römische Reich riesig war und es Gebiete gab, in denen man (anders als in Italien) ebenso das Bier schätzte, kann es durchaus sein, dass in manchen Teilen des Reiches auch Bier bei Gastmählern eine gewisse Rolle spielte“, berichtet Günther Thüry.

    Sex, Drugs und Lyra-Spiel: So wurde für Entertainment gesorgt

    Zu einer festlichen Dinnerparty gehörte auch Musikbegleitung. Künstler sorgten mit Flöte, Wasserorgel und Lyra während des Essens für musikalische Untermalung. Akrobaten, Tänzerinnen und Pantomimen bestritten das Rahmenprogramm, selbst Auftritte von Raubtieren wie Löwen und Leoparden sind überliefert. Welche Ausrichtung die Bankette hatten, hing vom Gastgeber ab. „Hier gab es eine große Bandbreite an individuellen Lebensstilen, Einstellungen und Verhaltensweisen“, betont Thüry. „Es gab Gastgeber und Bankette, auf denen sich vor allem Genießer über gute Küche freuen wollten. Ebenso kamen Gastmähler vor, bei denen die mehr oder weniger heimliche Haupttriebfeder die Zurschaustellung des eigenen Reichtums war. Und selbstverständlich genossen viele Gastgeber und Gäste schlicht das gemütliche und fröhliche Beisammensein.“

    Zuerst wurde gespeist und anschließend getrunken – und das mal mehr, und mal weniger ausgiebig.

    Foto von AntiqueRome_Orgy_Bacchanalia_Messaline_1881_www.neo-cortex.fr

    Dass Bankette lediglich zur seichten Unterhaltung und dem Genuss dienten, dieses Vorurteil kann der Experte ausräumen: „Wo intellektuellere Menschen beim Gastmahl saßen, ging es nicht nur ums Essen, Trinken und Feiern, sondern es wurde auch stundenlang über ernsthafte Fragen aller Art diskutiert.“ Und, so stellt Thüry klar: „Drogen spielen bei römischen Gastmählern überhaupt keine erkennbare Rolle. Alkoholexzesse hat es selbstverständlich gegeben, aber in nicht schlimmerer Form als bei uns heute.“

    Gesehen durch die Brille der Kritiker: Das Märchen über die römischen Orgien

    Also ist es nur ein Vorurteil, dass die Römer wilde Orgien feierten? „Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass in römischer Zeit mehr wilde Exzesse und mehr Party-Orgien stattfanden als heute“, sagt Thüry. „Das Gerücht, dass römische Orgien die wildesten gewesen seien, ist dadurch entstanden, dass römische Moralisten, Satiriker und Zeitkritiker ein übertriebenes Bild des luxuriösen Lebens von Reichen und Vornehmen ihrer Zeit entwarfen. Sie wünschten sich eine Rückkehr zur anspruchslosen, einfachen Lebensweise des ältesten Roms.“

    Hielt nicht viel von ausschweifenden Genüssen: Der römische Politiker Sallust wie ihn sich das 18. Jahrhundert vorstellte (ein authentisches Bild des Sallust hat sich nicht erhalten).

    Foto von Louis-Gabriel Monnier, Public domain, via Wikimedia Commons

    Kritik an Genuss und Tafelfreuden gab es also damals schon reichlich. „Meine Zeitgenossen durchwühlen Land und Meer systematisch nach Nahrungsmitteln“, monierte da etwa der Politiker und Geschichtsschreiber Sallust (ca. 86-34 v. Chr.). Der berühmte Gelehrte und Philosoph Varro (116 – 27. V. Chr.) ging sogar noch weiter und forderte: „Jupiter möge seinen Blitz in die römischen Markthallen werfen und die Schleckermäuler zum Zittern bringen!“

    Aussagen, die heute ein Schmunzeln hervorrufen – doch lange Zeit stellten sie ein ernsthaftes Problem der geschichtswissenschaftlichen Forschung dar. Die Übertreibungen der antiken Moralisten seien in der früheren altertumswissenschaftlichen Forschung für bare Münze genommen worden, so Thüry. Auf diese Weise entstand der Mythos der zügellosen römischen Orgien und einer angeblichen kulinarischen Dekadenz.

    „Die Forschung hat lange gebraucht, bis sie erkannte, dass dieses karikaturhaft verzeichnete Bild nicht ein Porträt realer Zustände war.“ In der Allgemeinbildung sei das Vorurteil sogar noch bis heute verankert. Laut Thüry waren uns die alten Römer vielleicht sogar ähnlicher, als wir denken: „Es gab vornehme und vielleicht auch etwas steife Tischrunden, es gab lockere und lustige, und es gab natürlich auch solche, bei denen das Locker- und Lustigsein besonders weit ging. Aber das ist ja auch heute nicht anders.“

     

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    Foto von National Geographic

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