Seppuku: Das grausame Selbstmord-Ritual der Samurai

Jahrhundertelang war Seppuku, im Westen bekannt als Harakiri, fester Bestandteil der japanischen Kultur. Was veranlasste Männer dazu, sich eigenhändig den Bauch aufzuschlitzen?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 4. März 2024, 10:26 MEZ
Seppuku-Zeremonie (Zeichnung von L. Crépon nach einem japanischen Gemälde,1867)

Seppuku-Zeremonie (Zeichnung von L. Crépon nach einem japanischen Gemälde,1867)

Foto von Gemeinfrei

Es ist eine Geschichte über Mord und Rache, Macht und Intrigen, Mut und Ehre – und über bedingungslose Treue. Im Dezember 1702 stürmen 47 Ronin, herrenlose Samurai, das Haus eines hochrangigen Regierungsbeamten. Sie töten ihn, weil er für den Tod ihres Herrn verantwortlich ist. Dieser hatte sich gegen den korrupten Beamten aufgelehnt. Der Bushido, Ehrenkodex der Samurai, verpflichtet die Männer dazu, ihren Herrn zu rächen.

Zugleich ist ihnen klar: Auch sie sind nach ihrem Racheakt an einer ranghöheren Person dem Tod geweiht. Die Shogun-Regierung verurteilt die Tat und ist doch beeindruckt von der Loyalität und Tapferkeit der Männer. Sie fordert die Ronin zum Seppuku auf – einer rituellen Form des Selbstmords, die das eigenhändige Aufschlitzen des Bauchs vorsieht.

Das Schicksal der 47 Ronin gilt als Paradebeispiel für die Wertvorstellungen im alten Japan. Ihre Geschichte zählt zu den großen Nationalmythen des Landes. Bis heute inspiriert sie zahlreiche Bücher, Filme und Theaterstücke. Das Selbsttötungsritual Seppuku war über viele Generationen hinweg tief in der japanischen Kultur verankert. Es zeugt von der unverbrüchlichen Loyalität der Samurai – und von einem Moralverständnis, nach dem es allemal besser ist, in Ehre zu sterben als in Schande zu leben.

 

Der Angriff der Ronin 

Foto von Gemeinfrei

Ehre über den Tod hinaus

Seppuku, im Westen besser bekannt als Harakiri, hat seinen Ursprung im Japan des 12. Jahrhunderts – einer Zeit, in der die Samurai zur herrschenden Gesellschaftsschicht in Japan aufstiegen. Im Laufe der Jahrhunderte manifestierte sich eine streng reglementierte Selbsttötungszeremonie. Seppuku war ausschließlich Samurai und damit Männern vorbehalten. Nur ihnen traute man zu, die großen Schmerzen klaglos ertragen zu können. 

Seppuku galt als gesellschaftlich anerkannte Methode, um über den Tod hinaus Schande von sich und seiner Familie abzuwaschen. Damit war das Selbstmord-Ritual nicht nur eine Form der Selbstbestrafung. Es war zugleich ein Akt der Wiedergutmachung gegenüber Individuum und Gemeinschaft. Dafür gab es verschiedene Anlässe. 

Zum einen konnten Samurai-Krieger ihre Ehre durch den selbstgewählten Freitod wiederherstellen, wenn sie in die Hände von Feinden gefallen waren. Pflicht- und Ehrverletzungen waren weitere häufige Gründe für die tödliche Selbstbestrafung. Überdies wurde Seppuku verübt, um einem verstorbenen Herrn in den Tod zu folgen. Sogar aus Protest gegen falsche Entscheidungen oder zum Beweis der eigenen Unschuld rammte sich ein Samurai bisweilen sein Tanto, ein gebogenes Kampfmesser, in den Leib.

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    Seppuku: Selbsttötung nach strengen Regeln

    Die Zeromonie folgte einem festen Ablauf. Für gewöhnlich durfte sich der Samurai mehrere Monate darauf vorbereiten. Oft fand das Ritual im Garten des eigenen Anwesens statt. Der Samurai war dabei nicht allein. Anwesend waren auch ein Priester, Protokollant und ein persönlicher Assistent, der Kaishaku-nin. Dieser war ebenfalls ein Samurai und half beim Tötungsakt.

    Als Zeichen der Reinheit trug der Totgeweihte ein weißes Gewand. Vor dem Suizid nahm er eine letzte Mahlzeit ein und schrieb ein Todesgedicht. Dann kniete er sich in der traditionellen Seiza-Sitzhaltung auf den Boden und entblößte seinen Oberkörper. Vor ihm lag das in Papier eingewickelte Tanto. Dann schnitt er sich von links nach rechts mit einer abschließenden Aufwärtsbewegung der Klinge den Bauch auf. In der Regel wurde dabei die Hauptschlagader getroffen.

    Der Samurai durfte weder Angst noch Schmerz zeigen. Der Kaishaku-nin unterstützte ihn hierbei, indem er ihn mit einem Schwerthieb erlöste. Sobald die Qualen nicht mehr zu ertragen waren, beugte der Sterbende den Kopf vor und signalisierte, dass er bereit für den tödlichen Hieb war. Dieser Schlag musste mit äußerster Präzision erfolgen. Es galt den Kopf von der Wirbelsäule zu lösen, nicht aber komplett vom Körper zu trennen.

    Ein Samurai schreibt sein Todesgedicht vor dem rituellen Selbstmord.

    Foto von Gemeinfrei

    Verbot von Seppuku

    Führte der Assistent seine Aufgabe nicht gewissenhaft durch, konnte das sein eigenes Todesurteil bedeuten. Er wurde dann möglicherweise selbst zum Seppuku aufgefordert. Über die korrekte Durchführung des Seppuku wurde genau Buch geführt. Auf Grundlage des schriftlichen Protokolls wurde später entschieden, ob die Zeremonie als offizielles Seppuku anerkannt werden konnte. Ausschlaggebend hierfür war unter anderem der schmerzfreie Gesichtsausdruck des Toten. 

    Mehr als 700 Jahre lang war Seppuku fester Bestandsteil der japanischen Samurai-Kultur. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde es verboten. Kaiser Meiji verordnete Politik und Gesellschaft ab 1868 strenge Reformen, um das Land dem Westen zu öffnen. Das Regierungssystem des Shogunats wurde abgeschafft und mit ihm der Kriegsadel der Samurai.

    Prominente Selbstmörder

    Doch auch nach dem Verbot und dem Untergang der Samurai kam es immer wieder zu Fällen von Seppuku im Kaiserreich. Nach der Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg nahmen sich hochrangige Angehörige des Militärs wie der damalige Heeresminister Anami oder der Gründer der Kamikaze-Einheiten, General Onishi, durch Seppuku das Leben.

    Zu Beginn der 1970-er Jahre ereignete sich der letzte öffentlich bekanntgewordene rituelle Selbstmord im inzwischen demokratisch regierten Japan. Yukio Mishima, einer der bedeutendsten japanischen Autoren und politischer Aktivist, schlitzte sich am 25. November 1970 den Bauch auf, bevor ihn ein Vertrauter enthauptete.

    Zuvor hatte Mishima, der eine eigene Miliz unterhielt, einen vergeblichen Putschversuch unternommen. Sein Ziel war es, das Parlament aufzulösen und die Macht wieder an den japanischen Kaiser zu übertragen. Der gescheiterte Putsch wurde als Mishima-Vorfall weltbekannt.

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