Neue Mega-Siedlung der Maya entdeckt

Über Jahrhunderte lag die Welt der Maya verborgen unter dem Blätterdach des Regenwalds. Jetzt bringt eine neue Technologie die Größe und Komplexität der alten Zivilisation zum Vorschein.

Von Tom Clynes
Veröffentlicht am 5. Apr. 2024, 15:42 MESZ
Maya-Ruinenstätte Dzibanché

Aus der Luft kaum zu erahnen, offenbarte erst die Lasertechnologie Lidar, dass sich die Ruinenstätte Dzibanché auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán über 20 Quadratkilometer erstreckt.

Foto von Rubén Salgado Escudero

Die beiden Archäologen hatten zusammengenommen mehrere Jahrzehnte in den Urwäldern Mittelamerikas verbracht. Drückende Hitze und Schwüle, dazu Begegnungen mit gefährlichen Tieren und bewaffneten Plünderern waren untrennbar mit der Entdeckung der Schätze der Maya verbunden, deren Zivilisation ein paar Tausend Jahre lang florierte und dann auf mysteriöse Weise im dichten Urwald verschwand. Daher erscheint es geradezu paradox – um nicht zu sagen unfair –, dass ihre größte Entdeckung ausgerechnet vor einem Computer in einem klimatisierten Büro in New Orleans stattfinden sollte.

​Laser-Kartografie eröffnet neue Sicht auf die Maya-Kultur

Unter den Blicken seines Kollegen Francisco Estrada-Belli öffnete Marcello Canuto von der Tulane University das Luftbild eines Waldstücks im Norden Guatemalas. Anfangs waren auf dem Monitor nur Baumkronen zu sehen. Doch die Aufnahme war mit der Lidar-Technologie (Abkürzung für „Light Detection and Ranging“) erstellt worden. Dabei wird an einem Flugzeug ein Scanner installiert, der beim Flug ein Bündel von Laserstrahlen Richtung Boden schickt. Der Scanner empfängt die von dort reflektierten Signale und erstellt ein detailliertes Höhenprofil des Bodens, in diesem Fall des Urwaldbodens. Canuto entfernte mit ein paar Tastenklicks die Baumkronen digital von den Aufnahmen und machte so die Strukturen sichtbar, die das dichte Blätterdach verborgen hatte. Die Region, die sie betrachteten, lag weit entfernt von jeglichen Bevölkerungszentren. Man hatte sie für weitgehend unbewohnt gehalten, selbst während der Blütezeit der Maya-Zivilisation vor mehr als 1100 Jahren.

Mit den Laserscans zeigte sich plötzlich, dass das, was wie natürliche Bodenunebenheiten gewirkt hatte, tatsächlich Wasserspeicher, Terrassenfelder und Bewässerungskanäle waren. Was sie für kleine Berge gehalten hatten, entpuppte sich als große, von Zeremonialbauten gekrönte Pyramiden. Siedlungen, die Generationen von Archäologen als regionale Hauptstädte eingestuft hatten, waren in Wirklichkeit nur die Vororte ungleich größerer präkolumbischer Metropolen, die über befestigte, erhöhte Straßen miteinander verbunden waren. Niemand hatte etwas von ihrer Existenz geahnt. „Ich glaube, wir fühlten uns in etwa so wie die Astronomen, die zum ersten Mal durch das Hubble-Weltraumteleskop blickten und sahen, dass es in all den vermeintlich leeren Räumen vor Sternen und Galaxien nur so wimmelte“, erinnert sich der Archäologe Thomas Garrison, wie seine beiden Projektpartner National Geographic Explorer.

​Bahnbrechende Erkenntnisse über Besiedelungen

Der Einsatz von Lidar revolutioniert die Maya-Archäologie. Nicht nur, dass er Forschern den Weg zu vielversprechenden Fundstellen weist, er verschafft ihnen auch einen Überblick über die historische Landschaft. Dutzende von Lidar-Scans – darunter das bahnbrechende Projekt aus dem Jahr 2018, das in New Orleans vorgestellt wurde und von der Stiftung für das Kultur- und Naturerbe der Maya in Guatemala (Pacunam Foundation) finanziert wird – haben lang etablierte Vorstellungen von einer Zivilisation, die in einer der unwirtlichsten Regionen der Erde gedieh, regelrecht auf den Kopf gestellt. „Das Ausmaß, in dem Lidar die Maya-Archäologie beflügelt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, meint der guatemaltekische Archäologe Edwin Román-Ramírez. „Natürlich müssen wir weiterhin graben, um die Menschen zu verstehen, die diese Bauwerke geschaffen haben. Aber die Technologie zeigt uns, wo und wie wir graben müssen.“

Vor allem widerlegen die Bilder die irrige Ansicht, das Tiefland der Maya sei eine dünn besiedelte Landschaft mit nur vereinzelten, autonomen Stadtstaaten gewesen. Jede neue Lidar-Kartierung zeigt, dass die Maya eine zusammenhängende Zivilisation besaßen, die ein Megasiedlungssystem mit Millionen von Bauern und Kriegern sowie eine Infrastruktur schuf, die weitaus komplexer und vernetzter war, als es die meisten Maya-Experten vermutet hatten. Diese Erkenntnis vermag nicht nur die Vergangenheit der Region umzuschreiben, sondern dürfte auch ihre Zukunft radikal verändern.

Cover National Geographic 3/24

Foto von National Geographic

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