Käthe Wohlfahrt und der Weihnachtsschmuck: Ein deutsches Weihnachtswunder
In Sachen Weihnachtsdeko ist die Firma Käthe Wohlfahrt in Deutschland die Nummer Eins. Warum es ohne den Mauerbau nie dazu gekommen wäre und welch große Rolle Ostdeutschland historisch in Sachen Christbaumkugel & Co. spielt.
Im Käthe Wohlfahrt-Weihnachtsdorf ist jeden Tag Weihnachten. Das mittelständische Unternehmen wird in dritter Generation von der Familie Wohlfahrt geführt und feiert im Jahr 2024 sein 60-jähriges Bestehen.
Manchmal ist es nur ein Stern im Fenster oder ein Adventskranz in der Küche, anderswo wird jeder Winkel des Hauses dekoriert. Mit der Adventszeit verwandeln sich viele Wohnräume in funkelnd festliche Weihnachtszimmer – und spätestens mit dem Aufstellen des Weihnachtsbaums haben Kugeln und Anhänger aus Glas oder Holz ihren großen Auftritt.
Die Weihnachtsdekoration gehört heute so unverzichtbar zum Fest wie bunte Teller und Bescherung. Dabei ist sie noch gar nicht so lange Teil der Tradition. Das Brauchtum des Weihnachtsbaums etwa ist zwar schon viele Jahrhunderte alt, doch lange Zeit schmücken diesen neben Kerzen vorwiegend Vergängliches: Äpfel, die zum Teil versilbert oder vergoldet sind, Nüsse, Lebkuchen in Form von Tieren oder Spielzeug und Süßigkeiten – Zuckerpuppen, Figuren aus Marzipan und später auch Zuckerstangen –, die in seine Zweige gehängt werden.
Von der Bastelarbeit zum Exportschlager
Im 19. Jahrhundert kommt dann auch nicht-essbare Dekoration hinzu. Weil es zunächst keine gewerblichen Anbieter für Weihnachtsbaumschmuck gibt, muss jeder selbst kreativ werden: Mithilfe von Bastelanleitungen, Pappe, Papier, Stroh, Watte und Neuruppiner Bilderbögen, die ab Ende des 18. Jahrhunderts aufkommen, ist die Herstellung Familiensache.
Traditioneller Weihnachtsschmuck aus Watte aus der Sammlung des Deutschen Weihnachtsmuseums in Rothenburg ob der Tauber.
Sternornament aus Dresdner Pappe. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden im Raum Dresden aus mehreren Lagen Papier stabile Anhänger und Objekte in verschiedensten Formen hergestellt, die als Weihnachtsschmuck besonders beliebt waren. Metallfolie verlieh ihnen einen festlichen Glanz.
Dann aber beginnt sich in Thüringen und Sachsen eine kleine aber erfolgreiche Weihnachtsindustrie zu etablieren. Als um 1800 der Bergbau im Erzgebirge eingestellt wird, nehmen viele ehemalige Bergleute das Handwerk des Drechselns auf. In Orten wie Seiffen und Olbernhau spezialisiert man sich auf die Herstellung von Holzspielzeug und -figuren, darunter auch Weihnachtsklassiker wie Nussknacker und Räuchermännchen. In der sächsischen Stadt Sebnitz wird – in erster Linie in Heimarbeit – aus den bekannten Materialien Schmuck angefertigt und per Katalog vertrieben.
Im Raum Dresden stellt man ab 1870 im Hohlprägeverfahren aus der sogenannten Dresdner Pappe Anhänger in verschiedensten Formen her. Das kostengünstige Material macht den Schmuck auch für ärmere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Bereits einige Jahre zuvor wird im thüringischen Lauscha die Weihnachtskugel aus Glas erfunden, die heute an keinem Weihnachtsbaum fehlen darf. Ende des 19. Jahrhunderts haben die Manufakturen in den Regionen schließlich ein kleines Monopol auf die Saisonware, die sogar in die USA importiert wird.
Galerie: Schwibbogen, Nussknacker & Co. – Weihnachtsdekoration mit Tradition
Ein Stück deutsch-deutsche Geschichte
Es ist darum kaum verwunderlich, dass die Geschichte der bekanntesten „Weihnachtsfirma“ Deutschlands in Sachsen ihren Ursprung hat. Denn von dort, genauer gesagt aus dem Erzgebirge, fliehen die Eheleute Käthe und Wilhelm Wohlfahrt im Jahr 1956, während der Teilung Deutschlands, mit ihren zwei Kindern und Wilhelms Eltern in den Westen. Ein neues Zuhause findet die Familie nach einigen Zwischenstationen in Herrenberg bei Stuttgart, wo Wilhelm Wohlfahrt eine Anstellung bei einem Computerhersteller annimmt.
Wilhelm Wohlfahrt flieht 1956 im Alter von 28 Jahren mit Sohn Harald und seinen Eltern über Berlin nach Westdeutschland, seine Frau Käthe (23) nimmt mit Tochter Birgitt die Route über Nürnberg. Im Gepäck: eine weihnachtliche Spieldose.
Was dann geschieht, kann man als echtes Weihnachtswunder bezeichnen. Im Jahr 1963 besucht eine befreundete US-amerikanische Offiziersfamilie die Wohlfahrts, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Sie ist ganz fasziniert von den traditionellen Weihnachtsbräuchen aus der erzgebirgischen Heimat, die ihre Gastgeber noch immer pflegten – und von einer hölzernen Spieldose, aus der Stille Nacht, heilige Nacht erklingt. Weil die Dose eines der wenigen Stücke ist, die die Wohlfahrts aus ihrem früheren Leben besitzen, hat sie großen sentimentalen Wert. Von ihr trennen können sie sich also nicht. Doch weil sie ihnen so gut gefällt, möchte Wilhelm Wohlfahrt seinen Freunden eine ähnliche Dose als Andenken schenken – und macht sich auf die Suche nach einem Exemplar.
Aufgrund der Importbeschränkungen zwischen Ost- und Westdeutschland ist das kein leichtes Unterfangen. Erst im Februar 1964 tut Wohlfahrt einen Großhändler auf, der die Spieldosen anbietet, jedoch nicht einzeln abgibt. Wohlfahrt muss ihm den kompletten Restbestand von zehn Dosen abnehmen. Eine schenkt er der befreundeten Familie, die anderen verkauft er auf deren Anraten in der amerikanischen Kaserne nahe Stuttgart.
Nachdem die Militärpolizei Wilhelm Wohlfahrt den Haustürverkauf am US-amerikanischen Militärstützpunkt verboten hat, bietet er seine Waren auf regelmäßig stattfindenden Wochenendbasaren an.
Wilhelm Wohlfahrt mit der schicksalhaften Spieldose, mit der die Erfolgsgeschichte der Familie aus dem Erzgebirge begann.
Das große Interesse, auf das er stößt, bringt ihn auf die Idee, ganzjährig Weihnachtsdekoration aus dem Erzgebirge zu verkaufen. Noch im selben Jahr gründet Wohlfahrt die Firma Käthe Wohlfahrt – benannt nach seiner Frau, da er sich selbst noch in Anstellung befindet und darum keinen eigenen Betrieb eröffnen darf.
Weihnachten an jedem Tag: Aufstieg zum Marktführer
Das Sortiment der jungen Firma umfasst schon damals nicht nur Spieldosen, sondern auch Nussknacker, hölzerne Baumanhänger und anderen traditionellen Weihnachtsschmuck. Verkauft wird zunächst auf Basaren auf den Militärstützpunkten und auf Wochenmärkten. Im Keller des Hauses, in dem die Wohlfahrts leben, befindet sich neben dem Warenlager ebenfalls ein kleiner Verkaufsraum. 1977 wird es dort jedoch zu eng. Der Familienbetrieb ist so stark gewachsen, dass die Wohlfahrts Firma und Wohnsitz ins bayerische Rothenburg ob der Tauber verlegen, wo sie mit dem Christkindlmarkt ihr erstes Ladengeschäft eröffnen.
Heute findet man in dem Ort das Käthe Wohlfahrt-Weihnachtsdorf mit eigenem Weihnachtsmuseum und einer Verkaufsfläche von 1.000 Quadratmetern, das Touristen und Weihnachtsfans aus aller Welt anzieht. Während die meisten von uns den Weihnachtsschmuck nur für ein paar Wochen vom Dachboden, aus dem Keller oder der Abstellkammer holen, ist im Dorf der Wohlfahrts jeden Tag Weihnachten – ebenso wie in den Verkaufsfilialen, die man nicht nur in sechs weiteren deutschen Städten, sondern auch in Spanien, England, Frankreich, Belgien und sogar den USA finden kann.
Mit diesem Zeitungsinserat bewarben die Wohlfahrts im Jahr 1977 ihr erstes Ladengeschäft namens Christkindlmarkt in Rothenburg ob der Tauber.
Zwei Kinder bestaunen einen riesigen Nussknacker im Weihnachtsdorf.
Mit weihnachtlicher Dekoration kennt man sich bei der Nummer Eins in Deutschland also sehr gut aus – ebenso wie mit den Vorlieben der Kunden. Ein im wahrsten Sinne des Wortes echter Dauerbrenner „sind unsere kleinen Räuchermännchen, die ‚Duftl‘“, sagt Felicitas Höptner, Leiterin des Weihnachtsmuseums. „Mittlerweile gibt es zig verschiedene Motive und jedes Jahr kommt etwas Neues dazu.“
Weihnachtliche Deko-Trends: Geschmäcker ändern sich
Bei Dekorationsartikeln aus Holz wie Weihnachtspyramiden oder der Spieldose, mit der die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begann, bevorzugen die Kunden laut Höptner seit mindestens fünf Jahren solche, die wenig bis gar keine Farbe haben. So kommt die natürliche Maserung des Materials gut zur Geltung.
Auch beim sogenannten Glasbaumbehang bewegt sich etwas. In diesem Segment gab es Höptner zufolge im Geschmack der Deutschen in den letzten 10 Jahren eine deutliche Veränderung. Während zuvor in erster Linie Klassiker wie Kugeln, Sterne oder Glocken gefragt waren, geht der Trend heute zum Formglas. Dabei wird das Motiv – vom Auto über den Teddy bis hin zur Gurke – in eine Negativ-Form gebracht, in die das Glas dann hineingeblasen wird. „Das kannte man bis dahin nur aus Amerika“, so Höptner. „Inzwischen ist Formglas extrem beliebt und jedes Jahr gibt es neue Themen und Motive.“
Baumbehang aus Formglas, wie dieses Schneewittchen mit Zwergen aus der Serie Poesie, wird seit einigen Jahren bei den Kunden immer beliebter.
Das Deutsche Weihnachtsmuseum und das Käthe Wohlfahrt-Weihnachtsdorf im Winter. Das ganze Jahr über, egal ob Dezember oder August, kommen Touristen aus aller Welt hierher, um den Zauber von Weihnachten zu erleben.
Doch woher kommt dieser starke Wunsch, zu Weihnachten das Haus zu schmücken? „Weihnachten ist ein besonderes Fest und dazu passend möchte man seine eigenen vier Wände festlich dekorieren“, sagt Höptner. „Wenn Weihnachtsschmuck im warmen Glanz der Lichter funkelt und man einen Moment inne hält, um in diesen Zauber des Zusammenspiels von dekorativer Harmonie und innerer Einkehr einzutauchen, dann ist das ein magischer Moment, dem man sich kaum entziehen kann.“
Gemütlichkeit und Sentimentalität
Gegen die Dunkelheit und Kälte des Dezembers hilft es, das Zuhause mit Kerzen und Weihnachtsschmuck gemütlich zu gestalten. Er erlaubt laut Höptner eine kleine Auszeit vom Alltag, in dem Geradlinigkeit und Hektik den Ton angeben – und dazu steht die Verspieltheit der Dekorationsartikel in krassem Gegensatz. Nicht zuletzt sei auch, wie im Fall der Spieldose der Wohlfahrts, die sentimentale Komponente ein Faktor. „Viele Menschen denken beim Anblick weihnachtlich dekorierter Zimmer unweigerlich an ihre eigenen glücklichen Weihnachtsfeste der Kindheit zurück: wie damals dekoriert wurde, was die Lieblingskugel am Baum war, und so weiter.“
In so manchem privaten Weihnachtsschmuckbestand finden sich darum auch einige Erbstücke. Baumschmuck, den die Oma immer in ihren Baum gehängt hat, die Krippe, die alle Jahre wieder auf der Anrichte aufgebaut wurde, oder der Nussknacker, in dem man sich als Kind die Finger geklemmt hat. Weihnachtsschmuck verbindet Familien über Generationen, ist Teil ihrer Geschichte – und damit eine Herzensangelegenheit.
Das gilt in besonderem Maße für die Spieldose, mit der für die Wohlfahrts alles begann. Sie steht heute im Wohnzimmer der Familie – nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr. Wenn man ihren Hintergrund kennt, versteht man, wieso.