Warum gibt es Weihnachtbäume? Die Geschichte hinter der grünen Tradition
Von Estland bis in die Antarktis: über die Geschichte eines einst heidnischen Symbols, seine vielen verschiedenen Varianten auf der Welt und ihre sprichwörtlich deutschen Wurzeln.
Queen Victoria, Prince Albert und ihre Kinder bewundern einen Weihnachtsbaum im Dezember 1848. Bilder wie diese Illustration gingen um und machten den festlichen Trend populär – auch beim Volk.
Jeden Dezember ziehen Hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt in den Wald, um einen Baum zu fällen (oder sie kaufen einen vom Stand vor dem Supermarkt). Sie schleppen ihn in ihre Wohnungen oder Häuser, schmücken ihn aufwändig mit Kerzen, Kugeln und Lametta – und setzen ihn schließlich im Januar einfach auf die Straße. Mit etwas Abstand betrachtet, erscheint einer unserer wichtigsten Weihnachtsbräuche durchaus seltsam.
Warum gibt es in unserer Kultur Weihnachtsbäume? Und seit wann überhaupt? Sicher ist: Die „grünen Blätter“ des Tannenbaums waren schon in der Antike ein wesentlicher Bestandteil der jährlichen Feierlichkeiten zur Wintersonnenwende. „Die immergrünen Zweige waren traditioneller Schmuck und standen für den Sieg von Leben und Licht über Tod und Dunkelheit", sagt Carole Cusack, Professorin für Religionswissenschaft an der Universität von Sydney.
Wie genau die einst heidnische Tradition zu der wurde, die wir heute kennen, ist eine lange und nicht ganz eindeutige Geschichte. Geburtstort des Weihnachtsbaums wären wegen seiner großen Berühmt- und Beliebtheit gerne gleich mehrere Länder, und es gibt auch diverse konkurrierende Geschichten, die erklären sollen, wofür der Baum steht. Auch wenn heute auf der ganzen Welt Weihnachtsbäume aufgestellt werden, ihr Ursprung geht auf Regionen mit großen Nadelwäldern zurück – insbesondere in Nordeuropa.
Einer der ikonischsten Weihnachtsbäume der Welt: die rund 23 Meter hohe Fichte im Rockefeller Center in New York ist mit über 50.000 LED-Lichtern geschmückt
Der Streit um die Herkunft
Sowohl Lettland als auch Estland beanspruchen es für sich, Geburtsland des Weihnachtsbaumes zu sein. Lettland führt seine Weihnachtsbaumtraditionen zurück ins Jahr 1510, als die Bruderschaft der Schwarzhäupter, in der sich zumeist deutschstämmige Kaufleute versammelten, einen Baum durch Riga trug, ihn schmückte und später niederbrannte. Estland hingegen will früher dran gewesen sein: ein ähnlicher Akt soll sich auch in der estnischen Hauptstadt Tallinn zutragen haben – und zwar bereits 1441.
Das Bild eines Weihnachtsmarktes in Estlands Hauptstadt Tallinn zeigt einen stolzen Weihnachtsbaum. Sowohl Lettland als auch Estland sehen sich als Geburtsort des Weihnachtsbaums – Historiker zweifeln beides an.
Ein Weihnachtsbaum vor der Peterskirche in Riga, Lettland.
Historiker haben unterdessen Zweifel an beiden Theorien. So sagte Gustavs Strenga von der Nationalbibliothek Lettlands in Riga der New York Times in einem Interview 2016, dass die Feierlichkeiten wahrscheinlich nichts mit Weihnachten zu tun gehabt hätten – weder im einen, noch im anderen Land. Den Streit der Länder legen solche Stimmen jedoch nicht bei, sie kämpfen weiter für ihr Recht, die Entstehung des Brauches jeweils für sich zu proklamieren. Auf dem Rathausplatz in Riga steht heute sogar eine Gedenktafel zu Ehren des ersten Weihnachtsbaums.
Ein Baum mit deutschen Wurzeln
Wahrscheinlicher ist es nach Angaben von Professorin Cusack, dass die Tradition vom Weihnachtsbaum, wie wir sie kennen, im 16. Jahrhundert im Elsass entstand. Heute gehört die Region bekanntermaßen zu Frankreich, damals jedoch war sie deutsches Territorium. Aus historischen Aufzeichnungen geht hervor, dass 1539 im Straßburger Dom ein Weihnachtsbaum aufgestellt wurde – und dass es in den Jahren darauf in der gesamten Region so populär wurde, einen Baum aufzustellen, dass die Stadt Freiburg 1554 sogar verbot, an Weihnachten Nadelbäume zu fällen.
Auch für die Erklärung der Bedeutung des Baumes gibt es verschiedene Überlieferungen. Einige besagen, die Weihnachtsbaumtradition sei durch den Paradiesbaum inspiriert worden, der in einem mittelalterlichen Stück über Adam und Eva als Requisite genutzt wurde, um den Garten Eden zu symbolisieren Andere glauben, der Weihnachtsbaum habe sich aus Weihnachtspyramiden entwickelt, den aufwändigen Holzkonstruktionen mit Tannenzweigen und religiösen Figuren.
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Cusack glaubt beides nicht: „Der Weihnachtsbaum sollte im Kontext des Christentums religiös neutral sein“, sagt sie. Die Tradition setzte sich nach und nach in deutschen Familien durch und entwickelte sich im Laufe der Jahre langsam zu dem, was wir heute kennen. Laut Cusack soll der protestantische Reformer Martin Luther der erste gewesen sein, der die Kerzen eines Weihnachtsbaums anzündete (das heute weit verbreitete elektrische Licht wurde ja erst lange nach ihm erfunden, nämlich 1882). Der größte Weihnachtsbaum Deutschlands (und der Welt) steht heute in Dortmund: er wurde aus 1700 Fichten gebaut und ist 45 Meter hoch.
Weihnachtsbaum-Trendsetter und ihre Early Followers
Bereits im 18. Jahrhundert, sagt Cusack, habe sich der Brauch über ganz Europa ausgebreitet: Deutsche Auswanderer nahmen diese Traditionen in andere Länder mit. So auch Königin Charlotte, gebürtige Prinzessin eines deutschen Herzogtums, die Mitte des 18. Jahrhunderts König Georg III. heiratete. Sie soll den ersten Weihnachtsbaum in das englische Königshaus gebracht haben. Zur Weihnachtsikone machte den Baum jedoch eine andere britische Queen.
Einer der zwei nationalen Weihnachtsbäume der USA steht südlich des Weißen Hauses in Washington.
Königin Victoria und ihr Ehemann Prinz Albert (ebenfalls wie Königin Charlotte deutscher Herkunft) sorgten 1848 für Aufsehen: Die Zeitung Illustrated London News druckte eine Illustration der königlichen Familie, glücklich vereint um einen geschmückten Weihnachtsbaum. Victoria war zu ihrer Zeit eine Trendsetterin, und so ging das Bild vom Christbaum um die Welt und weckte Begehrlichkeiten.
Heute wird der berühmteste Weihnachtsbaum Englands Jahr für Jahr am Londoner Trafalgar Square aufgebaut. Er ist nicht nur groß, sondern auch von großer historischer Bedeutung: Seit 1947 schenkt Norwegen Großbritannien jedes Jahr eine Fichte, um sich für das Bündnis während des Zweiten Weltkriegs zu bedanken. Als die Deutschen in Norwegen einfielen, fand die norwegische Regierung Zuflucht in Großbritannien.
Lichterzeremonien in den USA
Wahrscheinlich im späten 18. Jahrhundert erreichte Deutschlands Weihnachtsbaumtradition auch die USA: als sich hessische Truppen den Briten anschlossen, um im Unabhängigkeitskrieg zu kämpfen. In den folgenden Jahren brachten deutsche Einwanderer die Tradition mit über den Atlantik, und im Laufe der Zeit, so schreibt der Historiker Penne Restad, wurden sie "eine anziehende Faszination für andere Amerikaner".
US-amerikanische Familien adaptierten den Baum-Brauch nach 1850 weiter, vor allem, nachdem das Magazin Godey's Lady's Book die Weihnachtsszene der königlichen Familie aus Illustrated London News erneut veröffentlichte – jedoch in amerikanisierter Version: Das Magazin hatte Victorias Krone und Alberts königliche Schärpe herausgeschnitten, um sie in eine Version einer amerikanischen Familie zu verwandeln.
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Heute gehört das Anschalten der Lichter der zwei beliebtesten US-Weihnachtsbäume in Washington und New York City zu den wichtigsten Ritualen des Landes, um die Weihnachtszeit einzuläuten: 1923 überwachte Präsident Calvin Coolidge die Beleuchtung des ersten Nationalen Weihnachtsbaums in Washington. Ein Jahrzehnt später, 1933, zündete New York City die Lichter des ersten Weihnachtsbaumes im Rockefeller Center an – heute ein Must-see für Touristen und New Yorker während der Weihnachtszeit.
Es gab nur eine kurze Zeit, in denen die Lichter der Bäume nicht brannten: während des Zweiten Weltkrieges, als die Städte nachts zum Luftschutz verdunkelt wurden.
Neujahrsbäume in Russland
Weihnachtsbäume haben auch in Russland eine lange Tradition. Doch die reich dekorierten Bäume, die jeden Dezember den Domplatz vor dem Kreml beleuchten, sind eigentlich nicht für Weihnachten gedacht: Es sind Neujahrsbäume, Jolka genannt, eine Tradition, die aus der Russischen Revolution hervorging.
In den 1920er Jahren startete die neu eingesetzte Sowjetregierung eine Kampagne gegen Religionen – und verbannte als „bürgerlich“ geltende Traditionen wie Weihnachten und den Weihnachtbaum. Da Weihnachtsbäume und andere christliche Bräuche also verboten waren, rief das Regime die Bürger dazu auf, stattdessen Neujahr zu feiern.
1935 jedoch veröffentlichte Pavel Postyshev, hochrangiger sowjetischer Beamter, einen Zeitungsartikel, in dem stand, dass Familien den Neujahrstag mit „Tannen feiern sollen, die mit bunten Lichtern funkeln". Während Weihnachten in den 1990er Jahren mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schließlich nach Russland zurückkehrte, ist der Neujahrsbaum Tradition geblieben.
Der Altmetall-Baum der Antarktis
Sogar die Antarktis hat ihre ganz eigene Weihnachtsbaumtradition – obwohl es am Südpol keine Bäume gibt. 1946 feierten Besatzungsmitglieder an Bord einer Expedition der US-Marine Weihnachten auf See, indem sie eine Fichte aus Kanada an ihren Mast banden. Mehr als ein halbes Jahrhundert später schufen Forscher der US-amerikanischen Südpolstation Amundsen-Scott einen Weihnachtsbaum aus Altmetall mit extra angefertigten Ornamenten.
Doch obwohl die Tradition lange fortgesetzt wurde, und jedes Jahr neue Eisenteile als Verzierung dazukamen, ist der „Schrottbaum“ nach Angaben der National Science Foundation heute nicht mehr Teil der Weihnachtsfeierlichkeiten in der Antarktis-Forschungsstation.
Griechenlands Weihnachtsschiff
Auf dem Syntagma-Platz in Athen, Griechenland, steht zur Weihnachtszeit nicht nur ein Baum, sondern auch ein mit Lichtern dekoriertes Schiff.
In Griechenland schmückten die Menschen für eine lange Zeit eher Weihnachtsboote als -bäume zu Ehren des Heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Seeleute. Familien stellten kleine Holzboote in ihrem Zuhause auf, als Symbol für die sichere Rückkehr der Seefahrer. Auch auf öffentlichen Plätzen in Städten wie Thessaloniki lassen sich größere Konstruktionen dieser nautischen Weihnachtsdekorationen finden.
Doch auch, wenn das Weihnachtsboot immer noch präsent ist – der Weihnachtsbaum ist heute auch in Griechenland die verbreitetere Tradition.
Plünderungen in Skandinavien
Seit dem 17. Jahrhundert bereits verbringen Familien in Skandinavien einen Festtag damit, die Süßigkeiten vom Baum zu plündern. Aus der Ikea-Werbung ist der Tag des heiligen Knut vielen hierzulande geläufig: Er wird am 13. Januar begangen und ist nach Knut IV. dem Heiligen, König von Dänemark benannt, der im 11. Jahrhundert regierte. Der Feiertag wird vor allem in Schweden gefeiert und gilt als der 20. und letzte Weihnachtstag. In den meisten anderen Ländern ist die Weihnachtszeit deutlich kürzer und endet am 6. Januar.
Um den St. Knut-Tag zu feiern, fallen Kinder über die Leckereien, die an den Bäumen aufgehängt sind, her. Sobald eine Familie den Baum von seinen Verzierungen befreit hat, singen sie fröhliche Lieder, während sie ihn feierlich vor die Tür werfen. (In Norwegen wird der Baum zerhackt und stattdessen in den Kamin geworfen.)
Die Traditionen des St. Knut-Tages sind in Schweden nicht mehr allzu verbreitet. Trotzdem, sagte der schwedische Ethnologe Bengt af Klintberg 2015 der Nachrichtenagentur TT, leben sie weiter: in den Gedichten und Reimen des Landes.
Tió de Nadal, ein ehemals weitverbreiteter Weihnachtsbrauch in Katalonien, wartet auf einem Weihnachtsmarkt in Barcelona, Spanien, auf den Verkauf.
Kataloniens kackender Baumstamm
Eine etwas andere Art von Weihnachtsbaum ist der katalanische Tió de Nadal, ein hohler Baumstamm mit aufgemaltem Gesicht, den Familien im Dezember in ihren Häusern aufbauen. Die Kinder sollen sich in den Wochen vor Weihnachten um den Tió (Baumstamm) kümmern: ihn in eine rote Decke wickeln und ihm Essen und Trinken hinstellen. Am Weihnachtstag dann schlagen sie den Baumstamm mit Stöcken, damit er Geschenke und Leckereien aus seinem unteren Ende ausscheidet – warum genau, das weiß keiner.
Vermutet wird, dass diese ungewöhnliche Tradition sich aus einem heidnischen Ritual entwickelt haben könnte, bei dem Menschen Baumstämme in Brand setzen, um sich im Winter warm zu halten. Aber warum „kackt“ (katalanisch: „cagar") der Baumstamm seine Schätze? Cusack sagt, dass dies möglicherweise mit dem Caganer zusammenhängt, einer eigenwilligen Figur der katalanischen Krippe: er hat die Hosen hinuntergezogen und erleichtert sich, während Jesus auf die Welt kommt. „Er steht dafür, dass zu bestimmten Zeiten die Armen oder Entrechteten gefeiert und die Erhabenen erniedrigt werden“, erklärt Cusack. „Die Idee ist, dass der Kot die Erde befruchtet – der Caganer verkörpert bürgerliche Tugenden.“
Die tiefen Ursprünge dieses katalanischen Rituals bleiben rätselhaft – und so könnte dieser Brauch, ähnlich wie andere Weihnachtsbaumgeschichten, mit der Zeit verloren gehen. Dass uns jedoch der Weihnachtsbaum noch lange Zeit erhalten bleibt, davon kann man ausgehen.
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