Reise in ein Imperium, das es nicht mehr gibt
Das Osmanische Reich war riesig – und ab dem 16. Jahrhundert ein beliebtes Reiseziel für Europäer. Eine Bilddatenbank macht ihre historischen Urlaubsbilder nun zugänglich.

Auf den Straßen von Bagdad: Als der Forschungsreisende im frühen 19. Jahrhundert in die Stadt kam, waren die Perser an der Macht. Kurz nach Veröffentlichung seines Reiseberichts im Jahr 1927 übernahmen die Osmanen wieder die Kontrolle. Heute ist Bagdad die Hauptstadt des Irak.
Fremde Kulturen, Klänge und Gerüche: Wer sich auf eine Reise an die Nordküste Afrikas, ans Schwarze oder Rote Meer begibt, macht sich auf den Weg in eine andere Welt. Das gilt nicht nur für heutige Touristen, die zum Urlauben in die Türkei, nach Ägypten oder Saudi-Arabien fliegen, sondern auch für die Reisenden vergangener Jahrhunderte, die aufbrachen, um eines der größten und beständigsten Imperien der Menschheitsgeschichte zu erkunden: das Osmanische Reich.
Gegründet im Jahr 1299 von Osman I. existierte das Imperium über 600 Jahre. 1922 wurde es, nach der Gründung der modernen Türkei und Jahren der Gebietsverluste, inneren Konflikte und militärischen Niederlagen, aufgelöst. In seiner Blütezeit im 16. und 17. Jahrhundert war es unter der Herrschaft von Sultan Süleyman dem Prächtigen auf eine enorme Größe angewachsen und erstreckte sich über weite Teile Europas, Asiens und Nordafrikas.
Galerie: Sightseeing im Osmanischen Reich

In der Neuzeit war das Osmanische Reich bei europäischen Reisenden eine äußerst beliebte Destination. Davon zeugen eine Vielzahl von Reiseberichten, die im Rahmen des Projekts Ottoman Nature in Travelogues (ONiT) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, des AIT Austrian Institute of Technology und der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) nun für eine Online-Datenbank aufbereitet wurden. Sie umfasst 22.000 Bilder aus rund 2.000 Reiseberichten, die zwischen 1501 und 1850 gedruckt wurden und in der ÖNB erhalten sind.
Zu Fuß auf Bildungsurlaub: Als Reisen Abenteuer war
Die Gründe für Reisen in die exotische Fremde waren vielfältig. Während manche kamen, um medizinische Behandlungen in Anspruch zu nehmen, Pandemien und militärischen Angriffen zu entgehen oder Feste zu besuchen, unternahmen andere Forschungsreisen, um mehr über das Kulturgut und die Tier- und Pflanzenwelt des Imperiums zu erfahren.


Land und Leute: Der französische Maler Antoine-Laurent Castellan ließ sich von den Trachten der Bewohner der griechischen Insel Zakynthos im Ionischen Meer inspirieren.
Richard Tully, britischer Konsul im damals lybischen Tripoli, war vom ägyptischen Puppentheater fasziniert.
„Oftmals überlagerten sich mehrere Ursachen, die meist in religiösen, militärischen, wirtschaftlichen, politischen, gesundheitlichen, touristischen oder amourösen Intentionen wurzelten oder durch Bildungsinteresse und Neugierde angetrieben wurden“, sagt Doris Gruber, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der ÖAW, die maßgeblich an ONiT mitgewirkt hat.
„Die Reisedauer variierte sehr stark und reichte von wenigen Tagen und Wochen bis hin zu nahezu lebenslangen Unternehmungen“, so Gruber. Urlaubsflieger und Pauschalreisen gab es in der Neuzeit noch nicht. „Die wichtigsten Reisemittel waren lange Zeit die eigenen zwei Beine, Kutschen, Schiffe und Lastentiere wie Pferde, Esel und Kamele.“ Mit dem allmählichen Aufkommen neuer Transportmittel – von Fahrrad über Eisenbahn und Dampfschiff bis hin zu Heißluftballon und Automobil – wurde das Reisen leichter und billiger und für mehr Menschen erschwinglich.


Was bleibt, was geht: Die Kathedrale Hagia Sophia – hier Stich aus einem Reisebericht über Konstantinopel aus dem Jahr 1680 – zieht bis heute Istanbul-Touristen an.
Im Gegenzug dazu hat der Krieg in Syrien die historischen Bauten Aleppos – Abbildung veröffentlicht 1825 – größtenteils zerstört.
Das führte laut Gruber dazu, dass Menschen zunehmend auch Reisen zum Vergnügen und zur Erholung unternahmen, und in den 1780er-Jahren in Großbritannien der Begriff ,Tourismus‘ geprägt wurde. Es hatte auch zur Folge, dass die Hintergründe der Reiseberichtsautor*innen vielfältiger wurden. „In der Zeit von etwa 1450 bis 1600 wurden die meisten bekannten Reiseberichte von Männern der Oberschicht wie Adligen, Diplomaten, Offizieren, Gelehrten, Kaufleuten, dem höheren Klerus oder ihren Bediensteten verfasst“, sagt sie. Später schrieben dann auch Menschen aus niedrigeren gesellschaftlichen Schichten ihre Erlebnisse auf. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen außerdem Reiseberichte aus der Feder von Frauen, was Gruber zufolge einen großen Anteil daran hatte, dass die männlichen Fantasien vom osmanischen Harem dekonstruiert wurden.
Kupferstich statt digitales Urlaubsfoto
Während man heute einfach sein Smartphone zückt, um Sehenswürdigkeiten zu fotografieren und später den Daheimgebliebenen zu zeigen, war die Erstellung von Bildern in der damaligen Zeit um einiges aufwendiger. Manche Reisende waren begabt genug, um selbst Skizzen anzufertigen, viele aber ließen Illustrationen für ihre Berichte erst nach ihrer Rückkehr auf Basis ihrer Erzählungen anfertigen. „Bei Expeditionen oder Gesandtschaften sind öfters Künstler*innen zur bildlichen Dokumentation mitgereist“, sagt Gruber. „Vielfach entstanden die Bilder aber erst im Nachhinein oder wurden aus arbeitsökonomischen Gründen aus vorangehenden Reiseberichten wiederverwendet.“
Dieses Recycling erkläre, warum in den Berichten auch immer mal wieder Bilder auftauchen, die „falsche“ Inhalte zeigen. Landschaften, die nicht den korrekten Orten zugeordnet sind, und Tiere mit falscher Bezeichnung. „Ein Beispiel aus unserem Korpus beschreibt zum Beispiel eine Hyäne, zu sehen ist aber ein Ginsterkätzchen“, so Gruber.

Zu Fuß, mit dem Esel oder später auch mit dem Heißluftballon erkundeten die Reisenden auch entlegene Orte, zum Beispiel die Region Gerger in Südostanatolien. Hier, direkt am Euphrattal, thront auf einem Hügel eine Burg aus der römischen Zeit, die bis heute erhalten ist. Dieser Stich erschien 1842 in dem Buch Travels and researches in Asia minor, Mesopotamia, Chaldea, and Armenia.
Doch ein falsches Bild war trotzdem besser als gar keins. „Bilder dürften generell den Anspruch eines Reiseberichts auf Authentizität befördert haben“, sagt Gruber. Und in derselben Weise, wie Internetbilder uns heutzutage Lust auf unser nächstes Reiseziel machen, haben die Stiche und Zeichnungen der historischen Reiseberichte zu ihrer Zeit wohl so manchen dazu inspiriert, den Koffer zu packen und das Osmanische Reich selbst zu erkunden.
Zeitreise mit dem ONiT-Explorer
Wer neugierig geworden ist, was sie dort erlebt und gesehen haben, kann sich mit dem ONiT-Explorer auf eine Zeitreise begeben und auf ihren Spuren wandeln. „Das bestmögliche Erlebnis ist sicherlich davon abhängig, wer den ONiT nutzt und zu welchem Zweck“, sagt Gruber. „Für eine erste Sondierung ist der beste Zugang, sich einfach von dem eigenen Interesse treiben zu lassen.“
Der Explorer lässt sich mit Schlagwörtern durchsuchen, es gibt aber auch die Möglichkeit, Bilder hochzuladen, die mit dem Archiv abgeglichen werden. Über die vorgeschlagenen Suchergebnisse hat man dann die Möglichkeit, die digitalisierten Reiseberichte aufzurufen, zu lesen und in eine Welt einzutauchen, die es so heute nicht mehr gibt.
