Sterbende Sounds: Ein Museum für bedrohte Geräusche
Auch Geräusche können aussterben. Zwei Soundtüftler aus Essen sammeln ikonische Klänge aus früheren Zeiten in einem Online-Museum. Wie klingen Bandsalat und Kaugummi-Automat?

Fernsprechtischapparat: So lautete die offizielle Bezeichnung der Bundespost-Telefone bis in die 1980er-Jahre.
Zuerst piepste und knarzte es – bis nach einem langen, dumpfen Rauschen endlich die Gewissheit folgte: „Ich bin online.“ Wer in den 90er-Jahren im Internet surfen wollte, musste sich erstmal per Modem über die Telefonleitung einwählen.
Der Sound des 56-k-Modems hat eine ganze Generation begleitet. Heute ist er aus unserem Alltag verschwunden. Doch im kollektiven Gedächtnis hallt er nach. So wie viele andere Geräusche, die es inzwischen kaum noch oder gar nicht mehr gibt. Das Surren einer Telefonwählscheibe etwa, das Rattern eines Diaprojektors oder der röhrende Zweizylinder-Boxermotor eines Citroën 2CV.
Jan Derksen und Daniel Chun haben sich vorgenommen, solche ikonischen Sounds zu bewahren. Die beiden Freunde und Geschäftspartner betreiben ein audiovisuelles Archiv für aussterbende Geräusche. Conserve the sound ist ein frei zugängliches Museum im Internet.
Ratschende Pocketkameras, hämmernde Schreibmaschinen
„Geräusche gehören zum Kulturgut dazu“, sagt Jan beim virtuellen Museumsrundgang. Mehr als 120 Sounds haben die zwei Diplom-Designer bereits gesammelt und mit Fotos und Erklärtexten auf ihre Website geladen. Oft handelt es sich um Geräte, die vor einigen Jahrzehnten noch High-End waren, inzwischen aber fast vergessen sind.
Da ist zum Beispiel dieser vertraute Retro-Sound einer alten Spielekonsole. Oder das eindringliche Hämmern einer elektrischen Schreibmaschine. Oder das Ratschen einer Pocketkamera aus den 70ern. Wir klicken uns weiter durch das digitale Archiv. Die Fensterkurbel eines altes Opels kratzt, ein Kaugummi-Automat scheppert, knisternder Bandsalat einer Toncassette weckt Albträume der eigenen Jugend.
Geräusche wie diese sind wie eine Zeitreise. „Wir sind aber keine Nostalgiker, die sich die alten Zeiten zurückwünschen“, sagt Jan. Vielmehr gehe es ihnen darum, die „akustische Evolution der Dinge“ erlebbar zu machen. Jan verweist auf die schnelllebige Industriegesellschaft, auf immer kürzere Produktlebenszyklen. Klanglandschaften seien immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Conserve the sound soll deshalb ein multimedialer Ort der Erinnerungskultur sein.

Die Macher von Conserve the sound: Daniel Chun (links) und Jan Derksen.
Rote Liste der bedrohten Geräusche
Hauptberuflich haben Jan und Daniel eine Filmproduktionsfirma in Essen. Bild und Ton spielen also eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Vor fast 15 Jahren kamen sie dann auf die Idee, ein digitales Museum zu gründen.
Seitdem ist ihre Rote Liste der bedrohten Geräusche immer weitergewachsen. Manche Exponate stammen aus dem eigenen Fundus, andere aus Kellern von Freunden und Bekannten, von Flohmärkten oder aus Ausstellungen und Archiven. Auch andere soundbegeisterte Menschen kommen auf Conserve the sound in Videointerviews zu Wort.
Nach Angaben der beiden Soundretter klicken sich jährlich bis zu 200.000 User durch die digitale Sammlung. Conserve the sound wurde unter anderem mit dem Deutschen Kulturförderpreis ausgezeichnet.
Puzzleteile der Vergangenheit
Museen sind Orte der Erinnerung, voller Puzzleteile der Vergangenheit. Sie bewahren das Gewesene und machen es erlebbar. Seit jeher verewigt die Menschheit ihre kulturelle Vielfalt in Stein, Bild und Schrift. Geräusche konservieren, das können wir erst seit etwa 150 Jahren. Die älteste Tonaufnahme stammt aus dem Jahr 1860.
Und wer weiß: Womöglich wird aus dem virtuellen Archiv eines Tages ein reales Museum aus echten vier Wänden. „Das ist der große Traum“, verrät Jan.
Einige Exponate und Aufnahmen vergessener Geräusche von Conserve the sound sind derzeit im Stadtmuseum von Heppenheim in Hessen ausgestellt.
