
Spannende Entdeckung in Abydos: Das Grab des namenlosen Pharaos
In der archäologischen Stätte von Abydos haben ägyptische und US-amerikanische Archäolog*innen in sechs Metern Tiefe das Grab eines bislang unbekannten Pharaos entdeckt.
Im März 2024, kurz nachdem die ursprüngliche Grabstätte von Thutmosis II. entdeckt worden war, hatte die ägyptische Altertumsbehörde erneut den Fund eines etwa 3.600 Jahre alten Pharaonengrabs zu verkünden. Es wurde in der Nähe der archäologischen Stätte Abydos gefunden. Diese befindet sich am Rand der Wüste westlich des Nils, rund 32 Kilometer von der heutigen Stadt Luxor im Süden Ägyptens entfernt.
Welcher Herrscher einst in dem Grab bestattet wurde, ist unbekannt. Ebenso fehlen Hinweise darauf, welcher Dynastie er angehört haben könnte.
„Zu dieser Zeit war Ägypten in mehrere, miteinander rivalisierende Königreiche zersplittert“, sagt Grabungsleiter Joe Wegner, Ägyptologe an der University of Pennsylvania in Philadelphia. „Es gab damals viele Konflikte und Unruhen.“
Ausgrabungen am Anubis-Berg
Der moderne Name Abydos entstand aus der griechischen Version des eigentlichen ägyptischen Namens Abedju. Die Stadt war eine der ältesten Ägyptens und Zentrum des Osiris-Kults, der verschiedene ägyptische Glaubensströmungen zu Tod, Wiederauferstehung und Herrschertum vereinte.

Die Größe der 3.600 Jahre alten Grabkammer aus Kalkstein legt nahe, dass sie für einen König gebaut wurde. Dieser gehörte vermutlich einer „verlorenen“ Dynastie an, die einst in Abydos herrschte.
Um 1839 v. Chr. wurde in der Nähe von Abydos eine königliche Nekropole – also Totenstadt – angelegt. Unter anderem war in ihr der mächtige Pharao Sesostris III. aus der 12. Dynastie bestattet. Freigelegt wurde seine Grabkammer in den Jahren 1901 und 1902, doch nur wenige Jahre später endeten die Grabungen und der Wüstensand holte sich die Stätte zurück.
Mitte der Neunzigerjahre kam Wegners Team zum sogenannten Anubis-Berg und startete eine neue Grabungsphase. Dabei erforschte es nicht nur Sesostris Grab, sondern entdeckte auch die Grabkammern mehrerer „verlorener“ Könige. Sie alle stammten aus derselben Dynastie, die einst über Abydos geherrscht hatte. Ihre Grabstätten waren laut Wegner in der letzten Phase der Nekropole, ungefähr zwischen 1650 und 1550 v. Chr., gebaut worden.
Düstere Phase der ägyptischen Geschichte
Es war das Ende der Zweiten Zwischenzeit – einer Wegner zufolge „äußerst düstere Periode“ der ägyptischen Geschichte –, in der viele Pharaonen nach der Machtübernahme nur wenige Jahre überlebten.
Über die Region des Nildeltas und den größten Teil des Nordens Ägyptens herrschten zu jener Zeit die Hyksos, eine Gruppe ausländischer Könige aus dem Osten. Der Süden war in den Händen der Pharaonen der antiken Stadt Theben, dem Zentrum der Anbetung des Schöpfergottes Amun.
Über die „verlorenen“ Könige, die damals die Herrschaft über Abydos hatten, ist jedoch nur wenig überliefert. Es scheint so, als sei der einzige Pharao aus der Dynastie, dessen Regentschaft in der Liste der altägyptischen Könige dokumentiert wurde, Senebkay, dessen Grabkammer Wegner und sein Team im Jahr 2014 freilegten.
Beeindruckende, leere Grabkammer
Das neuentdeckte Grab in Abydos ist etwas älter als das von Senebkay. Möglicherweise war darin einer seiner Vorfahren bestattet worden, wobei der Titel des Pharaos nicht zwangsläufig vom Vater an den Sohn vererbt wurde.
Das in den Felsen eingelassene Bauwerk befindet sich heute unter einer rund sechs Meter dicken Sandschicht. Seine Wände sind aus Kalkstein, die gewölbte Decke besteht aus Lehmziegeln. Menschliche Überreste wurden darin nicht gefunden, so dass keine DNA vorhanden ist, die man untersuchen könnte.
Doch die Lage der Grabkammer, ihre Größe und die Hieroglyphen im Putz des Eingangsbereichs verraten, dass es sich bei ihr um die letzte Ruhestätte eines Pharaos handelt. Mit den Inschriften werden die Göttinnen Isis und Nephthys angerufen, der Name des Königs, dessen Körper hier bestattet wurde, kann laut Wegner jedoch nicht entziffert werden. Weil die Grabkammer aber deutlich größer ist als die von Senebkay, gehen die Forschenden davon aus, dass er einer der Gründer der Dynastie gewesen sein muss.

Bis Ende des Jahres 2025 sollen die Grabungen in der königlichen Nekropole von Abydos weitergehen. Gleichzeitig werden Maßnahmen ergriffen, um ihre Bauwerke für die Nachwelt zu erhalten.
Leider wurde das Grab bereits umfassend geplündert. Grabbeigaben waren ebenso wenig vorhanden wie der Sarkophag oder die Überreste der Mumie. Doch was das Grabungsteam noch finden konnte, gibt einen Hinweis auf die einstige Pracht der Kammer.
„Für diese Zeit in der ägyptischen Geschichte dürfte die Bestattung äußerst üppig ausgefallen sein“, sagt Wegner. „Die Architektur der Kammer ist ziemlich beeindruckend, darum gehe ich davon aus, dass sie schon früh Grabräuber angezogen hat und möglicherweise mehrmals geplündert wurde.“
Rätselhafte Dynastie
Laut Anna-Latifa Moudrad-Cizek, Historikerin und Archäologin von der University of Chicago, die nicht an der Ausgrabung beteiligt war, können die Grabstätte und ihre Verzierungen dabei helfen, die Bestattungspraxis „in diesem sehr alten, heiligen Friedhof“ besser zu verstehen – und ebenso die Zweite Zwischenzeit.
„Die Entdeckung ist von größter Bedeutung“, sagt sie. „Sie ergänzt die äußerst begrenzten Informationen, die wir über die Herrscher in dieser Region in einer faszinierenden Periode haben, in der Ägypten von konkurrierenden Mächten kontrolliert wurde.“
Die Zweite Zwischenzeit endete um 1550 v. Chr., einige Generationen, nachdem der namenlose Pharao bestattet wurde, möglicherweise kurz nach der Herrschaft Senebkays. Den Schlussstrich markieren die Vertreibung der Hyksos und die Vereinigung Ägyptens unter Pharao Ahmose I. aus der 18. Dynastie. Er gilt als Begründer des Neuen Reichs – einem fast 500 Jahre dauernden Zeitalter, in dem Ägypten eine Blütezeit erlebte.
Um die Entstehung des Neuen Reichs zu verstehen, ist es laut Wegner wesentlich, mehr darüber zu erfahren, wie Ägypten durch die Konflikte und Zersplitterung der Zweiten Zwischenzeit gekommen ist. „Diese Periode war die Grundlage für das, was danach kam“, sagt er. „Jede neue Entdeckung ist ein weiteres Teil in diesem Puzzle.“

Die königliche Nekropole von Abydos trägt auch den Namen Anubis-Berg. Ziel der Archäolog*innen ist es, hier mehr als 9.000 Quadratmeter Wüstenfläche nach Grabstätten zu durchsuchen.
Wegner hofft, dass der jüngste Fund sein Team auf die Spur weiterer Gräber früher Pharaonen der „verlorenen“ Abydos-Dynastie bringen wird. „Wir sind uns sicher, dass noch mehr dieser Grabkammern existieren“, sagt er. „Die bisher gefundenen Gräber scheinen zu zwei großen Clustern zu gehören – und dieses neue ist Teil des älteren Clusters.“
Nekropolen: Schlüssel zur Vergangenheit
Der Ägyptologe Nicholas Brown von der Yale University, der an den Ausgrabungen nicht mitgewirkt hat, betont Ähnlichkeiten des Fundes mit der Entdeckung der Grabkammer von Pharao Thutmosis II. im Tal der Könige Anfang 2025. Zuletzt wurde in der Stätte im Jahr 1922 ein Königsgrab gefunden – das von Tutanchamun.
Laut Brown ist die Nekropole von Abydos vermutlich ein Vorläufer des Tals der Könige, das in einer frühen Phase des Neuen Reichs seine Anfänge hat. „Es gibt dieses sich durch die gesamte ägyptische Geschichte ziehende Muster von Königsfamilien, die ihre eigenen, heiligen Bestattungsstätten begründen.“
Derzeit leitet der Archäologe Ausgrabungen in am Ufer des Nils gelegenen Deir el-Ballas, auf halbem Weg zwischen Abydos und Luxor. An diesem Ort starteten die Könige Thebens einige ihrer Feldzüge gegen die Hyksos im Norden. „Es wird sehr interessant werden, herauszufinden, wie das, was wir dort finden, in unsere Vorstellung von der damaligen Zeit und den unterschiedlichen Herrscherhäusern passt“, sagt er.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
