„Seid Menschen“: Wer war Margot Friedländer?
Die deutsche Holocaust-Überlebende war unermüdlich als Zeitzeugin im Einsatz. Sie klärte über die NS-Verbrechen auf, warnte vor den Folgen von Hass und Hetze und setzte sich für Demokratie und Menschlichkeit ein. Das ist ihre Geschichte.

Margot Friedländer mit der Bernsteinkette ihrer Mutter, die im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet wurde.
Wenn man an Margot Friedländer denkt, kann man eines mit Sicherheit sagen: Sie war, als sie im Alter von 103 Jahren starb, der älteste Star Deutschlands – und sicherlich auch der sympathischste. Menschen machten Selfies mit ihr, man sah sie sogar auf dem Cover der Vogue. Und wo sie auftauchte, waren die Menschen begeistert.
Berühmtheit erlangte Friedländer aber nicht durch Kunst oder ihr Aussehen, sondern durch ihre starke Stimme, mit der sie laut und immer wieder für die Menschlichkeit eintrat: Bis zu ihrem letzten Lebenstag, am 9. Mai 2025, hat die Holocaust-Überlebende als eine der letzten Zeitzeuginnen unermüdlich vor den Folgen des Nationalsozialismus gewarnt und über dessen Verbrechen aufgeklärt. Sie setzte sich für eine starke Demokratie und Toleranz ein und sprach sich gegen Ausgrenzung, Antisemitismus und Rassismus aus. Dafür erhielt sie unzählige Auszeichnungen. Wer war die Frau, deren Appell „Seid Menschen“ landesweit bekannt ist?
Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten
Margot Friedländer wird 1921 als Anni Margot Bendheim in Berlin geboren. Sie hat einen vier Jahre jüngeren Bruder, die Familie ist jüdisch. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 versuchen die Bendheims mehrmals auszuwandern, doch ohne Erfolg. 1937 trennen sich die Eltern, der Vater flüchtet nach Frankreich und wird 1942 in das Konzentrationslager (KZ) Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. Die junge Margot und ihr Bruder wohnen fortan bei der Mutter in Berlin. Mit 16 Jahren beginnt Margot eine Lehre zur Schneiderin, kann diese allerdings nicht abschließen, weil für Jüdinnen und Juden ein Arbeitsverbot verhängt wird.
1943 plant die kleine Familie ihre Flucht zu Verwandten nach Oberschlesien. Bevor es jedoch dazu kommt, wird Margots Bruder Ralph von der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei der Nationalsozialisten, verhaftet. Daraufhin stellt sich auch die Mutter der Polizei. Margot selbst entgeht der Verhaftung nur durch Zufall. Von den Nachbarn erhält sie ein Adressbuch der Mutter, eine Bernsteinkette und eine mündliche Nachricht, die sie dort vor ihrer Verhaftung für ihre Tochter hinterlassen hat. „Versuche, dein Leben zu machen“, lautet der Satz der Mutter, der später zum Buchtitel von Margot Friedländers Autobiografie werden wird. Auch ihre Mutter und ihr Bruder werden nach Auschwitz-Birkenau deportiert, beide werden in den Gaskammern getötet.
Ohne Familie taucht die 22-Jährige Margot schließlich in Berlin unter. Tausende Jüdinnen und Juden werden in dieser Zeit in ihren Verstecken aufgespürt und in Sammel- und Vernichtungslager gebracht. Die Gedanken, die sich die junge Frau zu diesem Zeitpunkt macht, hat sie später in einem Interview für das Dokudrama Ich bin! Margot Friedländer zusammengefasst: „Ich bin doch jung. Ich habe doch noch nicht gelebt. Ich möchte leben.“
Konzentrationslager Theresienstadt und Exil in New York
15 Monate lang schafft es die junge Margot, nicht entdeckt zu werden. Im April 1944 gerät sie bei einer Ausweiskontrolle dann in die Hände von sogenannten ‚Greifern‘, ein ‚Juden-Fahndungsdienst‘ der Gestapo. Sie wird festgenommen, in ein Sammellager gebracht und im Juni 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert. Dort trifft sie auf einen ehemaligen Kollegen, den sie von der Arbeit beim Jüdischen Kulturbund kennt: Adolf Friedländer. Durch Glück überleben die beiden. Nach der Befreiung des KZ im Mai 1945 heiraten sie und emigrieren in die USA.

Der Stolperstein von Margot Bendheim in Berlin-Kreuzberg erinnert an ihre Deportation nach Theresienstadt 1944.
In New York baut sich das Ehepaar Friedländer ein neues Leben auf. Nach dem Tod ihres Mannes beginnt Margot Friedländer, autobiografisch zu schreiben. In ihren Geschichten berichtet sie vom Holocaust und ihren persönlichen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs. Einige ihrer Erzählungen, darunter ihre Autobiografie, werden publiziert.
Rückkehr nach Deutschland und Arbeit als Zeitzeugin
Nach mehreren Besuchen in ihrer Heimatstadt Berlin kehrt die 88-jährige Margot Friedländer im Jahr 2010 nach Deutschland zurück. Als Zeitzeugin engagiert sie sich seitdem für Aufklärung und Erinnerung an den Holocaust – besonders bei jungen Menschen. Sie tritt vor Schulklassen auf, hält Reden und gründet eine Stiftung. Für ihre Arbeit erhält sie mehrere Auszeichnungen, darunter die Ehrendoktorwürde, Bundesverdienstkreuze verschiedener Art und die Ehrenbürgerschaft Berlins. Am 9. Mai 2025 stirbt die Holocaust-Überlebende im Alter von 103 Jahren.
„Margot Friedländer schilderte ihren Überlebenskampf in der NS-Diktatur mit großem persönlichem Einsatz und setzte sich unermüdlich für Toleranz und Menschlichkeit sowie gegen Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus ein“, heißt es im Nachruf der Margot Friedländer Stiftung. Am 15. Mai 2025 wird Margot Friedländer auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee beigesetzt.
