Expedition zum Everest: Ein Interview mit der einzigen deutschen Teilnehmerin Inka Koch

Die deutsche Gletscherhydrologin Inka Koch hat mit ihrem Team mehr als 100 Schnee- und Wasserproben auf dem Everest und in der gesamten Khumbu-Region gesammelt. Im Interview erzählt sie über die Ergebnisse der Expedition und ihre persönlichen Erfahrungen.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 26. Juni 2020, 09:41 MESZ
Expedition Everest Inka Koch

2019 reiste ein 34-köpfiges Forscherteam zum Everest, um Eis- und Schneeproben zu entnehmen, sowie die höchste Wetterstation der Welt zu installieren, die Daten zum Klimawandel liefern soll. Die Deutsche Dr. Inka Koch war eine der Forscherinnen.

Foto von Eric Daft

Inka Koch, als Glaziologin und Hydrologin kennst Du dich mit den Wassersystemen der Erde aus. Welche Rolle spielen Berge und Gletscher für die Versorgung mit Wasserressourcen für die Menschen?

Das kommt ganz darauf an, wo die Menschen Leben. In High Mountain Asia leben zum Beispiel ein Viertel der Weltbevölkerung und die sind entweder direkt oder indirekt auf das Wasser von den Flüssen, die in den Bergen entspringen, angewiesen.  Man muss jedoch zwischen der Rolle von Bergen und Gletschern unterscheiden:  Berge spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Auslösung von Niederschlag. Die Gletscher und deren Gesundheit sind natürlich auch davon abhängig, wie viel es schneit, relevanter ist im Zusammenhang mit der Wasserversorgung aber ein jährlicher, gesunder Schmelzzyklus. Je näher die Menschen an diesen Gletschern leben, desto abhängiger sind sie von dem Schmelzwasser, vor allem in den Trockenzeiten. Im Himalaya sehen wir momentan, ein stärkeres Schmelzen der Gletscher durch die Klimaerwärmung. Das bedeutet kurzfristig, also circa über 20 Jahre, mehr Schmelzwasser. Aber da sie in dieser Zeit stärker abschmelzen als sie neues Eis durch Schneefall dazugewinnen, werden die Gletscher kleiner. Das heißt auch, dass sie dann in Zukunft nur noch weniger Schmelzwasser produzieren können.

Wann ist ein Gletscher gesund?

Wenn er sich im Gleichgewicht mit dem Klima befindet und sich mit dem Niederschlag und der Temperatur an diesem Ort so richtig wohl fühlt. Der Niederschlag nährt den Gletscher, die Temperatur bestimmt das Abschmelzen. Es braucht Zeit, bis ein Gletscher im Gleichgewicht mit dem Klima ist, denn er fließt dazu auch noch den Berg herunter und liefert somit Eis in wärmere Zonen nach. Per Definition ist ein Gletscher eine Eismasse, die den Berghang herunter fließt. Momentan gleichen sich die Gletscher an das wärmere Klima an. Jetzt schmilzt mehr Masse ab. In einigen Jahrzehnten wird weniger Masse da sein und damit auch weniger Schmelzwasser produziert werden. Ein Problem für die Wasserversorgung in Trockenzeiten.

Wie gesund ist der Gletscher auf dem Everest?

Die National Geographic and Rolex Perpetual Planet Everest Expedition auf dem sogenannten Khumbu Gletscher hat gezeigt, dass er auf der Höhe nahe des Camp II noch mehr schmilzt als wir angenommen hatten. Allerdings müssen wir noch berechnen, wie viel des Schmelzwassers auf über 6000 m wieder gefriert und wieviel abfließt und sich somit negativ auf die Masse des ganzen Gletschers auswirkt. Der Khumbu Gletscher wird vielleicht schneller abschmelzen als aktuelle Projektionen annehmen. Unsere Messungen helfen, genauere Projektionen für die Zukunft zu machen. Momentan gibt es noch kein klares Bild in der Wissenschaft. Es erfordert extremen Aufwand, Messungen auf der Höhe zu machen, weshalb es noch wenige Daten gibt. Hinzu kommt noch eine Besonderheit des Khumbu Gletschers: In den unteren Bereichen, nahe des Basecamps, wird er von einer Gerölldecke überlagert. Da das Gestein des Himalaya sehr jung ist und die Berge somit sehr hoch und steil, wird es stark abgetragen, erodiert also stark. Je nach Dicke der Geröllschicht beschleunigt oder verlangsamt diese das Abschmelzen.

Mit einem Spektroradiometer misst Inka die eingehenden Sonnenstrahlen auf dem Khumbu Gletscher. Aus dem Verhältnis der reflektierten und eingehenden Sonnenstrahlen wird dann die Albedo des Schnees berechnet.

Foto von Mark Fisher

Du hast Schneeproben vom Everest und der Region gesammelt, um die genaue chemische Zusammensetzung der natürlichen Wasservorräte zu erforschen. Was sollen die Ergebnisse zeigen?

Wir wollten erforschen wie hoch die Verschmutzung durch Ruß im Hochgebirge ist. Die kleinen schwarzen Partikel entstehen aufgrund unvollständiger Verbrennung von fossilen und biogenen Ressourcen. Sie absorbieren die Sonnenstrahlen sehr stark, und sind in der Atmosphäre der stärkste Klimatreiber nach CO2. Auf dem weißen Schnee und Eis tragen sie zu einem schnelleren Abschmelzen bei. Deshalb haben wir Schneeproben genommen und die Albedo gemessen - die Reflektion der Sonnenstrahlen an der Oberfläche. Je schmutziger der Schnee, desto schneller schmilzt er. Eine dunklere Erdoberfläche ohne Schnee absorbiert mehr Sonnenstrahlen und das trägt weiter zur Erwärmung der Erdoberfläche bei. Wir sollten also alle unsere Dächer weiß streichen und das ist kein Scherz.

Wie kann Deine Forschung auf dem Everest den Blick auf den Planeten verändern?

Selbst auf 6800 m kommt die Verschmutzung noch an, mal mehr, mal weniger, abhängig vom Wettersystem. Doch die gute Nachricht ist, ein Rußpartikel verbleibt nicht lange in der Atmosphäre, im Schnitt eine Woche - im Gegensatz von CO2, das eine Lebensspanne von ein paar hundert Jahren hat. Was wir also heute verändern, kann sich schon in einer Woche positiv in der Atmosphäre auswirken. Einmal im Gletscher angelangt, wirkt der Ruß dort leider noch länger nach. Wir können kurzfristig Handeln. Die Menschen sind vom höchsten Berg der Welt fasziniert. Wenn wir zeigen, dass was dort geschieht nicht isoliert stattfindet, fühlen sich viele Menschen emotional angesprochen. Ich hoffe, wir können dadurch die Verhaltensweisen der Menschen verändern. Etwa, dass wir sauberen Diesel-Brennstoff verwenden oder saubere Industrien bauen. Daneben gelten im Kleinen die allgemeinen Regeln der Nachhaltigkeit: Weniger konsumieren, mehr regionale und weniger behandelte Produkte kaufen. Sauberere Luft ist auch gesünder – einer der Gründe, warum ich aus Kathmandu weggezogen bin. Wir könnten den Menschen, die nicht den Luxus einer solchen Entscheidung haben, helfen und Entwicklungsarbeit dort unterstützen.

BELIEBT

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    Gemeinsam erklimmt das Team der National Geographic and Rolex Perpetual Planet Everest Expedition den Berg. Inka gibt das Tempo auf dem Anstieg zu 6000 m Höhe an. Auf dem Weg stoppt sie alle 100 Höhenmeter, um Schneeproben zu nehmen.

    Foto von Mark Fisher

    Bedeutet eine Expedition zum Everest nur Stress, oder kann man auch mal die Aussicht genießen?

    Ich war bis auf 6800 Meter. So hoch kommt man aus eigener Kraft, ohne zusätzlichen Sauerstoff. Für mein Forschungsprojekt musste ich nicht höher gehen. Die körperliche und geistige Beanspruchung war auch hier sehr hoch. Wir waren einen Monat auf über 5000 m bevor es ganz hoch ging. Auf dieser Höhe heilt nicht mal eine Erkältung, weil der Körper Wichtigeres zu tun hat. Und man hat die ganze Zeit einen starken trockenen Khumbu Husten, der schlaucht. Doch der intensive Fokus auf einer Expedition, kann die Gedanken im Kopf vereinfachen, was mental entspannend sein kann. Die Schönheit der Natur berührt mich immer und treibt mich an, auch wenn ich weniger Zeit habe die Aussicht auf mich wirken zu lassen. Dafür interagiere ich mehr mit der Natur in dem ich eine Schneegrube grabe oder mir genau überlege, wo ich meinen steigeisenbespickten Fuß hinsetze.

    Hast Du außer Proben sonst noch etwas vom Everest mitgebracht?

    Einen richtigen Sprung in der Persönlichkeitsentwicklung. Ich habe mich auf der Höhe wirklich unerwartet gut geschlagen, auch im Vergleich zu meinen männlichen Kollegen. Ich war die Einzige im Summit Team, die nicht für eine Pause ausgeflogen werden musste. Ob das Glück mit den Viren oder ob ich doch robuster war, kann ich nicht sagen. Ich hatte die vier Jahre zuvor, während meiner Arbeit am International Centre for Integrated Mountain Development in Nepal, auch zweimal im Jahr auf über 5000 Metern gearbeitet, das prägt vielleicht. Interessant war für mich aber, dass keine der Frauen auf unserer Expedition evakuiert wurde, auch nicht im Basecamp.

    Nach meiner Rückkehr vom Berg fühlte ich mich kräftig und gleichzeitig ausgelaugt. Es hat gut fünf Monate gedauert, bis sich mein Körper wieder normal gefühlt hat. Es war, als wenn sich mein persönliches Koordinatensystem verschoben hatte und ich musste mich erst wieder neu orientieren. Nach so einer erfolgreichen Expedition, mit so existenziellem Stress macht man sich hinterher weniger Sorgen im alltäglichen Leben, weil man weiss Ich packe das schon. Mental hab ich aber einen riesen Sprung in meiner Selbstwertschätzung gemacht. Die Arbeit in einem so großen, internationalen Team war bekräftigend und hat mir Hoffnung für unseren Planeten gemacht. Ich glaube, dass das ein magisches Bergmassiv ist. In der Vorstellung einiger Naturvölker wohnen dort Götter auf den Bergspitzen. Ich sage heute Danke Everest. Namaste.

    Willst Du den Everest nochmal bis oben besteigen?

    Nein, die Todeszone über 7000 Metern interessiert mich nicht. Das ist mir für mich und das unterstützende Team zu gefährlich. Als meine Kollegen da oben waren, fühlte ich großes Unbehagen. Sie mussten dank der längsten Warteschlange aller Zeiten bei ungefähr 8400 Metern kehrt machen. Wohl gemerkt, nachdem sie die höchste Wetterstation der Welt installiert und den höchsten Eiskern der Welt extrahiert hatten. Ich bin auch nur bis auf 6800 Meter gegangen, weil ich vorher so tolle Unterstützung von meiner Familie und meinem Partner bekommen habe. Während der Expedition hatte ich glücklicherweise eine der besten Bergsteigerinnen der Welt als Guide, Dawa Yangzum Sherpa, die mich durch den Eisfall geführt hat. Das ist einer der gefährlichsten Etappen auf dem Weg zum Everest. Es können jederzeit Lawinen abgehen und der Gletscher kann in sich zusammen brechen. Den Everest besteigt man nicht alleine. Die Sherpas legen die Route fest und machen die harte Arbeit, denn sie klettern ungefähr zwölf Mal hoch, für die Besteigung von einer Person.

    Ich ging wegen der tollen Forschungsprojekte mit und dem besonderen Potential der Geschichte. Für einen guten Grund würde ich wieder auf eine Höhe zwischen 6000 und 7000 Meter steigen - aber lieber an einem anderen Berg, bei dem ich nicht durch den Eisfall muss, denn der hat mir vorher für zwei Monate den Schlaf geraubt. Ich muss nicht auf die Bergspitzen. Ich bin da glücklich, wo die Gletscher sind. Meine Stimmung hebt sich enorm, sobald ich nah an natürlichem Eis jeder Art bin. Jeder hat da wohl so seinen Happy Place.

    Dr. Inka Koch ist Glaziologin. Ihre nächste Forschungsreise führt sie nicht in die Höhe, sondern ans Meer: Im Auftrag der Universität Tübingen am Institut für Geowissenschaften reist sie in der Gruppe für Glaziologie und Geophysik, in Kollaboration mit dem Alfred Wegner Institut für Polar und Meeresforschung an die Eisschelfe in der Antarktis.

    Foto von Mark Fisher

    Was treibt Dich an?

    Die absolute Faszination für die wunderschöne Natur dieses Planeten und ein Drang, andere Menschen zu inspirieren, in dem ich authentisch die ‚Geschichte‘ der Natur über die Wissenschaft erzähle - und gerne auch meine eigene dazu, um zu einem besseren Umgang mit unserem Planeten zu motivieren. Für mich war es eine unglaublich tolle Möglichkeit Teil der National Geographic and Rolex Perpetual Planet Everest Expedition zu sein und zu erfahren, wie Dokumentationen, Artikel und Lehrmaterialen von höchster Qualität produziert werden. Auf Expeditionen zu Eis und Schnee treiben mich gute Fragestellungen und Leute mit guten Lebenseinstellungen an. Abgeschnitten von der Welt ist man in seiner eigenen Routine im Rahmen einer kleinen Expeditionsgruppe. Man braucht eine gute Menschenkenntnis. Diese psychologische Herausforderung fasziniert mich. Es ist anstrengend und entspannend zugleich. Entspannend, weil man mit intensivem Fokus vom Alltagsleben eine Pause bekommt. Der intensive Fokus auf eine Sache verbindet und ich habe Freude an den intensiven sozialen Kontakten. Anstrengend, weil man seinem Körper keine Pause gönnt und mental auch keine Zeit hat, Dinge zu verarbeiten. Das wird auf nachher verschoben. Eine Art aktive Meditation, denn man hat keine Zeit, sich über nicht relevante Dinge Gedanken zu machen.

    NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin, Juli 2020

    Foto von National Geographic

    In der aktuellen Ausgabe des NATIONAL GEOGRAPHIC  Magazins mit dem Schwerpunkt EVEREST findest du weitere spannende Reportagen von der Expedition zum Dach der Welt.

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