Vulkanausbruch auf Island: Das ist vielleicht erst der Anfang
Die erste Eruption auf der Reykjanes-Halbinsel seit etwa 800 Jahren wird voraussichtlich keine Bevölkerungszentren bedrohen. Aber zahlreiche weitere könnten folgen – und bieten eine Gelegenheit, die geologischen Geheimnisse der Region zu erforschen.
Am Freitag, den 19. März 2021, brach in der Region Geldingadalur auf der isländischen Halbinsel Reykjanes Lava aus dem Boden hervor, was möglicherweise den Beginn einer neuen Periode erhöhter vulkanischer Aktivität einläutet.
Nachdem Islands Reykjanes-Halbinsel 15 Monate lang von Erdbeben erschüttert wurde, darunter etwa 50.000 in den letzten drei Wochen, folgte nun endlich der Vulkanausbruch, den viele Geologen bereits erwartet hatten. Nach fast 800 Jahren ohne Ausbruch wird dieser südwestliche Streifen des Landes von Lavaströmen heimgesucht, die laut Experten lange auf sich warten ließen.
Am Freitag, den 19. März, gegen 20:45 Uhr Ortszeit bahnte sich geschmolzenes Gestein in einem Tal in der Nähe eines flachen Berges namens Fagradalsfjall in der Region Geldingadalur seinen Weg an die Oberfläche, knapp zehn Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Eine zähe, glühende Masse brach entlang eines Risses in der Erde hervor und versengte den Boden, während kleine Lavafontänen die dunkle Landschaft erhellten.
Bei der Eruption handelt es sich um eine relativ kleine Menge an Lava, die auf eine Reihe von Tälern beschränkt ist. Daher ist es unwahrscheinlich, dass irgendwelche Bevölkerungszentren bedroht sind. Diese Art von geschmolzenem Gestein ist sehr flüssig und eingeschlossene Gase können leicht daraus entweichen. Außerdem fließt die Lava nicht in Wasser oder Eis hinein, sodass insgesamt nicht mit besonders explosiven Reaktionen zu rechnen ist, die eine anhaltende Aschewolke erzeugen oder große Gesteinsblöcke durch die Gegend schleudern.
Aber diese moderate Eruption könnte der Beginn von etwas Größerem sein. Belege aus historischen Berichten und uralten Lavaströmen zeigen, dass immer dann, wenn diese Region einen größeren Anstieg der seismischen Aktivität erlebt hat, für etwa 100 Jahre intermittierende Eruptionen folgten.
„Die Zeichen deuten auf ein Wiedererwachen hin“, sagt Dave McGarvie, Vulkanologe an der Lancaster University.
Der Ausbruch in Geldingadalur bietet daher eine noch nie dagewesene Gelegenheit, die langfristige vulkanische Aktivität im Südwesten Islands zu untersuchen. Wissenschaftler bemühen sich, diese möglicherweise erste Salve in einer Reihe von Vulkanausbrüchen genau zu überwachen. Sie könnte Hinweise darauf liefern, warum die Halbinsel nur etwa alle 800 Jahre vulkanisch aktiv wird.
Vulkanische Aktivität – aber keine Spur von Magma
Die Halbinsel Reykjanes liegt auf einem landwärtigen Teil des sich kontinuierlich ausbreitenden Mittelatlantischen Rückens, etwa 27 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Reykjavík. In diesem Bereich der Insel sind Erdbeben keine Seltenheit, doch seit Ende 2019 sind die Beben häufiger und kräftiger geworden. Die Isländer auf Reykjanes, vor allem in der Küstenstadt Grindavík, hatten in letzter Zeit Schlafprobleme aufgrund der ständigen Erschütterungen.
Es wird angenommen, dass diese erhöhte seismische Aktivität einen Übergang von einer allmählichen Öffnung des Grabens zu einer wesentlich dramatischeren Phase darstellt, in der beide Seiten der Halbinsel rapide auseinandergezogen werden. Dadurch entsteht ein Leerraum und Magma strömt nach oben, um ihn aufzufüllen.
Am 3. März ertönten zwischen dem Berg Fagradalsfjall und einer Reihe von Spalten, die vor langer Zeit ausgebrochen waren, akustische Signale, die auf ein Einströmen von Magma in die flache Kruste hindeuteten. Eine neue Eruption schien sehr wahrscheinlich – aber es folgte keine Lava und die akustischen Signale verschwanden wieder, sagt Thorbjörg Ágústsdóttir, eine Seismologin bei Iceland GeoSurvey.
Galerie: Faszinierende Drohnenbilder von Lavaströmen
Stattdessen wanderte die Magmaschicht, ein sogenannter Dyke, in den nächsten Wochen unterirdisch umher. Seismische Aktivitäten und die sich verändernde Form des Bodens erlaubten es den Wissenschaftlern, seine Bewegungen grob zu verfolgen. Sie erwischten ihn dabei, wie er zwischen dem Nordosten und dem Südwesten der Halbinsel hin und her pendelte und dabei Risse im darüber liegenden Boden verursachte.
„Ich nannte ihn irgendwann den zaudernden Dyke, weil er nicht zu wissen schien, was er tun sollte“, sagt McGarvie. Er schien vergeblich nach einer Stelle zu suchen, an der er die Oberfläche durchbrechen konnte.
In den letzten Wochen nahm die seismische Aktivität in der Region ab. Da die meisten Dykes abkühlen und erstarren, bevor sie eine Chance zum Ausbruch bekommen, vermuteten einige Wissenschaftler, dass nun doch keine Eruption stattfinden würde.
Islands oberste Kruste hat jedoch eine Eigenheit: Sie verhält sich leicht elastisch – das heißt, sie ist eher wie Toffee als wie ein hartes Bonbon. Die Kruste in diesem Bereich kann sich ein wenig dehnen, um Platz für Magma zu schaffen. So kann der Dyke in das Gestein knapp unter der Oberfläche eindringen, ohne große Risse zu verursachen und die verräterischen akustischen Signale zu erzeugen.
Diese Heimlichkeit ist typisch für Eruptionen, die sich entlang von Spalten ereignen, wie es auch auf der Halbinsel der Fall war. Die Wissenschaftler in Island waren „gerade noch im Feld gewesen, und plötzlich öffnete sich der Boden“, sagt Ágústsdóttir. Offenbar ist die nachlassende seismische Aktivität in dieser Region kein Zeichen für ruhigere Tage, sondern könnte tatsächlich ein Vorbote für eine Eruption sein.
Der lang erwartete Ausbruch
Am 19. März registrierte das isländische Wetteramt ein paar niederfrequente Erdbeben, die möglicherweise durch Magma verursacht wurden, das sich in Richtung Oberfläche bewegt – aber das waren sehr subtile Ereignisse, sagt Ágústsdóttir. Da man nicht wissen konnte, wann und wo eine Eruption stattfinden würde, rieten die lokalen Behörden den Menschen weiterhin, sich von dem von Spalten durchzogenen Gebiet fernzuhalten.
An diesem Abend begann die Lava in der Nähe des Fagradalsfjall auszubrechen, innerhalb des Geldingadalur – einer natürlichen Senke, deren Name Eunuchen-Tal bedeutet (möglicherweise eine Anspielung auf die Praxis der frühen Siedler, Tiere in der Region zu kastrieren). Nachdem er keine Fluchtroute nach Nordosten oder Südwesten gefunden hatte, brach der Dyke offenbar „in der Mitte durch, weil beide Richtungen irgendwie versperrt waren“, sagt Tobias Dürig, ein Vulkanologe an der Universität Island.
Eine Webcam auf einem nahegelegenen Bergrücken fing die Lava zuerst ein. Ein Hubschrauber der Küstenwache wurde an den Ort des Geschehens entsandt, und der Pilot entdeckte schnell die Glut der Lava, die am Himmel flackerte und zischte.
Die Lava ergoss sich zunächst aus einer gewundenen Spalte von 500 Metern Länge, aber im Laufe des Wochenendes konzentrierte sich die Eruption auf eine einzige Stelle und bildete einen steilen, hoch aufragenden Kessel aus frisch abgekühltem Gestein. Glatte Lavaströme schlängelten sich um gröbere Lava mit blockartigen Trümmern. Die in gleichmäßigem Tempo fließende Lava führte dazu, dass der Kegel einige Teilkollapse erlitt, bei denen er Lavabrocken über die verbrannte Erde schleuderte.
Der Magma-Dyke ist nur etwa 6,5 Kilometer lang, und die Eruption ist auf ein Tal beschränkt, das von weiteren Tälern umgeben ist. Das verhindert, dass Lava aus dem Gebiet entweicht und Bevölkerungszentren bedroht. Allerdings wird Schwefeldioxid, ein häufiges vulkanisches Gas, durch die Eruption freigesetzt, und selbst kleine Mengen können die Lungen von Menschen mit Atemwegserkrankungen wie Asthma reizen. Aber bisher bläst der Wind das Vulkangas von den bewohnten Gebieten weg.
Eine mögliche Sorge der Wissenschaftler ist, dass sich in der Nähe der aktuellen Spalte plötzlich und unerwartet eine neue Spalte auftun könnte. Für jeden, der sich dann in der Gegend aufhält, gäbe es keine Vorwarnung. „Das könnte leicht passieren, das könnte schnell passieren, und es wäre kein guter Ort, um dann dort zu sein“, sagt Dürig.
Ein Inferno für die Wissenschaft
Insgesamt glauben die Wissenschaftler jedoch, dass es eine weitgehend ungefährliche Eruption bleiben wird. Dank des leichten Zugangs zum Gebiet warten die Forscher mit ihrem gesamten wissenschaftlichen Werkzeugkasten auf. Sie sehen in der Eruption die beste Chance, die sie je hatten, um die ungewöhnliche Tektonik und den Vulkanismus der Region zu verstehen.
Einige haben Lavaproben gesammelt und in ein Labor gebracht, in der Hoffnung, die spezifische Chemie des Materials zu enträtseln. Dürig hat die Eruption mehrfach überflogen und mit Hilfe von Radarscans ermittelt, wie dick die Lavaströme sind und wie viel Lava austritt.
Evgenia Ilyinskaya, eine Vulkanologin an der University of Leeds, begab sich am Wochenende mit einem Rucksack voller Instrumente zur Eruption, um die Verbindungen zu analysieren, die aus der Spalte strömen.
„Es ist etwas ganz Besonderes, so nah an einen Ausbruch heranzukommen“, sagt Iljinskaja. Zu Beginn der Eruption wurde sie mit einer Kakophonie von Dröhnen und Rauschen unter ihren Füßen begrüßt. „Das erschüttert einen bis ins Mark“, sagt sie. „Das ist etwas wirklich, wirklich Mächtiges. Man fühlt sich sehr klein und sehr unbedeutend.“
Entgegen dem offiziellen Rat haben sich Tausende von Menschen, die auf der Halbinsel leben, rund um die Eruptionsstelle versammelt und den Bergrücken bestaunt. Eine Gruppe verweilte zu lange und verirrte sich dann auf der Suche nach ihren Autos in der Dunkelheit. Jemand wurde außerdem dabei erwischt, wie er versuchte, Eier und Speck auf der Lava zu braten – mit erwartbar geringem Erfolg.
Während Vulkanologen die Gelegenheit nutzen, um diesen Ausbruch zu untersuchen, versuchen Archäologen herauszufinden, ob die Lava irgendwelche bedeutenden archäologischen Stätten bedroht. Basierend auf historischen Aufzeichnungen glauben Experten, dass eine mutmaßlich über 1.000 Jahre alte Grabstätte, die vielleicht einer bedeutenden Persönlichkeit gehört, direkt im Pfad der Eruption liegen könnte. Lokalen Nachrichtenberichten zufolge flog der Archäologe Oddgeir Isaksen von der isländischen Behörde für Kulturerbe kurz nach Beginn der Eruption mit einem Hubschrauber zum Ort des Geschehens, konnte aber keine Hinweise auf die Grabstätte finden, bevor die Lava das Gebiet überrollte.
Vorbote eines Jahrhunderts des Vulkanismus?
Die Eruption wird in den kommenden Tagen oder Wochen wahrscheinlich abklingen, und auch die größeren Erdbeben, die die Menschen wachhalten, könnten für eine Weile nachlassen. „Eine kleine Eruption setzt immer noch etwas Druck frei“, sagt Ágústsdóttir.
Aber es gibt Hinweise darauf, dass das Feuerwerk noch lange nicht vorbei ist. „Die Menge der seismischen Energie, die freigesetzt wurde, ist für so eine kleine Eruption unverhältnismäßig hoch“, sagt McGarvie. Es könnte erhebliche tektonische Verschiebung auf der Halbinsel gegeben haben, was bedeutet, dass zusätzliche Taschen von Magma ihren Weg an die Oberfläche finden könnten.
Anhand der geologischen Geschichte der Region und Studien ähnlicher Ausbrüche an anderen isländischen Orten schließt Ilyinskaya, dass ein weiterer Ausbruch an einer anderen Spalte auf der Halbinsel gut möglich ist. Bis dahin könnten Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre vergehen. Bei einer solchen Eruption könnten ähnliche Magmamengen fließen wie beim aktuellen Ausbruch – oder auch erheblich mehr.
Galerie: Feuerberge in Aktion
Die Möglichkeit künftiger Eruptionen wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die Art der seismischen Erschütterung, die zur aktuellen Eruption führte, schon früher aufgetreten ist – in den letzten paar Jahrtausenden sogar dreimal. Historische Berichte und Schichten von altem Vulkangestein deuten darauf hin, dass jedes Mal, wenn dieses Gebiet eine signifikante Zunahme von Erdbeben erfuhr, mehrere Jahrzehnte von Eruptionen folgten, die auf der ganzen Halbinsel von Spalte zu Spalte sprangen.
Die kleine und relativ ungefährliche Eruption, die sich jetzt ereignet, bietet Wissenschaftlern und Notfallplanern daher eine hervorragende Gelegenheit, sich auf mögliche kommende Lavaströme vorzubereiten. „Wenn das der Anfang ist“, sagt Ágústsdóttir, „ist das ein gutes Training.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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