Hunde-Suizid-Brücke in Schottland: Was treibt die Hunde in die Tiefe?

Schon über 600 Hunde sollen von der Zugangsbrücke eines schottischen Herrenhauses gesprungen sein. Viele erlagen ihren Verletzungen. Was die Hunde antrieb, war lange Zeit ein Rätsel.

Von Isabella Neber
Veröffentlicht am 10. Feb. 2022, 09:57 MEZ
Steinbrücke in Schottland

Die Overtoun Brücke führt in 15 Metern Höhe über den Bach Overtoun Burn.

Foto von Paul Owens

Etwa 20 Kilometer nordöstlich der schottischen Hafenstadt Glasgow liegt Overtoun House, ein Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert. Um zum Anwesen zu gelangen, muss man eine rund 15 Meter hohe Granitbrücke über den Bach Overtoun Burn passieren. Viele Einheimische glauben, dass ein Fluch auf der Brücke liegt. Denn über 600 Hunde sollen innerhalb der letzten 70 Jahre über die Brüstung der Brücke in die Tiefe gesprungen sein. Dabei verletzten sich viele schwer und erlagen nicht selten ihren Verletzungen.

Lange war unklar, was die Hunde dazu trieb, sich plötzlich loszureißen und von der Brücke zu springen. Ein Schild, das heute aber wieder verschwunden ist, forderte deshalb Hundebesitzer dazu auf, ihre Hunde an der Brücke unbedingt anzuleinen. Betroffene Halter berichteten übereinstimmend, dass ihnen keine Veränderung an den Hunden aufgefallen sei, ehe sie die Brücke betraten. Auf der Brücke seien die Hunde dann kurz erstarrt, ehe sie loseilten und über die Brüstung der Brücke in die Tiefe sprangen. Vornehmlich an sonnigen und windstillen Tagen sei es zu diesem ungewöhnlichen Verhalten gekommen. Dadurch bekam die Overtoun Brücke in den Medien rasch den Beinamen „Hunde-Suizid-Brücke“ und wurde zum Thema vieler Reportagen und Meldungen.

Spuk als Erklärung: Der Geist von Lady Overtoun

Paul Owens, der in der Nähe des Overtoun Anwesens aufwuchs, erforschte im Rahmen eines Buchprojekts viele Jahre lang die Geschichte des Overtoun Anwesens. Er berichtet, dass man sich, wie in vielen europäischen Adelshäusern, auch in Overtoun Geistergeschichten von der „Weißen Dame“ erzählt, die auf den Ländereien rings um Overtoun spukt. Bei dem Geist soll es sich um die im Jahr 1931 verstorbene Lady Overtoun handeln. Gegenüber NATIONAL GEOGRAPHIC erzählt Paul Owens: „Als ich die Brücke nach dem Grund für die Sprünge der Hunde hin untersuchte, hatte ich dort selbst eine übernatürliche Erfahrung.“ An der Stelle der Brücke, von der schon viele Hunde einen plötzlichen Satz in die Tiefe gemacht hatten, will er einen Finger im Rücken gespürt haben, der ihn zweimal antippte. „Ich bin überzeugt, dass ich hier dem Geist von Lady Overtoun begegnet bin“, so der Religionslehrer.

Overtoun House ist wie das bekannte Balmoral Castle, das bis heute als Sommerresidenz der britischen Königsfamilie dient, im Stil der Scottish Baronials erbaut.  Im Inneren wird es den Komfortansprüchen des 19. Jahrhunderts gerecht, nach außen hin trägt es die wehrhafte Architektur aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Wachtürme, Zinnkränze und Burggräben sind reine Dekoration und haben keine abwehrende Aufgabe mehr. Owens berichtet von einem Bild, das zu Bauzeiten in die Vorhalle des Herrenhauses gemalt wurde. Zu sehen ist ein in Schrecken versetzter Löwe, der vor einem Hund zurückweicht. „Das Bild des furchtlosen Hundes in dieser Situation ist ungewöhnlich,“ meint Owens. Für ihn scheint eine Verbindung zwischen dem furchtlosen Hund auf dem Bild und den furchtlosen Hunden, die sich von der Brücke in die Tiefe stürzen, kein Zufall zu sein.

Balmoral Castle, erbaut im Stil der Scottish Bronials, dient als Sommerresidenz der britischen Könige.

Foto von Stock.adobe.com/adfoto

Zufall oder Fluch?

Im Jahr 1994 ereignete sich auf der Brücke zum Overtoun Anwesen ein weiterer tragischer Vorfall. Ein Vater warf seinen zwei Wochen alten Säugling von der Brücke, da er in ihm den Teufel wähnte. Der Junge verstarb am Folgetag, der Vater, der zum Tatzeitpunkt unter Drogen stand und an schweren Depressionen litt, wurde in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Selbstverständlich befeuerte die Tat den schauerlichen Ruf, der sich bereits um die Brücke rankte. 

Geheimnis gelüftet? Hunde folgen ihrer Nase

Neben Geistergeschichten und Spukphänomenen wurde die Umgebung der Brücke auch auf erklärbare Ursachen hin untersucht. Udo Gansloßer, Privatdozent für Zoologie am Zoologischen Institut und Museum der Universität Jena, erklärt, warum Hunde grundsätzlich keine Angst haben, in die Tiefe zu springen: „Hunde sind im Gegensatz zu unserer Affenverwandtschaft keine Baumbewohner und haben, wie Laborstudien der Kognitionsforschung zeigen, kein Konzept für Schwerkraft oder dreidimensionale Höhe. Sie "wissen" also nicht, was es bedeutet, einfach ins Leere zu springen.“ Vielmehr scheinen die Hunde auf der Brücke einen plötzlichen Reiz wahrzunehmen, der ihr Jagdverhalten nach dem „Alles oder Nichts – Prinzip“ auslöst.

BELIEBT

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    Von der Brüstung der Brücke sprangen schon viele Hunde in die Tiefe.

    Foto von Paul Owens

    Dr. David Sands, Tierpsychologe an der Animal Behaviour Clinic in Lancashire, England, untersuchte die Umgebung rings um die Brücke. Dabei fand er heraus, dass direkt unter der Brücke Nerze ihren Bau hatten. Diese Tiere markieren ihr Territorium durch ein Drüsensekret, das an sonnigen und windstillen Tagen besonders stark riecht. Durch diesen starken Duft scheint die Impulsivhandlung bei einigen Hunden ausgelöst worden zu sein.

    Gansloßer, dessen Forschungsschwerpunkt die Canidae (Hundeartigen) sind, erklärt, wie Geruchswahrnehmung und daraus folgende Reaktion beim Hund funktionieren: „Im Riechhirn des Hundes sind auch Anteile, die mit dem als "Selbstbelohnungssubstanz" benannten Dopamin funktionieren. Der Riechkolben liegt beim Hund ganz vorne an der Basis des Gehirns. Weiter hinten liegen die Kerne des Selbstbelohnungssystems, das wiederum aus zwei Untersystemen besteht: Wollen und Mögen. Während Letzteres eher den Zustand passiver Zufriedenheit bewirkt und aktive Handlungen unterdrückt, ist für Ersteres der Weg das Ziel, weshalb Bewegungsaktionen gefördert werden. Wird ein stark lockender Duft aufgenommen, kommt ein sehr schneller Rückkopplungskreislauf zustande, weil die Kombination aus Riechreiz plus Bewegung der Skelettmuskulatur (beim Schnüffeln, oder gar Schnüffeln während des Vorwärtslaufens) wiederum im Riechkolben den Dopaminausstoß erhöht.“

    Diese Theorie untermauert, dass es keine impulsiven Sprünge von Hunden mehr von der Brücke gab, seit die Nerze nicht mehr darunter nisten. Auch wenn übernatürliche Geistergeschichten auf alten schottischen Herrenhäusern wohl zur Tagesordnung gehören, scheint das rätselhafte Hundeverhalten doch naturwissenschaftlich erklärbar zu sein.

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