Reinhold Messner: Revolutionär des Bergsteigens und unbeugsame Legende
Reinhold Messner revolutionierte das Bergsteigen. Als Mensch wollte er sich in keine Schablone zwängen lassen. Zu seinem 80. Geburtstag am 17. September zieht er Bilanz.
Reinhold Messner am Nanga Parbat
Die erste Begegnung mit Reinhold Messner begann für mich mit einem Eklat. Es war im Kongresshaus der Olympiastadt Garmisch-Partenkirchen. Noch bevor ich Fragen stellen konnte, polterte er los, gegen die Medien, gegen Journalisten. Ich hatte mich als Redakteur einer Tageszeitung vorgestellt, und mit jener hatte der weltberühmte Bergsteiger offenbar gebrochen. Es ging um einen Jahre zurückliegenden Bericht zum Nanga Parbat und die Rolle Reinholds beim Tod seines Bruders Günther am neunthöchsten Berg der Erde.
Ich war irritiert und befremdet, kannte weder den Artikel noch den Autor. Der Mann, über den seine Mutter in einem Brief festhielt, er sei „allergisch gegen Ungerechtigkeit“, hatte seinerseits Maß und Ziel verloren. Messner ging keinem Streit aus dem Weg. In seinem Buch „Über Leben“ (2014) weist er diesem Gerechtigkeitsempfinden sogar selbst eine alles entscheidende Rolle zu. „Wie oft bin ich wütend geworden, wenn auf Ungerechtigkeiten Bevormundung folgte. Diese Wut, wenn Autoritäten vorgaben, sie müssten mich vor mir selbst schützen, prägt mein Leben bis heute.“ Und lieferte die Energie für eine Weltkarriere.
Aufstieg in die Weltspitze des Alpinismus
Als er kurz vor seinem Abitur steht, ist Messner als hoch talentierter Kletterer bereits an den klassischen Routen der Nordwände in den Alpen unterwegs: Ortler, Matterhorn, Mont Blanc. Manche seiner Lehrer sind darüber wenig begeistert, doch der junge Messner will seine Kletterambitionen nicht rechtfertigen müssen und bekommt, wie er erzählt, prompt die Retourkutsche. „Der Lehrer ließ mich aus Rache durchs Abitur fallen.“ Das wiederum beflügelt den Südtiroler eher, als dass es ihn aus der Bahn wirft. Er meistert 1966 den berühmten Walkerpfeiler an den Grandes Jorasses im Mont-Blanc Massiv. „Der Walkerpfeiler war mir wichtiger als das Abitur“, sagt er. Die Prüfungen holte er wenig später nach.
Ihn treibt der Ehrgeiz, schwierige Routen mit möglichst wenigen technischen Mitteln schneller zu durchsteigen, als die Bergsteigerszene das kannte. Und er will neue Routen eröffnen. 1968 gelingen ihm gleich mehrere Coups: Als Erster durchsteigt Messner die Agnèr Nordwand im Winter in den Dolomiten, den Heiligkreuzkofel-Mittelpfeiler, den Eiger-Nordpfeiler und die Marmolata Südwand. Sein Hoch- und Tiefbaustudium in Padua bricht er ab und mit den ersten Expeditionen in die Weltberge auch sein Lehrer-Engagement. Er wird Profialpinist und ist auch hierin seiner Zeit voraus. Seine Expeditionen finanziert er durch Vorträge und Bücher.
Als Mittzwanziger ist er das Enfant terrible der Szene, die Mischung aus Können, Physis, Chuzpe und Verrücktheit bringt ihn ganz nach oben. Messner hat dabei das Gespür für die richtigen Seilpartner. Mit dem Tiroler Peter Habeler gelingt ihm 1975 eine Weltsensation. Gemeinsam besteigen sie den Gasherbrum I (8080 Meter) im Alpinstil: schnell in einem kleinen Team, ohne Träger, ohne Flaschensauerstoff, ohne vorher präparierte Route und in einem Zug vom Basislager zum Gipfel und zurück. Das kommt einer Revolution gleich, denn es ist das Gegenteil des herkömmlichen Expeditionsstils, der meist einer Materialschlacht gleicht – „Belagerungsalpinismus“ in den Augen Messners.
Weltruhm am Mount Everest
Zu Weltruhm bringen es die beiden jungen, wilden Alpinisten, als sie es am 8. Mai 1978 ohne zusätzlichen Sauerstoff auf den Mount Everest schaffen. Im Vorfeld hatten Ärzte bezweifelt, ob dies physisch überhaupt möglich sei. 1980 gelang Messner mit der ersten Solobesteigung des Everest ohne Sauerstoffflaschen eine weitere Weltsensation. „Er war der Beste“, sagt Habeler heute, „wenn er vorausgegangen ist, wusste ich, ich kann mich tausendprozentig auf ihn verlassen.“ Habeler, zwei Jahre älter als Messner, fügt lachend hinzu: „Er war maßgeblich beteiligt, dass ich mir am Everest nicht in die Hosen geschissen habe. Ich hatte ein Baby zu Hause und Angst, es nicht mehr zu sehen.“
Knapp 20 Jahre nach meiner ersten Begegnung in Garmisch-Partenkirchen treffe ich Reinhold Messner kurz vor seinem 80. Geburtstag auf Schloss Juval in Südtirol. Längst sind wir in unseren Gesprächen auf Augenhöhe. Seit ich als Chefredakteur das Magazin Bergsteiger leite, schätzt er meine Recherchen und mein kritisches Nach- und Hinterfragen. Auch wenn es um seine Person geht. Reagierte er früher auf Kritik oft aufbrausend, so erlebe ich ihn mit zunehmendem Alter ruhiger, gelassener. „Ich besitze nichts mehr, auch dieses Schloss nicht“, sagt er. Er habe all sein Eigentum auf die vier Kinder verteilt, wollte „wieder auf null sein“. Die Freude darüber währte nicht lange, es habe zu Unfrieden geführt, „die Familie ist zerbröselt“. Ob er als Übervater seinen Kindern einfach nicht gerecht wurde? Ob sein Ego zu groß war? Messner streitet diese Möglichkeit nicht rundheraus ab. „Ich hätte das Erbe erst mit meinem Tod regeln sollen, das wäre gescheiter gewesen“, sagt er.
Cover National Geographic 9/24
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