London Underground

Seit Jahren ist die Metropole eine Großbaustelle. Eine einmalige Chance für Archäologen, unter die Straßen der Stadt zu blicken.

Von Roff Smith
Foto von Simon Norfolk

Zusammenfassung: London ist eine der ältesten europäischen Hauptstädte. In den letzten 1900 Jahren sammelte sich unter den heutigen Straßen eine neun Meter dicke Schicht aus Ruinen und Artefakten der letzten Epochen – von den Römern bis zu den Viktorianern. Der Bauboom in Londons Innenstadt gibt Archäologen die einmalige Chance, einen Blick unter die Oberfläche zu werfen. Was sie fanden ist beindruckend.

Die Werkstatt im MOLA ist hell erleuchtet. Luisa Duarte reinigt ein großes Fresko aus dem 1. Jahrhundert. Äußerst sorgfältig arbeitet die Restauratorin. Das Kunstwerk befindet sich erst seit einigen Tagen hier im Museum of London Archaeology. Man hat es auf einer Baustelle in der Lime Street im Herzen des Bankenviertels gefunden. Wo bald ein 38-stöckiger Bürokomplex stehen wird, stießen Arbeiter auf die Ruinen eines Gebäudes aus der frühen Römerzeit. Die Experten des Museums datierten das nahezu drei Meter lange und fast zwei Meter hohe Wandgemälde auf etwa 60 n.Chr. Es ist nicht nur eines der ältesten römischen Fresken, die je in London gefunden wurden, sondern auch eines der größten und am besten erhaltenen.

„Wer das in Auftrag gegeben hat, muss wirklich reich gewesen sein“, sagt Duarte. Mit einem Spachtel löst sie die feuchte Erde Klümpchen für Klümpchen. „Ein wohlhabender Kaufmann oder ein Bankier vielleicht. Jemand mit Geschmack. Hier, dieses Rot zum Beispiel. Wahrscheinlich Zinnober. Ein sehr teures Pigment, das selten verwendet wurde. So etwas finden wir nur bei den sehr hochwertigen Arbeiten.“

Vermutlich schmückte das Fresko ein Gebäude, das um die Wende zum zweiten Jahrhundert n.Chr. abgerissen wurde, um Platz für ein Forum und die prächtige neue Basilika zu schaffen. Das größte Ensemble, das die Römer je nördlich der Alpen gebaut haben, nahm mehr Platz ein als die heutige St.-Pauls-Kathedrale. Ganze Viertel fielen dieser frühen städtebaulichen Vision zum Opfer. Der Auftakt für viele weitere Sanierungsmaßnahmen, die im Lauf der nächsten 1900 Jahre folgen sollten.

Wenn man einer alten Stadt wie London unters Pflaster schaut, muss man auf alles gefasst sein: ein Fresko aus dem 1. Jahrhundert, ein Paar mittelalterliche Schlittschuhe, sogar einen Elefantenzahn. In einer der ältesten europäischen Hauptstädte lebten nacheinander Römer, Sachsen, Normannen, Tudors, Georgianer, Regency­Dandys und Viktorianer; alle veränderten die Stadt, alle bauten sie und legten eine neue Lage über das schon Bestehende. Heute liegt die Metropole auf einer reichen, neun Meter dicken archäologischen Schichttorte.

Das Problem dabei: London ist zugleich eine höchst lebendige Großstadt mit mehr als acht Millionen Einwohnern, zahlreichen Hochhäusern und monumentaler Architektur. Auf den Straßen drängt sich der Verkehr. Für die Ar­ chäologen ergeben sich nur selten und kurz Gelegenheiten, den Betondeckel zu heben und in der an Artefakten reichen Erde zu stochern. Doch seit eine Welle außergewöhnlicher Infrastrukturprojekte London durcheinanderwirbelt und im historischen Zentrum ein Bauboom ausgebrochen ist, haben sie die einmalige Chance, einen Blick unter die Oberfläche zu werfen und die Geschichte der Stadt zu erforschen.

Die Ausbeute ist überwältigend: Millionen von archäologischen Kleinoden – vom frühen Mesolithikum vor etwa 11.000 Jahren bis zur späten viktorianischen Zeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts – füllen die Magazine. Hinzu kommen die Knochen Tausender einfacher Stadtbewohner von all den Friedhöfen, die schon vor Jahrhunderten aufgelöst, bebaut und vergessen worden waren.

„Die Ausgrabungen liefern faszinierende Momentaufnahmen der Londoner Lebensverhältnisse im Lauf der Jahrhunderte“, sagt der Anthropologe Don Walker, ein Experte für menschliche Knochen am MOLA. „Da wird einem klar, dass wir selbst nur kleine Nebenfiguren in einer langen Geschichte sind.“

Eines der frühesten Kapitel dieser Geschichte können wir seit 2010 studieren: auf der 1,2 Hektar großen Baustelle von Bloomberg London, dort, wo bald der europäische Hauptsitz des Medienimperiums eröffnet werden soll, stießen die Arbeiter im Boden der zwölf Meter tiefen Baugrube auf eine der bedeutendsten frührömischen Stätten, die je in London entdeckt wurden. Mitten im alten Bezirk Cordwainer kamen nach und nach ganze Straßen, Fachwerkhäuser und Läden mit eingezäunten Vorgärten aus der Zeit nach 60 n.Chr. zum Vorschein. Sie waren so gut erhalten, dass selbst die Archäologen nur staunen konnten; sie tauften das Ensemble „Pompeji des Nordens“. Über 14.000 Artefakte wurden im Laufe der Grabungsarbeiten gefunden, darunter Münzen, Amulette, Zinnteller, Keramiklampen, 250 Lederstiefel und ­sandalen und mehr als 900 Kisten mit Töpferware.

Video: Die Ausgrabungen am Bedlam-Friedhof im Zeitraffer

„Es gibt keine andere Ausgrabung in der Stadt, bei der wir mehr Fundstücke entdeckt haben“, sagt die Archäologin Sadie Watson. „Wir können das Alltagsleben im römischen London so gut verstehen wie nie zuvor.“ Zu den Schätzen gehören an die 400 Schreibtafeln aus Holz – auf einigen kann man noch die Buchstaben lesen –, darunter Verträge und Dokumente. An einer anderen Stätte fand man Einkaufslisten, Einladungen zu Festen, sogar einen Kaufvertrag über eine junge Sklavin.

Warum die Funde so gut erhalten sind? Früher floss hier, mitten im römischen Londinium, ein kleiner Wasserlauf namens Walbrook. Die Staunässe konservierte fast alles, was in die Erde fiel. Das berühmte feuchte englische Klima habe auch sein Gutes, sagt Watson und lacht. „Leder, Holz und Metallgegenstände, die überall sonst verrosten und verrotten würden, bleiben hier erstaunlich intakt.“

Der bei weitem größte Segen für Londons Archäologen ist das 21 Milliarden Euro teure Infrastrukturprojekt Crossrail. Die neue Pendlerverbindung für Bahn und U­Bahn, das größte Bauvorhaben und zugleich die größte Grabungsstätte Europas, durchquert die Stadt von Ost nach West. Seit 2009 laufen die Arbeiten. Allein die Tunnel haben eine Gesamtlänge von 42 Kilometern. Bei den Bohrungen und den Arbeiten auf mehr als 40 Baustellen wurden bisher bereits viele Tausend Artefakte und Fossilien aus den vergangenen 70.000 Jahren zutage gefördert.

Die größte und aufsehenerregendste all dieser Ausgrabungen hat im Frühjahr 2015 vor dem stark frequentierten Bahnhof Liverpool Street Station begonnen. Für den Bau einer unterirdischen Schalterhalle muss man auf dem alten Bedlam-Friedhof die Überreste von mehr als 3300 Londonern exhumieren.

Die größte und aufsehenerregendste all dieser Ausgrabungen hat im Frühjahr 2015 vor dem stark frequentierten Bahnhof Liverpool Street Station begonnen. Für den Bau einer unterirdischen Schalterhalle muss man auf dem alten Bedlam-Friedhof die Überreste von mehr als 3300 Londonern exhumieren.

Die meisten von ihnen waren im 16. und 17. Jahrhundert gestorben, als die Pest immer wieder in den Straßen von London wütete. In den Kirchhöfen stapelten sich damals die Leichen. Die Stadt musste handeln und beschloss, einen öffentlichen Friedhof für die vielen Toten anzulegen. Die Direktoren des Bethlem Royal Hospital – allgemein bekannt als Bedlam, Europas erste Nervenheilanstalt – verkauften der Stadt im Jahr 1569 einen Acre (0,4 Hektar) Land. Da Bedlam nicht an eine Kirche gebunden war, entwickelte er sich zur Ruhestätte für Radikale, Nonkonformisten, Migranten, Außenseiter und die „kleinen Leute“. Als der Friedhof um das Jahr 1738 geschlossen wurde, war er hoffnungslos überfüllt. Schätzungsweise 30.000 Tote wurden dort begraben.

„Bedlam ist der Friedhof mit den unterschiedlichsten Gräbern in der Stadt“, sagt Jay Carver, Chefarchäologe von Crossrail. Sein Team hat den Ort vor Beginn der Ausgrabungen monatelang untersucht. „Das ganze Spektrum der Gesellschaft ist hier vertreten, von Verrückten über Kriminelle bis zur Gattin eines ehemaligen Lord Mayor of London.“

Carver steht auf einer Aussichtsplattform und lässt den Blick über die Grabungsstätte schweifen. In der Grube pinselt ein Team von 30 Archäologen mit orangefarbenen Overalls und blauen Helmen die Erde von den Schädeln. Viele der Toten sind vermutlich der Großen Pest zum Opfer gefallen. Bei ihrem Ausbruch im Jahr 1665 hatte die Stadt 450.000 Einwohner. Zwischen 75.000 und 100.000 Menschen starben an der Seuche.

Einige der Knochen sollen wissenschaftlich untersucht werden. Man hofft, so etwas über die Evolution des Pestbakteriums zu erfahren, das so viele Menschen getötet hat. „Bis 1665 suchte die Krankheit die Stadt in ziemlich regelmäßigen Abständen heim, doch danach nie mehr“, sagt Carver. „Vielleicht lösen wir das Rätsel.“

Zwar trugen manche Särge Initialen, die Grabsteine allerdings waren in späterer Zeit als Baumaterial für Mauern und Häuser verwendet worden. Darum ist es heute nahezu unmöglich, die sterblichen Überreste auf dem alten Friedhof zu identifizieren.

Einzig Robert Lockyer könnte wohl auch ohne Grabstein erkannt werden. Der frühe radikaldemokratische Vorkämpfer wurde 1649 von einem Erschießungskommando exekutiert. Nie hat hier ein größeres Begräbnis stattgefunden – mehr als 4000 Trauergäste drängten sich auf dem Friedhof. Carver hofft, das Skelett zu finden: „Wenn wir Knochen mit Löchern von Musketenkugeln finden, dann können wir ziemlich sicher sein, zu wem sie gehören.“

Video: Die Ausgrabungen am Bedlam-Friedhof im Zeitraffer

Allein durch die Umstände seines Tods hätten Lockyers Gebeine eine gewisse historische Bedeutung. Aber noch interessanter könnte sein, was die Knochen der vielen anderen Verstorbenen erzählen. „Knochen verraten uns gewöhnlich viel mehr darüber, wie die Menschen gelebt haben, als darüber, wie sie gestorben sind“, sagt der Anthropologe Don Walker.

Es dürfte ein ziemlich grauenvolles Leben gewesen sein, das die Einwohner des mittelalterlichen London geführt hatten. Isotopen- und Knochenuntersuchungen an Skeletten aus dem 14. und 15. Jahrhundert legen das jedenfalls nahe. Viele Menschen litten an Mangelernährung, jeder Sechste hatte Rachitis. Man quälte sich mit kaputten Zähnen und Zahnabszessen, die harte Arbeit schädigte den Rücken und überlastete die Muskeln. An den Skeletten aus dem 15. Jahrhundert fällt noch etwas anderes auf: erschreckend viele Verletzungen des Oberkörpers. Nachdem infolge der Pest die öffentliche Ordnung zusammengebrochen war, kam es womöglich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, schließen die Forscher.

Auf die Landbevölkerung, die auf der Suche nach einem besseren Leben war, dürfte die Stadt trotz allem wie ein Magnet gewirkt haben. Isotopenuntersuchungen zeigen, dass beinahe die Hälfte der untersuchten Skelette von Personen stammen, die außerhalb der Stadt aufgewachsen waren. Einige waren sogar aus dem fernen Norden Schottlands gekommen. „London scheint schon im 14. Jahrhundert Menschen aus ganz Britannien angezogen zu haben – wie heute immer noch“, sagt Walker.

Acht Uhr früh an einem verregneten Wochentag, auf dem Gehweg vor dem Bahnhof Cannon Street drängen sich die Pendler. Kaum einer beachtet den Gitterkasten an der Mauer eines ehemaligen Bankgebäudes auf der anderen Straßenseite, geschweige denn den darin verborgenen „London Stone“.

„Dieses Stück Kalkstein ist ein Rätsel“, sagt Jane Sidell von der Denkmalschutzorganisation Historic England. „In der Geschichte der Archäologie in London spielt es aber eine wichtige Rolle.“ Eine Legende sagt, dass die Stadt untergeht, wenn der London Stone entfernt oder zerstört wird. Sogar in Stücken von Shakespeare und in Gedichten von William Blake taucht er auf. 1108, als er zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde, galt der London Stone bereits als uralt. William Camden, ein Antiquar aus dem 6. Jahrhundert, behauptete später, es handle sich um einen römischen Meilenstein: den Nullpunkt, von dem aus alle Entfernungen in Britannien gemessen wurden.

Der Architekt Sir Christopher Wren ließ nach dem Großen Brand von London im Jahr 1666 sogar eine schützende Kuppel über dem Stein errichten, der früher mitten auf der Straße gestanden hatte. Den römischen Ruinen, auf die er später bei den Grabungsarbeiten für das Fundament der St.-Pauls-Kathedrale stieß, schenkte Wren leider weniger Beachtung. Zum Glück für die Nachwelt kümmerte sich ein anderer Mann darum, ein Londoner Antiquar namens John Conyers. Er folgte Wrens Arbeitern überallhin, machte Notizen, archivierte Fundstücke und fertigte detaillierte Zeichnungen an. Später dokumentierte Conyers auch die Ausgrabung eines Mammuts in der Nähe von King’s Cross und wies als Erster nach, dass das in der Nähe gefundene Feuersteingebilde ein menschliches Werkzeug und kein magischer Feenblitz war. Heute gilt Conyers als weltweit einer der Ersten, die systematische archäologische Untersuchungen anstellten.

Der große Durchbruch für die neue Wissenschaft kam jedoch erst in den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit begannen viktorianische Ingenieure mit dem Bau eines ausgedehnten Kanalisationssystems. Das war die Gelegenheit für Charles Roach Smith. Dem Apotheker, Münzsammler und Hobbyantiquar war egal, was die Leute sagten; mit alten Klamotten am Leib stieg er mit den Bauarbeitern in die Tunnel hinab, machte Notizen, fertigte Zeichnungen an und rettete so viele Gegenstände wie möglich. So avancierte er zum führenden Experten für britisch­römische Altertümer; sein Buch „Illustrations of Roman London“ blieb 50 Jahre lang das Standardwerk zum Thema. Roach Smiths Archiv bildete später den Kern der römisch­britischen Sammlung des Museum of London. „Es war der Beginn der modernen Archäologie an Baustellen“, sagt Jay Carver von Crossrail. Selbst heute seien die Aufzeichnungen noch sehr nützlich.

Man muss in London aber gar nicht immer tief graben. Beeindruckende Teile der römischen Stadtmauer aus dem zweiten Jahrhundert sind immer noch über der Erde sichtbar, etwa in Tower Hill und in St. Alphage Garden. In der Nähe des Museum of London wiederum sprengten deutsche Bomben 1940 ein Stück der alten Befestigung frei. In einer benachbarten Tiefgarage parken heute die Autos direkt neben einem der ursprünglichen Stadttore. Und wer sich beim Friseur an der Gracechurch Street, Ecke Leadenhall Market, die Haare schneiden lässt, kann im Souterrain einen Stützbogen der römischen Basilika aus dem zweiten Jahrhundert besichtigen.

Außerdem wäre da noch das Ufer der Themse. „Bei Ebbe liegt hier vor aller Augen Londons größte archäologische Fundgrube“, sagt Nathalie Cohen, die beim MOLA das Thames Discovery Programme leitet.

Kurz nach Sonnenaufgang an einem klaren Wintermorgen, die Kuppel der St.­Pauls­Kathedrale schimmert im schräg einfallenden Sonnenlicht. Am Flussufer unterhalb der Kirche breitet sich ein einziges Durcheinander aus: glatt gewaschene Pflastersteine, Tierknochen, Töpferware, Bruchstücke von tönernen Tabakspfeifen, rostiges Eisen und dicke, farbige Glasscherben, die vom unablässigen Wirken der Gezeiten matt und rund geschliffen sind. „Fast alles, was Sie hier sehen, ist archäologisch von Bedeutung“, sagt Cohen und zeigt auf verschiedene Gegenstände. Hier ein Dachziegel aus römischer Zeit, dort ein Stück blau gemustertes viktorianisches Porzellan. „Mit jeder Flut wird alles wieder durcheinandergewirbelt. Man weiß nie, was man hier finden wird.“

Ein großer Teil des Uferstreifens ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Findige Hobbyarchäologen und begeisterte Metalldetektorbesitzer helfen Cohen und ihrem Team dabei, die geschützten Stätten im Uferbereich abzusuchen, Funde zu dokumentieren und zu sichern. Eine dieser Stätten ist das Queenhithe Dock unterhalb der Millennium Bridge. Bis ins 20. Jahrhundert landeten hier Schiffe an. Erstmals erwähnt wurde das Hafenbecken Ende des 9. Jahrhunderts in angelsächsischen Dokumenten. Sogar die Grabstätte zweier Frauen aus der sächsischen Periode hat man hier entdeckt. Eine der beiden starb eines gewaltsamen Todes, vermutlich durch einen Schwert- oder Axthieb auf den Kopf. Zwischen 640 und 780 n.Chr. wurden die Frauen bestattet. „Damals war das bestimmt ein unheimlicher Ort“, sagt Cohen. „Die Römer waren schon mehr als 200 Jahre verschwunden. In der verfallenden Stadt lebte kaum noch jemand.“

Zurück zur Liverpool Street, wo sich die Archäologen mittlerweile bis zur frühen römischen Schicht vorgearbeitet haben. Im dunklen Schlamm, der einen alten Lauf des Walbrook markiert, machen sie erneut einen faszinierenden Fund: ein historischer Kochtopf mit intaktem Deckel, der bis zum Rand mit menschlichen Knochen gefüllt ist. Jemand muss ihn vor fast 2000 Jahren am Ufer außerhalb der alten Stadtmauern vergraben haben.

In der Nähe fand man 40 weitere menschliche Schädel, die womöglich von hingerichteten Kriminellen oder Aufständischen stammen. „Hier am Walbrook hat man immer wieder Schädel aus der Römerzeit gefunden. Bislang dachten wir, dass sie aus einem Friedhof stammen und flussabwärts gespült wurden“, sagt Jay Carver. „Wir müssen uns wohl noch einmal die Funde der letzten 200 Jahre anschauen und überlegen, was hier los war.“

Der Chefarchäologe steht mitten in einer der quirligsten Metropolen der Welt, aber sein Satz erinnert an die ebenso beklemmenden wie wahren Worte einer Romanfigur. In Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ betrachtet der Icherzähler, ein redseliger Seemann namens Marlow, zu Beginn des Buchs den Sonnenuntergang über London und sagt: „Und auch das (...) ist einmal einer der finsteren Orte der Erde gewesen.“

Aus dem Englischen von Dr. Karin Rausch

Video: Die Ausgrabungen am Bedlam-Friedhof im Zeitraffer

Erfahren Sie außerdem auf unserer Themenseite "Archäologie".

(NG, Heft 2 / 2016, Seite(n) 36 bis 59)

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