10.000 gewilderte Schildkröten in madagassischem Haus entdeckt
Der Gestank der vom Aussterben bedrohten Tiere führte die Behörden in das überfüllte Gebäude.
Soary Randrianjafizanaka machte sich Anfang des Monats mit der Polizei und einigen Kollegen auf, um dem ranzigen Geruch nachzugehen, er aus einem zweigeschossigen Haus in Toliara kam, einem Ort an der Südwestküste Madagaskars. Was sie dort vorfand, war eine etwas, das sie in ihrer Rolle als Leiterin von Madagaskars Umweltbehörde so noch nie gesehen hatte: Tausende Schildkröten bedeckten den Boden, dicht aneinandergedrängt und ohne Platz, um sich zu bewegen.
Randrianjafizanaka zufolge war der Gestank von Kot und Urin überwältigend.
„Das kann man sich nicht vorstellen. Es war schrecklich“, sagte sie. „Die Schildkröten waren im Bad, in der Küche, im ganzen Haus.“
Insgesamt befanden sich in dem Haus 9.888 lebende Strahlenschildkröten – eine seltene Art, die nur auf Madagaskar vorkommt – und 180 tote. Randrianjafizanaka half dabei, die Tiere zu zählen, während die Retter sie auf sechs Laster verluden, die mehrmals zum Village des Tortues (dt. Schildkrötendorf) fuhren, einer privaten Rehabilitationsstation für Wildtiere etwa 30 Kilometer nördlich von Toliara. Bis in die frühen Morgenstunden hinein arbeiteten die Beteiligten, um alle Schildkröten in das Rettungszentrum zu bringen.
Der Großteil der Tiere lebt und ist einigermaßen wohlauf, wie Na Aina Tiana berichtet, eine Tierärztin, die sich um sie kümmert. Aber eine Woche nach ihrer Entdeckung waren bereits 574 Schildkröten an Dehydrierung oder Infektionen gestorben.
Die Behörden haben Hinweise auf die Verantwortlichen. Drei Verdächtige – zwei Männer und eine Frau, die Besitzerin des Hauses – wurden festgenommen. Laut Randrianjafizanaka waren die Männer gerade dabei, tote Schildkröten auf dem Grundstück zu vergraben, als ihr Team ankam.
Rick Hudson, der Präsident der Turtle Survival Alliance, die bei der Rettung der Schildkröten geholfen hat, glaubt, dass die kleinen und mittelgroßen Exemplare aus dem Land geschmuggelt werden sollten. Sie wären einfacher zu verbergen als die vollständig ausgewachsenen Tiere, die bis zu 20 Kilogramm schwer werden können.
Randrianjafizanaka denkt, dass die schiere Anzahl der Schildkröten auf ein organisiertes Vorhaben hindeutet. „Wir wissen nicht genau, wer es ist, aber wir wissen, dass es einen großen Boss gibt“, sagte sie.
Die Entnahme von Strahlenschildkröten aus Wäldern ist in Madagaskar illegal, und ein von 182 Ländern und der EU unterzeichneter Vertrag verbietet den kommerziellen Handel mit der Art. Dennoch fallen die Tiere zunehmend Wilderern zum Opfer, die ihr Fleisch lokal verkaufen oder sie nach Südostasien und China schmuggeln, wo sie an Reptiliensammler verkauft werden. Strahlenschildkröten sind besonders wegen der komplexen Sternmuster auf ihrem Panzer begehrt.
Auch die Rodung der Wälder hat die Population der Art schrumpfen lassen. 2013 wurde ihre Zahl auf sechs Millionen geschätzt – in den Neunzigern waren es noch zwölf Millionen. Heutzutage gibt es wahrscheinlich eher um die drei Millionen, sagte Hudson. 2008 änderte die Weltnaturschutzunion, die den Schutzstatus von Tieren in der Wildnis abschätzt, den Status der Schildkröten von „Nicht gefährdet“ auf „vom Aussterben bedroht“ – ein seltener Sprung über die drei Zwischenkategorien hinweg.
Hudson sagte, er sei von den Zahlen der Beschlagnahmung entsetzt gewesen. Er fand es allerdings „absolut glaubhaft“, dass dermaßen viele Tiere aus der Wildnis gefangen wurden. „Sie werden mit alarmierender, katastrophaler Geschwindigkeit entnommen“, sagte er.
Nach 2009 nahm die Wilderei in Madagaskar zu, als ein politischer Coup das Land in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale stürzte und den Umweltschutzmaßnahmen schwächte. In den letzten Jahren sind Beschlagnahmungen von Strahlenschildkröten – und Madagassischen Schnabelbrustschildkröten, die noch seltener sind – zur Routine geworden. 2015 konfiszierten die Behörden beispielsweise 453 lebende Strahlenschildkröten am Ivator International Airport. 316 Tiere wurden 2016 im Südosten Chinas beschlagnahmt. Ein Angestellter des Flughafens hatte sie in seine Wohnung geschmuggelt, nachdem sie aus Madagaskar eingetroffen waren.
Es ist unwahrscheinlich, dass die etwa 10.000 Schildkröten bald in die Wildnis entlassen werden, wie Jordan Gray berichtet, der Kommunikationsbeauftragte der Turtle Survival Alliance. Die ungebremste Wilderei sorge dafür, dass ihre Überlebenschancen in Gefangenschaft am besten stünden.
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