Seltenes Baumkänguru nach 90 Jahren wiederentdeckt

Das Wondiwoi-Baumkänguru galt schon als ausgestorben. Nun fotografierte ein Tourist es in den Bergen Neuguineas.

Von John Pickrell
Veröffentlicht am 27. Sept. 2018, 13:11 MESZ
Das extrem seltene Wondiwoi-Baumkänguru wurde zuletzt 1928 von Forschern beobachtet. Lange Zeit lagen den Wissenschaftlern daher ...
Das extrem seltene Wondiwoi-Baumkänguru wurde zuletzt 1928 von Forschern beobachtet. Lange Zeit lagen den Wissenschaftlern daher nur Zeichnungen wie diese vor. Nun wurde es hoch in den Bergen Neuguineas erstmals fotografiert.
Foto von Illustration von Peter Schouten

Das Wondiwoi-Baumkänguru ist so selten, dass es jahrzehntelang als ausgestorben galt. In diesem Jahr wurde es seit langer Zeit erstmals wieder gesichtet und fotografiert. 

Das ungewöhnliche Tier, das ein wenig an ein Äffchen erinnert, klettert durch die Baumkronen der Gebirgswälder Neuguineas. Die einzige andere dokumentierte Sichtung durch westliche Wissenschaftler erfolgte im Jahr 1928. 

Seither gab es keine weiteren Berichte darüber, dass irgendjemand ein Exemplar gesehen oder gar gefangen hätte. „Es ist eines der am wenigsten erforschten Säugetiere der Welt“, sagt Mark Eldridge, ein Beuteltierbiologe am Australian Museum in Sydney.

Im Sommer 2018 machte sich ein britischer Hobbybotaniker dann auf die Suche nach dem Baumkänguru. Er führte eine Expedition in die fast undurchdringlichen Bambuswälder des Wondiwoi-Gebirges auf Westneuguinea, wo er das seltene Beuteltier in etwa 1.500 Metern über dem Meeresspiegel finden wollte. 

„Einfach nur zu zeigen, dass es noch existiert, ist ganz erstaunlich. Es ist so ein abgelegener und schwer zugänglicher Ort, dass ich mir nicht sicher war, ob wir es je erfahren würden“, sagt Eldridge, der an der Expedition nicht teilgenommen hat.  

Baumbewohner voller Überraschungen 

Baumkängurus sind in den Tropen beheimatete Beuteltiere, die eng mit am Boden lebenden Kängurus und Wallabys verwandt sind. Die mittelgroßen Tiere besitzen kräftige Vordergliedmaßen, mit denen sie sich an Baumstämmen hochziehen. Im Geäst bewegen sie sich dann halb hüpfend, halb kletternd fort. 

Obwohl sie nicht sehr verbreitet und auch nicht sehr bekannt sind, weisen sie innerhalb ihrer Gattung eine überraschend große Vielfalt auf. Insgesamt gibt es 17 Arten und Unterarten – zwei ganz im Norden Australiens und der Rest auf der großen Insel Neuguinea. 

Der 47-jährige Hobbybotaniker Michael Smith aus dem englischen Farnham, der die Expedition anführte, hat früher Biologie studiert. In seinem Urlaub bereist er gerne entlegene Regionen in Pakistan, Kurdistan und Indonesien auf der Jagd nach seltenen Orchideen, Rhododendren und Tulpen. Seinen Plan für die Baumkänguru-Expedition fasste er 2017, als er auf der Suche nach Rhododendren in den Bergen Westneuguineas von dem mysteriösen Tier erfuhr. 

Mit der Hilfe von vier einheimischen Trägern, einem lokalen Jäger, der ihm als Führer diente, und dem Studenten Norman Terok von der University of Papua in Manokwari – einem gleichgesinnten Naturkundeenthusiasten – machte sich Smith am 23. Juli auf den Weg in den Dschungel. Eine Woche später kehrte er mit der Nachricht von seiner Entdeckung zurück.

Er kontaktierte die weltweit führenden Experten für Baumkängurus – darunter Eldridge und Roger Martin von der James Cook University im australischen Queensland –, um seinen Fund vor der Veröffentlichung bestätigen zu lassen.  

Einsames Exemplar 

Das Wondiwoi-Baumkänguru wurde 1928 erstmals von dem Evolutionsbiologen Ernst Mayr entdeckt. Mayr erspähte es in den Bergen der Wandammenhalbinsel in der indonesischen Provinz Westpapua, die sich auf der westlichen Seite der gewaltigen Insel Neuguinea befindet. 

Das ist eines der wenigen bekannten Fotos des Wondiwoi-Baumkängurus. Es wurde vor Kurzem von dem britischen Hobbybotaniker Michael Smith aufgenommen.
Foto von Michael Smith

Mayr schoss das einzige wissenschaftlich bekannte Exemplar der Art und schickte dessen Pelz an das Natural History Museum in London. Dort wurde es 1933 wissenschaftlich beschrieben und erhielt den Namen Dendrolagus mayri.  

Seither gab es selbst von Einheimischen kaum auch nur Berichte über Hinweise auf die Existenz der Tiere. Das könnte allerdings daran liegen, dass „die Jäger nur bis auf 1.300 Meter hinaufgehen, wenn der Wald langsam richtig dicht wird und voller Bambusdickichte ist“, erklärt Smith. Um noch weiter hinaufgehen zu können, musste sein Team einen Pfad durch den Wald schlagen. 

Als sie auf einer Höhe von 1.500 bis 1.700 Metern angelangt waren, sahen sie zunehmend die typischen Kratzspuren der Kängurus an den Baumstämmen sowie Kot von den Tieren. „Wir konnten die Duftmarken riechen, die die Kängurus hinterlassen hatten – die rochen ein wenig fuchsig“, sagt er. 

Wondiwoi-Fundgrube 

Obwohl Baumkängurus mit bis zu 16 Kilogramm keine Winzlinge sind, können sie sich in den Baumkronen bemerkenswert gut vor ungewollten Blicken verbergen. An einem der letzten Expeditionstage begann das Team, das bis dato noch keines der Tiere gesichtet hatte, mit dem Abstieg. 

Dann entdeckte der Jäger „ein Känguru in 30 Metern Höhe“, erinnert sich Smith. „Ich habe eine ganze Weile versucht, mein Objektiv auf das Tier fokussieren zu lassen, das hinter den Blättern hervorlugte, und hab dann endlich ein paar halbwegs gelungene Aufnahmen zustande gebracht.“ 

Tim Flannery von der australischen University of Melbourne, der in den Neunzigern vier der Baumkänguruarten auf Neuguinea beschrieben hat, hält den Fund für einen großen Durchbruch. „Die Bilder sind scharf und lassen die charakteristische Fellfarbe erkennen“, womit sie ihm zufolge wenig Zweifel daran lassen, dass es sich um ein Wondiwoi-Baumkänguru handelt. 

Zudem ist das Wondiwoi-Gebirge weit von den nächstgelegenen Lebensräumen verwandter Kängurus entfernt, die ebenfalls Höhenlagen bevorzugen. Auch das trägt zur Glaubhaftigkeit des Fundes bei. Das Wondiwoi-Baumkänguru selbst scheint nur in einem sehr kleinen Gebiet vorzukommen – womöglich nur auf 100 bis 200 Quadratkilometern. Die zahlreichen Kratzspuren und die Kothaufen lassen jedoch darauf schließen, dass es „innerhalb eines sehr kleinen Bereichs unglaublich verbreitet ist“, wie Flannery sagt.

Eine ungewisse Zukunft 

Der Bestand vieler Baumkängurus in Neuguinea geht aufgrund von Bejagung, Holzfällerei, Palmölplantagen und Bergbau zurück. Daher sei es „aufregend, zur Abwechslung mal eine positive Geschichte zu hören“, sagt Roger Martin. „Das zeigt: Wenn wir Tieren einen Lebensraum bieten und sie ansonsten einfach in Ruhe lassen, kommen sie ganz hervorragend zurecht“, sagt er. 

„Der Grund dafür, dass sie so lange unbekannt geblieben sind, ist vermutlich dieser verdammte Bambuswald“, fügt Martin hinzu. „Nur ein unerschrockener Brite auf der Suche nach Rhododendren hätte durchhalten können.“ 

Nun habe es Priorität, dass die Wissenschaftler dorthin zurückkehren, um Kotproben oder eine kleine Gewebeprobe vom Ohr eines Tieres zu sammeln und deren DNA mit der DNA aus dem Pelz von 1928 zu vergleichen. 

„Das Wissen darum, dass [dieses Tier] noch existiert, bietet uns eine großartige Gelegenheit, sein Überleben sicherzustellen und mehr darüber zu lernen, da wir praktisch nichts über es wissen“, findet Eldridge. 

Smith hofft, dass seine Entdeckung einen besseren Schutz für den Nationalpark nach sich ziehen wird, der das Wondiwoi-Gebirge miteinschließt. Es gibt bereits Pläne für eine Goldmine in dem Park, die die einzigartige Flora und Fauna der Region bedrohen würde. 

„All das zeigt doch, dass man immer noch spannende Sachen finden kann, wenn man einfach losgeht und nachsieht“, so Smith. „Im Laufe der Jahre habe ich in meinem Urlaub alle möglichen kleinen archäologischen und ethnografischen Seltsamkeiten gefunden. Die allgemeine Auffassung, dass es nichts Spannendes mehr zu entdecken gibt, ist ziemlich falsch.“ 

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

Beuteltiere

Das plüschige Känguru, das auf Bäumen lebt

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