Bärenvideo verdeutlicht die Risiken von Drohnenaufnahmen
Drohnen werden immer kleiner und günstiger. Experten mahnen Nutzer, beim Filmen von Wildtieren behutsam vorzugehen.
Wenn etwas nicht beim ersten Mal klappt, versucht man es einfach noch mal. Und noch mal.
Unter diesem Gesichtspunkt haben viele Webseiten und Nachrichtenportale in den letzten Tagen das virale Video von einer Braunbärenmutter und ihrem Nachwuchs präsentiert. Die Aufnahmen wurden im Sommer 2018 von Dmitry Kedrov gemacht, der das Duo an der Küste des Ochotskischen Meeres mit einer Drohne gefilmt hat. Im Video ist ein kleiner Braunbär zu sehen, der wiederholt versucht, einen steilen, verschneiten Hang zu erklimmen, um zu seiner Mutter zu gelangen.
Auch wenn das Video ein Happy End hat – der kleine Bär schafft es letztendlich und läuft mit seiner Mutter davon –, haben sich mehrere Wissenschaftler besorgt über die Art und Weise geäußert, auf die das Video aufgenommen wurde.
Etwa eine Minute nach Beginn des Videos sieht man beispielsweise, wie die Kamera sehr nah an die Bären heranzoomt. Etwa zeitgleich scheint die Bärin direkt zu der Drohne zu gucken und sogar danach zu schlagen, woraufhin ihr Junges den Hang wieder herabrutscht.
Kedrov erzählte einer russischen Website in einem Interview, dass der Zoom-Effekt nachträglich in das Video eingefügt wurde und seine Drohne die Tiere nicht verschreckt hat. Einige Experten sind sich da aber nicht so sicher.
Bedrohliches UFO
„Es könnte ein Kamerazoom sein, aber die meisten Drohnen für den öffentlichen Verkauf haben gar nicht die Tragkraft für eine Kamera mit einem hochwertigen Zoomobjektiv“, sagt Mark Ditmer. Der Wildtierökologe der Boise State University hat sich mit den Auswirkungen von Drohnen auf Schwarzbären beschäftigt. „Ich könnte mich irren, aber ich würde vermuten, dass die Drohne sich schnell näherte und die Mutter in Panik geriet und aus Angst nach ihr schlug.“
„Wenn man sich die Bärenmutter im Video ansieht, bemerkt man, dass sie mehrere Momente lang genau zur Drohne blickt“, sagt Sophie Gilbert, eine Wildtierökologin der University of Idaho. „Aus ihrer Sicht ist das sprichwörtlich ein UFO. Ein unbekanntes Flugobjekt.“
„Sie hat keine Ahnung, was die Drohne macht. Vermutlich hat sie so etwas in ihrem ganzen Leben noch nie gesehen. Sie hat ein sehr junges Jungtier dabei, und natürlich reagiert sie ängstlich“, so Gilbert.
Tatsächlich könnte die Anwesenheit der Drohne – und der Drang, vor ihr zu flüchten – erklären, warum die Mutter und ihr Junges überhaupt so gefährliches Terrain durchquerten. Für gewöhnlich vermeiden Mütter mit so jungem Nachwuchs gefährliche Reisen, wenn sie nicht absolut notwendig sind.
Viel Stress und Lärm
In diesem speziellen Fall sind noch nicht alle Details bekannt, aber es gibt zahlreiche andere Online-Videos, die zeigen, wie Drohnen auf Tiere wirken können.
Gilbert verweist auf Videos von Drohnen, die Braunbären beim Fressen von Lachsen filmen, einen Wolf, der einen Elch angreift, oder einen Gabelbock, der anscheinend vor einer fliegenden Drohne flieht.
„Ich weiß nicht, wie oft Sie schon in der Nähe von fliegenden Drohnen waren, aber die sind wirklich laut“, sagt Gilbert, die 2016 eine Forschungsarbeit über den Einsatz von Drohnen in der Wissenschaft schrieb. Einige dieser Videos sind mit – oft friedlicher – Musik unterlegt, aber „so klingt das im echten Leben nicht“.
Lärm kann sich negativ auf Tiere auswirken. Er lenkt sie von anderen wichtigen Dingen wie der Nahrungssuche oder dem Wettstreit um einen Partner ab. Die Maschinen treiben manche Tiere zu einer Kampf- oder Fluchtreaktion, während andere einfach aufmerksamer werden, wie sie es in Anwesenheit eines Raubtiers wären. Einige Tiere scheint die Präsenz von Drohnen überhaupt nicht zu kümmern.
Galerie: Der heilige Bär
Der Schein kann jedoch trügen. Im Rahmen seiner Studie zeigte Ditmer 2015, dass die meisten Schwarzbären zwar nicht sichtbar auf Drohnen reagierten, die über sie hinwegflogen, ihre Herzfrequenz allerdings beträchtlich anstieg.
„Große Ausschläge bei der Herzfrequenz deuten auf eine Stressreaktion hin“, erklärt er. „Im extremsten Fall sahen wir die Herzfrequenz eines Bären von 41 Schlägen pro Minute auf 162 Schläge pro Minute ansteigen, als eine Drohne über seinen Kopf hinwegflog.“
Bären und andere Tiere verkraften einen schnelleren Herzschlag durchaus mal, aber Ditmer merkt an, dass wilde Tiere bereits durch die Nahrungssuche und die Flucht vor Raubtieren großem Stress ausgesetzt sind.
Außerdem verursachen auch Menschen Dauerstress, da sie immer weiter in die natürlichen Lebensräume der Tiere vordringen und sie durch den Lärm von Flugzeugen, Autos, Schiffen und den Rohstoffabbau dauerbeschallen.
Drohnen sicher fliegen
Eines war nach dem Gespräch mit mehreren Experten jedoch klar: Niemand findet, dass man Drohnen verbieten sollte.
„Nachdem ich einige der Kommentare unter dem Bärenvideo gelesen habe, befürchte ich, dass die Leute Drohnen verteufeln“, sagt Margarita Mulero-Pázmany, eine Dozentin der Liverpool John Moores University. „Das wäre ein Fehler. Wir sollten nicht dem Werkzeug die Schuld geben, nur weil man es missbrauchen kann.“
Stattdessen sollten Richtlinien für Wissenschaftler, Hobbyforscher und Outdoor-Enthusiasten entwickelt werden, die Mensch und Tier schützen.
Mulero-Pázmany schlug vor, mit den Drohnen nicht frontal auf Tiere zuzufliegen, da das am bedrohlichsten wirke. Außerdem sollten Drohneneinsätze so kurz und unauffällig wie möglich durchgeführt werden, wobei kleinere, elektrische Modelle deutlich leiser seien als Modelle mit Verbrennungsmotoren. Auch die richtige Höhe ist entscheidend. Die Drohnennutzer sollten versuchen, so hoch wie möglich über den Tieren zu bleiben – natürlich muss die Höhe dabei auch noch das Sammeln nützlicher Daten erlauben.
Zu guter Letzt sollte man einige Tiere nach Möglichkeit meiden: gefährdete Arten; Tiere, die durch die Anwesenheit von Drohnen in Gefahr geraten könnten, weil sie beispielsweise selbst fliegen; und Tiere, die Angst vor fliegenden Raubtieren haben. Außerdem sollte man Tiere während besonders wichtiger Zeiten nicht stören, beispielsweise während der Paarungszeit.
„Ich glaube, das ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Gilbert. Einerseits können Drohnenaufnahmen den Menschen neue Perspektiven auf das Leben der Tiere ermöglichen und so ein tieferes Verständnis für sie schaffen. Das sei laut Gilbert gerade für den Tier- und Umweltschutz von enormer Bedeutung.
Aber die Menschen müssen sich auch ins Gedächtnis rufen, dass Tiere ihr eigenes Leben, ihre eigenen Bedürfnisse und ihre eigenen Ängste haben. Wir „dürfen sie nicht stören“, findet Gilbert.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.