Das Rätsel der zweiköpfigen Haie
Wissenschaftler entdecken immer häufiger solche mutierten Fische. Eine mögliche Ursache: Überfischung.
Ein Hai mit zwei Köpfen – das klingt wie eine dieser halbgaren Ideen, denen man in irgendeinem zweitklassigen Horrorfilm begegnen könnte. Tatsächlich aber existieren diese Geschöpfe – und treten weltweit immer wieder auf.
Vor einigen Jahren entdeckte ein Fischer vor der Küste Floridas einen weiblichen Bullenhai in seinem Netz. In der Gebärmutter des Tieres befand sich ein zweiköpfiger Fötus. 2008 entdeckte ein anderer Fischer im Indischen Ozean einen Blauhaiembryo mit zwei Köpfen.
Im Jahr 2011 beschrieben in Forscher in einer Studie eine Doppelfehlbildung (besser bekannt als Siamesische Zwillinge) bei einem Blauhai, der im Norden Mexikos im Golf von Kalifornien gefangen wurde. Bislang gehen die meisten Meldungen solcher Doppelfehlbildungen auf Blauhaie zurück, weil sie die meisten Nachkommen produzieren – bis zu 60 Stück pro Wurf, erzählt der Studienleiter Felipe Galván-Magaña vom Instituto Politécnico Nacional in Mexiko.
Im Jahr 2016 haben Forscher einen Embryo des Atlantischen Sägeschwanzhais mit zwei Köpfen identifiziert und in einer Studie beschrieben, die im „Journal of Fish Biology“ erschien. Für ihre Forschungen im Bereich der menschlichen Gesundheit züchteten sie im Labor Haie und bemerkten dabei einen ungewöhnlichen Embryo in einem der durchsichtigen Eier.
Allerdings war dieser Embryo eine Besonderheit: Es war der erste zweiköpfige Hai einer eierlegenden Haiart.
Die Forscher öffneten das Ei, um das Exemplar zu untersuchen. Laut dem Studienleiter Valentín Sans-Coma war unklar, ob das deformierte Tier überhaupt lebensfähig war. Da dies der erste bekannte Fall einer Doppelfehlbildung bei eierlegenden Haien war, lebt solcher Nachwuchs wahrscheinlich nicht lang genug, um von Menschen gefunden zu werden.
Ursachen der Mutation
Zweiköpfige Haie werden nur selten entdeckt, weshalb sich die Suche nach der Ursache für diese Mutation schwierig gestaltet.
Laut Sans-Coma und seinen Kollegen wäre eine Erbkrankheit wohl die plausibelste Erklärung für den zweiköpfigen Sägeschwanzhai, da die Embryos zusammen mit 800 weiteren im Labor gezüchtet wurden. Soweit die Forscher wissen, sind sie dort keinen Infektionen oder Chemikalien und keiner Strahlung ausgesetzt gewesen.
Die Missbildungen der wilden Haie könnten hingegen diverse Ursachen haben, von Infektionen mit Viren über Stoffwechselstörungen und Verschmutzung bis hin zum schrumpfenden Genpool, der durch Überfischung entsteht und zu Inzucht führt.
Auch der Meeresforscher Nicolas Ehemann untersuchte zwei solcher Exemplare für eine Studie: einen Kleinaugen-Glatthai und einen Blauhai, die von Fischern vor der venezolanischen Insel Margarita Island gefunden wurden. Bei den Tieren handelt es sich um die ersten zweiköpfigen Haie, die im Karibischen Meer gefunden wurden, wie Ehemann schrieb.
Inzucht durch Überfischung?
Ehemann vom Instituto Politécnico Nacional in Mexiko glaubt, falls die zweiköpfigen Föten in der Natur mittlerweile häufiger auftreten, sei die Überfischung ein wahrscheinlicher Grund dafür, da sie den Genpool schrumpfen lässt. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Fehlbildungen.
Galván-Magaña, der Autor der 2011er Studie, vermutet nicht, dass solche Exemplare tatsächlich häufiger auftreten – sondern eher, dass es mittlerweile mehr wissenschaftliche Fachmagazine gibt, in denen Studien und Berichte zu dem Thema erscheinen.
Er selbst hat bereits einige skurrile Exemplare gesehen, darunter einen „Zyklopenhai“ mit nur einem funktionalen Auge in der Mitte seines Kopfes. Der Schwarzhai, der sich noch im Fetalstadium befand, litt vermutlich an Zyklopie, einer angeborenen Fehlbildung, die bei diversen Tierarten auftreten kann, auch beim Menschen.
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Ehemann verweist darauf, dass sich Fehlbildungen bei Haien insgesamt nur schwer erforschen lassen, weil man so selten Exemplare findet.
„Ich würde diese Dinge gern erforschen, aber es ist ja nicht so, als müsste man nur ein Netz auswerfen und würde damit dann hin und wieder einen zweiköpfigen Hai fangen“, sagt er. „Das sind absolute Zufallsfunde.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.