Kegelrobben in der Ostsee: Deutschlands größtes Raubtier ist zurück

Jahrhundertelang wurde sie verfolgt und schließlich ausgerottet. Jetzt erobert sich die Kegelrobbe ihr Terrain in der deutschen Ostsee zurück. Welche Zukunftschancen hat der mächtige Meeressäuger?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 28. Aug. 2019, 15:00 MESZ
Linda Westphal
Linda Westphal
Foto von Linda Westphal

Auge in Auge mit Deutschlands größtem Raubtier: für Linda Westphal immer wieder ein echter Glücksmoment. Regelmäßig fährt die Meeresbiologin hinaus auf die Ostsee, um die Bestandssituation der streng geschützten Kegelrobben zu dokumentieren. „Wenn man einmal die Gelegenheit hatte, diese großen Raubtiere da draußen zu beobachten, ist das ein unvergessliches Naturerlebnis“, sagt die Robbenforscherin vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund. „Die Tiere sind neugierig und kommen bis auf wenige Meter an das Boot ran.“

„Ein unvergessliches Naturerlebnis“. Robbenforscherin Linda Westphal vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund.
Foto von Linda Westphal

Von solchen Begegnungen konnten Forscher und Naturschützer lange Zeit nur träumen. Seit 1920 galt die Ostsee-Kegelrobbe, eine eigenständige Unterart, wegen der intensiven Bejagung in Deutschland als ausgestorben. Fischern war sie als Nahrungskonkurrent ein Dorn im Auge. Jetzt kehrt der bis zu 2,5 Meter große und über 200 Kilo schwere Koloss langsam, aber sicher zurück.

Erste Kegelrobbengeburt seit über 100 Jahren

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    Mit einem Fund am Kap Arkona auf Rügen wurde 2018 die erste Kegelrobbengeburt an der deutschen Ostsee seit mehr als 100 Jahren nachgewiesen.
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    Schon 2004 waren erstmals wieder Kegelrobben auf dem Großen Stubber, einer Untiefe im Greifswalder Bodden, gesichtet worden. Es handelte sich um Gäste aus dem Norden, die den Heringsschwärmen gefolgt waren, um sich in den Gewässern vor Mecklenburg-Vorpommern satt zu fressen. Weitere 14 Jahre später dann eine kleine Sensation: Mit einem Fund am Kap Arkona auf Rügen wurde 2018 die erste Kegelrobbengeburt an der deutschen Ostseeküste seit mehr als 100 Jahren nachgewiesen. Ein weiterer Nachweis gelang in diesem Jahr auf der Insel Poel in der Wismarer Bucht. Beide Robbenbabys waren tot. Offenbar waren sie von ihren Müttern verlassen worden.

    Für Forscher und Naturschützer markieren die Funde dennoch einen Meilenstein. Sie zeigen, dass die Ostsee-Kegelrobbe auf bestem Weg ist, sich endlich wieder fest in Deutschland anzusiedeln. „Seit einigen Jahren beobachten wir immer mehr Jungtiere“, betont Westphal. „Es spricht vieles für erfolgreiche Geburten an unserer Küste.“ Die Robbenforscherin wertet das als positives Beispiel für den Erfolg konsequenter Naturschutzmaßnahmen. Die Einrichtung von Schutzgebieten zählt ebenso dazu wie das Verbot von Jagd und Umweltgiften wie DDT und PCB.

    Denn noch in den 1980er-Jahren stand die Kegelrobbe in der gesamten Ostsee kurz vor der Ausrottung. Von einst bis zu 100.000 war der Bestand auf etwa 3.000 Tiere gesunken. „Jetzt gibt es wieder 30.000 bis 35.000 Kegelrobben in der Ostsee, die meisten in der nördlichen Region um Skandinavien und vor dem Baltikum“, so Westphal. Inzwischen wandern bis zu 300 Tiere jährlich im zeitigen Frühjahr zu den Laichgründen der Heringe in den Greifswalder Bodden.

    Viele Kegelrobben sterben als Beifang

    Dass es für die dauerhafte Wiederansiedlung dennoch einen langen Atem braucht, liege nicht zuletzt an der Standorttreue der Kegelrobben. „Die Weibchen bekommen ihre Jungtiere in der Regel dort, wo sie selbst geboren wurden. Es dauert, bis sich neue Wurfplätze etablieren.“ Westphal spricht von einer „sensiblen Ansiedlungsphase“. Über den Berg sei man noch nicht.

    Störungen durch Menschen und Haustiere bedrohen die Robben: Dieses Jungtier wurde von einem Hund gebissen.
    Foto von Linda Westphal

    Trotz strenger Schutzmaßnahmen: Auch heute noch sind die Robben vielen Gefahren ausgesetzt. Immer wieder verenden Tiere als Beifang in Fischernetzen und Reusen. Bis zu zehn Prozent des Gesamtbestands der Ostsee gehen so nach Westphals Worten zugrunde. Neue Reusensysteme könnten diese Verluste künftig reduzieren. Aber nicht nur Fischerei, Habitatverlust und Störungen durch Touristen bedrohen die Meeressäuger. „Kegelrobben sind opportunistische Jäger, aber der Hering ist ihre Hauptbeute in dieser Region“, weiß Westphal. Das Dilemma: Seit Jahren gibt es immer weniger Heringslarven im Greifswalder Bodden. Die Ostsee ist zu warm geworden. Der Hering steckt in der Klimafalle, warnt das Thünen-Institut für Ostseefischerei. Und damit steht auch die Kegelrobbe vor neuen Problemen.

    Mit ihrem dreijährigen Forschungsprojekt, das vom Bundesamt für Naturschutz gefördert wird, will Westphal dazu beitragen, dass die Ostsee-Kegelrobbe eine gesicherte Zukunft in Deutschland hat. Dazu gehört auch der permanente Austausch mit Gemeinden, Tourismusbehörden, Fischerei sowie die Entwicklung eines Managementplans. Westphal ist überzeugt: „Wenn wir wissen, wie es den Kegelrobben am Ende der Nahrungskette geht, können wir daraus Schlüsse ziehen, wie es dem gesamten Ökosystem geht.“

     

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